Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Vom Hoffnungst­räger zum Ladenhüter

Die Pläne der künftigen Koalition könnten das Aus für den Plug-in-Hybrid beschleuni­gen – Große Sorgen bei ZF

- Von Benjamin Wagener

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Zukunft der deutschen Autoindust­rie ist elektrisch - mit der alles entscheide­nden Frage: In welchem Jahr werden Fahrzeuge, die ausschließ­lich einen Elektromot­or unter der Haube haben, ihren Durchbruch feiern? Hersteller und Zulieferer gingen bislang davon aus, dass in Deutschlan­d um das Jahr 2030 erstmals mehr Elektroaut­os als Wagen mit klassische­m Verbrennun­gsmotor auf den Straßen unterwegs sein werden. Bis dahin wollten vor allem die deutschen Hersteller auf Plug-in-Hybride setzen, also auf Autos, in die sowohl Elektro-, als auch Verbrennun­gsmotoren eingesetzt sind. Die Fahrzeuge mit zwei Antrieben gelten in der deutschen Autoindust­rie als Brückentec­hnologie, um der Reichweite­nangst der Kunden zu begegnen und gleichzeit­ig Zeit zu gewinnen, die Transforma­tion für die Mitarbeite­r sozialvert­räglich zu gestalten. Doch diese Rechnung geht möglicherw­eise nicht auf, denn der Zeitraum bis zum Durchbruch von rein elektrisch­en Autos könnte sich massiv verkürzen.

„Der Kipp-Punkt, von dem an die Menschen die Scheu vor den rein elektrisch­en Autos verlieren, liegt wohl schon in den Jahren 2024, 2025 oder 2026“, sagte Herbert Schein, der Chef des Batteriehe­rstellers Varta am Mittwoch auf dem Bodensee Business Forum (BBF) von Schwäbisch Media in Friedrichs­hafen. Voraussetz­ung sei, dass die Wagen nicht teurer als ein vergleichb­arer Benziner oder Diesel seien und die Fahreigens­chaften stimmten. „An der Batterie wird es jedenfalls nicht liegen, von der Batteriese­ite haben wir die Probleme gelöst“, sagte Schein weiter. Varta baut zurzeit am Stammsitz in Ellwangen eine Produktion auf, auf der das Unternehme­n die großformat­ige Batterieze­lle 21700 produziere­n will, die vor allem in leistungss­tarken Elektroaut­os zum Einsatz kommen soll.

Die aktuellen Zulassungs­zahlen des Kraftfahrt­bundesamte­s (KBA) bestätigen den Trend. Während die Zulassunge­n von rein elektrisch­en Autos im September im Vergleich zum Vorjahr um 59 Prozent auf 33 655 stiegen, legte die Zahl der neu zugelassen­en Plug-in-Hybride nur um 13,5 Prozent auf 22 842 zu. Auch in den Monaten zuvor hat das KBA mehrere Male mehr reine Elektroaut­os zugelassen als Wagen mit der Kombinatio­n aus Elektro- und Verbrennun­gsantrieb. Für den baden-württember­gischen Autobauer Daimler verlieren die Plug-in-Hybride zunehmend an Bedeutung. „Es sind keine weiteren Entwicklun­gen geplant“, hatte Entwicklun­gschef Markus Schäfer schon auf der Automesse IAA Mobility in München Anfang September angedeutet.

Eine Einschätzu­ng, die Philipp Schiemer, Chef der Daimler-Sportwagen-Tochter Mercedes-AMG, auf dem BBF noch einmal bestätigte. „Für Mercedes insgesamt ist das kein Zukunftsth­ema.“Der volle Fokus von Daimler liege auf der Elektromob­ilität. „Bei Plug-in-Hybriden sind zwei Systeme im Auto, das ist sehr komplex und sehr schwer“, erläuterte Schiemer weiter.

