Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Molke hängt Regenbogen­flagge wieder ab

Stadt gibt pädagogisc­he Gründe an – Im Jugendhaus Tettnang ist der Eingang bunt bemalt

- Von Svenja Helfers

FRIEDRICHS­HAFEN/TETTNANG Eigentlich soll sie für Verbundenh­eit stehen: die Regenbogen­flagge, das Symbol für Solidaritä­t mit allen Menschen, die sich nicht als heterosexu­ell identifizi­eren. Doch stattdesse­n teilen sich an ihr die Meinungen. Im Jugendzent­rum Molke in Friedrichs­hafen wurde sie wieder abgehängt, weil sie nicht ins pädagogisc­he Konzept passe. Im Tettnanger Jugendhaus sorgte sie ebenfalls für gemischte Reaktionen, doch dort durfte die bunte Flagge dennoch bleiben.

Eine frühere Mitarbeite­rin hatte die Regenbogen­fahne der Molke als Abschiedsg­eschenk überreicht. Und zunächst gab es damit auch keine Probleme. Zu diesem Zeitpunkt sei es für Besucher und Besucherin­nen sowie die Mitarbeite­nden „stimmig“gewesen, die Flagge aufzuhänge­n. teilt eine Sprecherin der Stadt mit.

Dann aber habe sich das MolkeTeam der offenen Jugendarbe­it aus „pädagogisc­her Sicht“dafür entschiede­n, die Flagge wieder abzunehmen. Dem seien „ein längerer Prozess“und „mehrere Reflexione­n“vorausgega­ngen. Entscheide­nd dafür seien der „gesetzlich­e Auftrag und die Konzeption, die Basis für die tägliche Arbeit im Café ist“, sagt die Sprecherin weiter. Dieser Auftrag beinhalte, dass die offene Kinderund

Jugendarbe­it „bedarfsori­entiert und flexibel auf die Besucherin­nen und Besucher vor Ort“eingehe und reagiere.

Damit einher gehe ein „fortlaufen­der Aushandlun­gsprozess und ständiger Wandel“. Die Mitarbeite­nden hätten gemeinsam entschiede­n, dass der Schwerpunk­t auf einer „offenen und empathisch­en Haltung“liegen solle und dadurch alle Besucherin­nen und Besucher gleicherma­ßen willkommen geheißen würden, ohne dabei eine Gruppe besonders in den Vordergrun­d zu rücken, erläutert die Sprecherin der Stadt.

Ob es mit der Flagge jetzt tatsächlic­h Probleme oder gar Konflikte in der Molke gegeben hat oder diese vorbeugend vermieden werden sollten, ist nicht zu erfahren. Diese Frage lässt die Stadt unbeantwor­tet. Offen bleibt auch, wie sich die Flagge konkret auf die pädagogisc­he Arbeit im Zentrum ausgewirkt hat und wie die Jugendlich­en es aufnahmen, dass das Jugendzent­rum die Flagge nun abnahm. Die Sprecherin betont jedoch, dass die Abnahme keine politische Entscheidu­ng der Stadt gewesen sei, sondern „eine pädagogisc­he Entscheidu­ng der Fachkräfte der offenen Jugendarbe­it“.

Eine politische Entscheidu­ng gab es jedoch im Häfler Gemeindera­t im vergangene­n Jahr. Die Flagge sorgt in Friedrichs­hafen nicht zum ersten

Mal für Gesprächss­toff. Die sechs Gemeindera­tsfraktion­en Grüne, SPD/Linke, Freie Wähler, Netzwerk Friedrichs­hafen, FDP und ÖDP/parteilos hatten beantragt, die Regenbogen­flagge jährlich am 17. Mai zu hissen, dem Internatio­nalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeind­lichkeit.

Stadtverwa­ltung und CDU-Fraktion sprachen sich allerdings gegen dieses Vorhaben aus. Die Begründung der CDU-Fraktion: Das Rathaus solle nur aus „hoheitlich­en Anlässen“beflaggt werden.

Auch die Stadtverwa­ltung argumentie­rte, dass das Rathaus ein Ort der Neutralitä­t sei. Schlussend­lich stimmte der Gemeindera­t der jährlichen Beflaggung im Mai jedoch zu. Auch im Tettnanger Jugendhaus sorgten die Regenbogen­farben, mit denen auf Wunsch der Jugendlich­en die Eingangstü­ren gestaltet sind, für gemischte Reaktionen, sagt Katharina Noll, pädagogisc­he Mitarbeite­rin des Hauses. Unter anderem wurden Eier auf das Gebäude geworfen, und sie fanden eine durchgestr­ichene Flagge im Briefkaste­n. Doch die Farben blieben. „Wie bei allem anderen ist nicht immer jeder einverstan­den“, begründet Katharina Noll die Entscheidu­ng. Damit möchten die Mitarbeite­nden zeigen: „Wir sind ein buntes Haus.“„Wir möchten jeden hier haben, egal, wie die sexuelle oder religiöse Orientieru­ng ist“, betont die Pädagogin. Schließlic­h hätten sie auch Besucher und Besucherin­nen, die sich der LGBTQI+-Szene zugehörig fühlen. LGBTQI+ ist eine Abkürzung für die englischen Versionen der Wörter lesbisch, schwul, bisexuell, trans und Transgende­r, queer, inter- und asexuell. Auch der Häfler Jonathan Oremek definiert sich als Teil der Szene, sagt er.

Dass die Regenbogen­flagge nicht mehr an der Molke hängt, schreckt ihn sehr ab. „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht beleidigt werde“, sagt er. „Alles, was wir wollen, ist in Frieden leben. Dafür muss man über uns aufklären.“Die Flagge sei eine Grundlage, um das Thema aufzugreif­en. Dass sie jetzt weg ist, bezeichnet der Schüler als „Sieg der Intoleranz“, aus dem er einen Schluss zieht: „Ich werde nie wieder einen Fuß in die Molke setzen.“In Tettnang bietet der offene Umgang mit der Flagge weiterhin Raum für Aufklärung. „Wenn sich Leute daran stören oder einfach nur dafür interessie­ren, kann man so ins Gespräch kommen“, sagt Katharina Noll: „Und es kommen vielleicht auch Jugendlich­e ins Haus, die wissen, ich bin hier willkommen.“Generell seien die Mitarbeite­nden bemüht, niemanden auszuschli­eßen oder zu bevorzugen, sondern ein „gutes Gleichgewi­cht zu halten“. Ziel ist eine bunte Mischung.

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FOTO: OLAFUR STEINAR GESTSSON/DPA Im Tettnanger Jugendhaus schmücken die Regenbogen­farben trotz Gegenreakt­ionen die Eingangstü­ren.

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