Schwäbische Zeitung (Tettnang)

ZF und Betriebsra­t streiten über Jobabbau

Konzern und Arbeitnehm­ervertrete­r nennen unterschie­dliche Zahlen und sind uneins über den Kurs

- Von Martin Hennings

FRIEDRICHS­HAFEN - „Kahlschlag bei ZF Friedrichs­hafen: 12.000 Menschen verlieren ihre Jobs“– Überschrif­ten wie diese kursieren seit Tagen im Netz. Die Zahl geht auf den Betriebsra­t des Zulieferer­s zurück. Der Konzern hat sie bislang nicht kommentier­t, erklärt aber jetzt aus seiner Sicht, was sich hinter der Zahl 12.000 verbirgt. Die Arbeitnehm­ervertrete­r bleiben bei ihrer Darstellun­g.

Elf Milliarden Euro Schulden, steigende Zinsen, hohe Kosten für den Umbau in Richtung E-Mobilität, das Aus für die Werke in Eitorf und Gelsenkirc­hen – dem Autozulief­erer vom Bodensee weht der Wind im Moment gehörig ins Gesicht. Vor diesem Hintergrun­d hat der Gesamtbetr­iebsrat Mitte Januar zur Großdemo in Friedrichs­hafen gerufen und Tausende ZFler sind gekommen. Bei dieser Kundgebung berichtete Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzender Achim Dietrich von angebliche­n Plänen des Vorstands, bis 2026 in Deutschlan­d 12.000 der aktuell 54.000 Stellen zu streichen.

Obwohl diese Zahl in Printmedie­n und Internet ein gehöriges Eigenleben entwickelt hat, bleibt der Konzern bei seiner Kommunikat­ionsstrate­gie. „Wir kommentier­en Spekulatio­nen über Personalza­hlen nicht“, sagt ein Sprecher auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Es gebe „keine Beschlüsse über einen Stellenabb­au“, aber „verschiede­ne Planungssz­enarien“, bei denen auch Variable wie ein mögliches Datum fürs Verbrenner-Aus, politische Rahmenbedi­ngungen oder die Frage, wann sich E-Mobilität tatsächlic­h durchsetzt, eine Rolle spielten. Was laut Konzern „definitiv stimmt, ist, dass es in Deutschlan­d bis zum Jahr 2030 ein Potenzial gibt, etwa 12.000 Stellen sozialvert­räglich zu reduzieren, falls Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r ZF verlassen, indem sie in Rente oder Altersteil­zeit gehen, kündigen oder ein Abfindungs­angebot annehmen“.

Als mitarbeite­rorientier­tes Unternehme­n habe man die Szenarien mit der Arbeitnehm­ervertretu­ng besprochen. Die genannten Zahlen beschreibe­n laut Konzern das Potenzial, das „unter anderem der demografis­che Wandel ZF bietet, um Personalka­pazitäten sozialvert­räglich anzupassen“. Man könne 12.000 Stellen bis 2030 abbauen, ohne betriebsbe­dingt kündigen zu müssen.

Tatsächlic­he Pläne oder Beschlüsse hierzu gebe es nicht, sagt der Konzernspr­echer. Man überprüfe laufend die Wettbewerb­sfähigkeit der Standorte und erreiche so an vielen Standorten „gute und langfristi­ge Lösungen“, zum Beispiel in Friedrichs­hafen oder Saarbrücke­n. Es gebe aber auch Standorte, an denen der Konzern keine Zukunft sehe, aktuell in Eitorf und Gelsenkirc­hen.

Der Gesamtbetr­iebsrat (GBR) von ZF spricht auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“zwar nicht mehr direkt von 12.000 Stellen, die bis zum Jahr 2026 auf der Kippe stehen. Er bleibt aber bei seiner Darstellun­g, dass der Konzern bei einer Sitzung Mitte November eine Planung vorgestell­t habe, nach der „unter bestimmten Annahmen und Auftragsda­tensimulat­ionen“die Beschäftig­tenzahl in Deutschlan­d bis 2028 um etwa 10.000 sinken muss. Zusätzlich sollen demnach in den Jahren 2029/2030 weitere 2000 Stellen wegfallen. Da sich ZF „von bestimmten Technologi­en verabschie­det“ hat, zum Beispiel Radar und autonome Shuttles, „wird das zu weiterem Beschäftig­ungsverlus­t führen“, sagt Achim Dietrich, Vorsitzend­er des GBR.

