Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Immer schneller weg vom Zahnrad
ZF legt zwei Divisionen zusammen und will so die Transformation zum Hightech-Konzern besser meistern
FRIEDRICHSHAFEN - ZF nennt sich seit geraumer Zeit Technologiekonzern. Dass dies kein reiner Marketingtrick ist, zeigt der Zulieferer aus Friedrichshafen durch seinen beachtlichen Wandel in den vergangenen Jahren – und vor allem durch das enorme Tempo, das er dabei an den Tag legt. Die ehemalige Zahnradfabrik am Bodensee hat sich zum Spezialisten für Elektromobilität und digital vernetzte Fahrwerktechnik entwickelt.
Dafür intensiviert ZF nicht nur massiv seine Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung, auch die Organisationsstruktur wird an die neuen Erfordernisse angepasst. So werden aus acht ZFDivisionen bald sieben. Hauptziel dabei: eine bessere interne Zusammenarbeit sowie deutlich mehr Agilität und Tempo. Und das ist auch notwendig, denn die internationale Konkurrenz aus Nordamerika und Asien – insbesondere aus China – schläft nicht.
„Wir wollen eine Schlüsselrolle in der Branche spielen. Unser Ziel ist nicht weniger als die Technologieführerschaft“, kündigte ZF-Vorstandschef Holger Klein am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Friedrichshafen an. Anlass war der Global Technology Day, bei dem ZF traditionell der Weltpresse seine Neuerungen vorstellt. Anwesend waren an die 50 Fachjournalisten aus aller Herren Länder – vor allem aus Europa. Diese konnten die zahlreichen Neuheiten unter die Lupe nehmen und zum Teil auch selbst testen. Bei der Pressekonferenz im Anschluss waren zahlreiche weitere Journalisten aus Nordamerika, Indien und China zugeschaltet. Gerade in diesen Weltregionen schreitet der Wandel hin zur Elektromobilität in unerbittlichem Tempo voran, was jüngst eindrucksvoll auf der Automesse in Schanghai zu bestaunen war.
Doch ZF muss sich hier keineswegs verstecken, die Transformation ist bei den Friedrichshafenern bereits ein ordentliches Stück vorangekommen – wenn auch längst nicht vollendet. Trotzdem sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Noch vor zehn Jahren war der Zulieferer vom Bodensee extrem auf traditionelle Getriebe fokussiert. Rund 60 Prozent seines Umsatzes hat ZF damals noch mit der Verbrennertechnologie erwirtschaftet. Heute ist es nur noch ein gutes
Viertel, wie Vorstandschef Klein zufrieden berichtete.
Viele andere Felder kamen hinzu, darunter neben der Windenergie die Elektromobilität bei Autos, Nutzfahrzeugen und auch Fahrrädern. Ein Beispiel ist ein Elektro-Radlader, der nicht nur emissionsfrei ist, sondern auch äußerst leise bis zu acht Stunden vor sich hinwerkelt. ZF-Highlight bei der Veranstaltung am Donnerstag: ein erstmals selbst entwickeltes Thermomanagementsystem für Elektrofahrzeuge. Dies trägt nicht nur zu einer kompakteren Bauform des E-Antriebs bei, sondern steigert auch die Reichweite der Fahrzeuge im Winter um bis zu ein Drittel, wie die Friedrichshafener versprechen.
Und auch in Sachen Geschwindigkeit habe man bei ZF schon sehr zulegen können, berichtete Klein, was die anspruchsvolle Kundschaft aus dem Reich der Mitte bereits ehr positiv aufgenommen habe. Ein Beispiel für das neue ZFTempo: Die Ingenieure vom Bodensee haben jüngst ein komplett neues Steuerkonzept für Fahrzeuge in nur acht Monaten entwickelt – von der ersten Idee bis zum Start der Produktion. Früher habe so etwas zwei Jahre in Anspruch genommen.
Um die Prozesse künftig noch weiter zu beschleunigen und auch besser zu machen, wird zum 1. Januar 2024 die neue ZF-Division Chassis Solutions entstehen, also Fahrwerkslösungen. Sie geht
ZF-Chef Holger Klein aus den beiden bisherigen Einheiten Pkw-Fahrwerktechnik und Aktive Sicherheitstechnik hervor. Dahinter stehen 30.000 ZFMitarbeiter und ein Umsatz von 14 Milliarden Euro, der künftig merklich zulegen soll. Die neue Division sei ein „Wachstumsfeld“, ist Klein überzeugt. Sie biete „alle Hardware-Komponenten, um ein Fahrzeug in der Vertikal-, Längsund Querdynamik zu kontrollieren – und darüber hinaus die dazugehörige Vernetzung von Hardund Software“.
Gerade Software-Lösungen gewinnen für ZF mehr und mehr an Bedeutung. Indem der Konzern nicht nur Elektromotoren sowie alles rund ums Steuern, Bremsen und Dämpfen anbietet, sondern auch die Steuerung und Vernetzung dieser Komponenten inklusive der Software, stellt er sich nicht nur voll auf die Bedürfnisse seiner Kunden auf der ganzen Welt ein. Er hält dadurch auch in den NachVerbrenner-Zeiten
beachtliche Wertschöpfung im Unternehmen.
Zahlen zum zu Ende gehenden ersten Halbjahr 2023 wollte Klein auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“noch nicht nennen, diese würden am 2. August veröffentlicht. Dann fügte er aber doch noch an: „Wir wachsen schneller als der Markt. Ich würde sagen, wir sind gut unterwegs.“Keine schlechten Nachrichten für die weltweit 165.000 ZF-Mitarbeiter an 168 Standorten in 32 Ländern, die 2022 einen Umsatz von 43,8 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. Anstrengend wird es für die ZFler trotzdem bleiben – auf dem weiteren Weg weg vom Zahnrad und hin zum globalen Technologiekonzern. Man kann davon ausgehen, dass auch im kommenden Jahr wieder jede Menge Fachjournalisten an den See pilgern werden, um zu sehen, was die ZF-Entwickler dann alles an Neuheiten ausgetüftelt haben.
„Wir wachsen schneller als der Markt. Ich würde sagen, wir sind gut unterwegs.“