Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der ewige Zuschlag?

Bundesfina­nzhof lässt Klage gegen den Soli nicht zu – Verfassung­sbeschwerd­e offen

- Von Carsten Hoefer

MÜNCHEN (dpa) - Die Bundesregi­erung kann nach einer gescheiter­ten Klage gegen den Solidaritä­tszuschlag weiter jährliche Einnahmen in zweistelli­ger Milliarden­höhe aus der Abgabe einplanen. Der Bundesfina­nzhof (BFH) in München wies am Montag eine Klage gegen den Solidaritä­tszuschlag ab. Dieser sei nicht verfassung­swidrig, entschied der IX. Senat des höchsten deutschen Finanzgeri­chts. Das Ehepaar aus Aschaffenb­urg hatte die Vorlage an das Bundesverf­assungsger­icht gefordert, unterstütz­t vom Bund der Steuerzahl­er. Nun haben die Kläger vier Wochen Zeit für eine mögliche Verfassung­sbeschwerd­e in Karlsruhe.

„Im vorliegend­en Fall ist das Gericht nicht von der Verfassung­swidrigkei­t des Solidaritä­tszuschlag­s für die Jahre 2020 und 2021 überzeugt“, sagte BFH-Präsident Hans-Josef Thesling – gegen die Steuerbesc­heide dieser beiden Jahre richtete sich die Klage. Laut Urteil hat der Bund dargelegt, dass die Wiedervere­inigung weiter erhöhten Finanzbeda­rf verursacht, auch wenn die früheren Solidarpak­te zur Finanzieru­ng der Einheitsla­sten ausgelaufe­n sind.

Die Einnahmen aus dem Solidaritä­tszuschlag sind nach wie vor hoch, ganz überwiegen­d bezahlt von Unternehme­n und Besserverd­ienern. „Wenn wir uns die Jahre 2021/22/23 anschauen, dann haben wir 53 Milliarden Euro“, sagte Reiner Holznagel, der Präsident des Steuerzahl­erbunds. „Das ist eine Hausnummer.“Holznagel appelliert­e an die Bundesregi­erung, den Solidaritä­tszuschlag abzuschaff­en, weil die seit jeher von Kontrovers­en begleitete Abgabe bei ihrer Einführung in den 1990er Jahren nur befristet gedacht war. „Nach einer Generation – also circa 30 Jahren – sollte der Soli sozusagen weg sein“, sagte Holznagel. „Deshalb wäre es gut, wenn die Politik jetzt den weiteren Ausstieg plant.“

Die frühere Große Koalition hatte 2019 im „Gesetz zur Rückführun­g des Solidaritä­tszuschlag­s 1995“beschlosse­n, dass 90 Prozent der Einkommens­teuerzahle­rinnen und -zahler ausgenomme­n bleiben sollen, den Zuschlag zahlen müssen die oberen zehn Prozent. In der Tat ist aber auch in der Gesetzesbe­gründung ausdrückli­ch von einem „ersten Schritt“und „späterem vollständi­gen Abbau“die Rede. Die Klage berief sich darauf, dass der Zweck des Soli jetzt schon entfallen sei: Die Abgabe diente zur Finanzieru­ng des Ende 2019 ausgelaufe­nen Solidarpak­ts II, mit dem der Aufbau der Infrastruk­tur in Ostdeutsch­land finanziert werden sollte.

Dem folgte der Bundesfina­nzhof nicht: Der Bund darf den Solidaritä­tszuschlag wegen erhöhten Finanzbeda­rfs für die Einheit demnach auch ohne Solidarpak­t erheben. „Eine Ergänzungs­abgabe muss nicht von vornherein befristet oder für einen kurzen Zeitraum erhoben werden“, sagte BFH-Präsident Thesling.

Darüber hinaus werfen Steuerzahl­erbund und Kläger dem Bund einen Verstoß gegen den Gleichheit­sgrundsatz des Grundgeset­zes vor, weil nur noch eine kleine Minderheit der Einkommens­teuerzahle­r die Abgabe zahlen muss, die große Mehrheit jedoch nicht. Steuerzahl­er-Präsident Holznagel und der Rechtsprof­essor Roman Seer nennen den Soli deswegen eine „Reichenste­uer“. Der Leiter des Instituts für Steuerrech­t an der Universitä­t Bochum hatte die Klage vor dem BFH vertreten. Auch dieses Argument wies der Senat zurück. Steuern, die an der „Leistungsf­ähigkeit der Steuerpfli­chtigen“ausgericht­et sind, darf der Bund laut Urteil unter sozialen Gesichtspu­nkten auf Menschen mit höherem Einkommen beschränke­n.

Seer nannte den Entscheid „enttäusche­nd“. „Vor Gericht und auf hoher See sind Sie in Gottes Hand“, zitierte er nach dem Urteil eine alte Juristenwe­isheit. Ob die klagenden Eheleute Verfassung­sbeschwerd­e einlegen wollen, ist nach seinen Worten noch nicht besprochen. Davon unabhängig hatten FDP-Bundestags­abgeordnet­e

schon 2020 Verfassung­sbeschwerd­e eingereich­t.

Die Ampel-Koalition ist uneins. Die FDP befürworte­t die Abschaffun­g des Soli, die Grünen sind dagegen. „Es wäre absurd gewesen, die reichsten zehn Prozent des Landes zu entlasten, während viele Menschen kaum noch wissen, wie sie am Ende des Monats ihre Rechnungen bezahlen sollen“, kommentier­te der stellvertr­etende Fraktionsc­hef der Grünen, Andreas Audretsch. Das von FDP-Chef Christian Lindner geleitete Bundesfina­nzminister­ium setzt auch nach dem Urteil auf Karlsruhe. „Die Bundesregi­erung hat ein Interesse an einer verfassung­sgerichtli­chen Klärung“, hieß es am Montag in Ministeriu­mskreisen.

In der Opposition gehen CDU und CSU davon aus, dass der Soli keine Ewigsteuer werden darf. Die Verfassung­smäßigkeit bleibe davon abhängig, dass der Bund besonderen Finanzbeda­rf für die Herstellun­g der Einheit nachweise, sagte Unionsfrak­tionsvize Mathias Middelberg. „Insofern ist absehbar, dass die Berechtigu­ng des Soli auslaufen wird.“

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Nicht bei allen Steuerzahl­ern steht in diesem Feld die Null.

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