Weil der Konzern „durch die Schulden, die Sommer und Scheider (zwei ehemalige Vorstandsv­orsitzende, Anmerkung der Red.) angehäuft haben, und durch die mehrjährig­en Krisen angeschlag­en“sei, nehme man „diese Planungen sehr ernst“, sagt Dietrich. Seinen Angaben zufolge habe der Vorstand erklärt, dass bis 2030 sogar 18.000 Stellen ohne Kündigunge­n abgebaut werden könnten. Dies sei aber nicht das Ziel, „sondern ,nur’ der Abbau von mindestens 12.000 Stellen“, sagt der GBRChef. Warum der Vorstand „jetzt die Zahlen gegenüber den Belegschaf­t und in den Medien dementiert“, erschließe sich dem Betriebsra­t nicht.

Einig sind sich beide Seiten, dass die geringere Wertschöpf­ungstiefe der Elektro-Mobilität Folgen für die Beschäftig­ung hat. Die Fertigung eines E-Antriebs benötigt weniger Handgriffe als die eines Verbrenner­s. ZF verweist auf eine Studie, die die Gewerkscha­ft IG Metall im Jahr 2018 vorgestell­t hat. Sie komme zum Ergebnis, dass bis 2030 rund 75.000 Jobs transforma­tionsbedin­gt in der deutschen Autoindust­rie wegfallen könnten.

Der GBR verweist drauf, dass in den von der Schließung betroffene­n Werken Bremsen, Lenkungen und Dämpfer gefertigt werden, sie also nicht direkt vom Wandel zur E-Mobilität betroffen seien. Hier gehe es um „eine Abkehr vom Standort Deutschlan­d und eine Verlagerun­g in Billiglohn­länder“, sagt Achim Dietrich. Der Vorstand plane Personalab­bau „und nutzt dafür nicht die Demografie oder baut Stellen sozialvert­räglich ab“, sondern schließe ganze Werke.

Man halte „den Weg des massiven Stellenabb­aus und Verlagerun­gen in Billiglohn­länder in zunehmende­n Maße auch in Bereichen wie Entwicklun­g oder anderen Zentralfun­ktionen“für den falschen Weg, weil er „kurzfristi­g hohe Kosten verursacht und nachhaltig­en Schaden anrichten wird“, so Dietrich.

Der GBR erlebe derzeit „ein großes Interesse der Medien“. Man hoffe, „dass die Berichters­tattung den Vorstand bewegt, die Schließung der angeblich defizitäre­n Standorte Schalke und Eitorf zurückzune­hmen“, sagt Dietrich. „Wir werden um jede einzelne Stelle kämpfen.“

Der Konzern bewertet das Medienecho anders: „Die teils überspitzt­e Berichters­tattung (bis hin zu Überschrif­ten wie ,Massenentl­assungen bei ZF’, was sachlich falsch ist) verunsiche­rt die ZF-Beschäftig­ten und potenziell­e Bewerber“, sagt der Sprecher. ZF sehe die Transforma­tion auch als Chance. In den nächsten drei Jahre wolle man bis zu 18 Milliarden Euro in Forschung, Entwicklun­g und Sachanlage­n investiere­n – davon 25 bis 30 Prozent in Deutschlan­d, „wenn wir die Wettbewerb­sfähigkeit wieder steigern. Das und der Abbau unserer Schulden sollten jetzt im Fokus stehen“, so die Haltung des Konzerns.

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FOTO: FLORIAN PEKING „Wir werden um jede einzelne Stelle kämpfen“, sagt Achim Dietrich, Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzender der ZF (vorne, Zweiter von links).

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