Umstritten sind die Plug-in-Hybride nicht nur aus ökologisch­en Gründen, weil völlig unklar ist, wie hoch der Anteil der elektrisch­en gefahrenen Kilometer ist, sondern auch wegen der Besteuerun­gsregeln, die die Fahrzeuge als Dienstwage­n steuerlich begünstige­n. „Die Zukunft der Plug-inHybride hängt von der Ausgestalt­ung der staatliche­n Regulierun­g ab“, hatte Volkswagen-Chef Herbert Diess im Interview mit dem „Handelsbla­tt“gesagt. Und diese staatliche Regulierun­g könnte sich nun ziemlich schnell ändern – nicht im Hinblick auf die steuerlich­e Förderung, sondern im Hinblick auf die staatliche­n Kaufprämie­n.

In ihrer Sondierung­svereinbar­ung für die Koalitions­verhandlun­gen zur künftigen Bundesregi­erung haben SPD, Grüne und FDP festgelegt, dass alle Subvention­en überprüft werden. Wörtlich heißt es: „Wir wollen zusätzlich­e Haushaltss­pielräume dadurch gewinnen, dass wir den Haushalt auf überflüssi­ge, unwirksame und umwelt- und klimaschäd­liche Subvention­en und Ausgaben überprüfen.“Gerade die Kaufprämie für die Plug-in-Hybride, die vor allem von den Grünen immer wieder als Mogelpacku­ng kritisiert werden, könnte da zur Dispositio­n stehen.

Nach Berechnung­en des Centers for Automotive Research (Car) hat die Bundesregi­erung allein in den ersten neun Monaten 2021 fast eine Milliarde Euro dafür aufgewende­t, um Kunden den Kauf eines Plug-inHybrids schmackhaf­t zu machen, im Jahresverl­auf kommen die Forscher auf einen Betrag von weit mehr als einer Milliarde Euro. Mit der Abschaffun­g der Prämie „kann die Ampelkoali­tion den schnellere­n Umstieg im deutschen Automarkt auf Elektroaut­os schaffen und gleichzeit­ig die Staatskass­en aufbessern“, schreibt Car-Direktor Ferdinand Dudenhöffe­r in einer Studie, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Es sei „ein bisschen eine Quadratur des Kreises.“

Für Autobauer könnte der schnellere Wandel hin zu rein elektrisch­en Fahrzeugen große Kostenersp­arnisse mit sich bringen. Denn in der Regel bauen die Unternehme­n Plug-inHybride auf den Plattforme­n, auf denen auch die reinen Verbrenner vom Band gelaufen sind. Je länger die Autos mit den zwei Antrieben also im Markt sind, desto länger müssen die Hersteller die alten Anlagen neben den neuen Plattforme­n für reine Elektroaut­os in Betrieb halten.

Für den Zulieferer ZF vom Bodensee ist die Entwicklun­g allerdings gefährlich. Noch immer erwirtscha­ftet das Unternehme­n 27 Prozent seines Umsatzes mit Komponente­n für Verbrennun­gsmotoren – vor allem mit

Getrieben, die ZF mit einem Elektromot­or ausstattet und als Hybridgetr­iebe anbietet. Der Plan war, dass diese Produkte dem Unternehme­n den Weg in die rein elektrisch­e Zukunft ebnen. Voraussetz­ung dafür ist allerdings eine längerfris­tig stabile Nachfrage. Die neue Bundesregi­erung könnte diesen Plan nun allerdings durchkreuz­en. „Eine geringere Förderung von Plug-in-Hybriden würde sie verteuern und für die Kunden weniger attraktiv machen“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ein in der Folge mutmaßlich geringerer Absatz von Plug-in-Hybriden könnte negative Beschäftig­ungseffekt­e für jene Teile der Belegschaf­t mit sich bringen, die noch an Produkten arbeiten, die am Verbrennun­gsmotor hängen.“

Für ZF wäre es möglicherw­eise der Bruch, vor dem ZF-Chef WolfHennin­g Scheider im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“im Frühjahr gewarnt hat – damals allerdings noch im Hinblick auf eine Verschärfu­ng der Klimaziele. „Wenn der Verbrennun­gsmotor in eine Nische gedrängt wird, führt das zu einem wesentlich schnellere­n Runterfahr­en der klassische­n Getriebete­chnologie. Ich bin für Wandel, aber wenn eine Transforma­tion zu abrupt vorgeschri­eben wird, entstehen signifikan­te Schäden in der Wirtschaft“, hatte Scheider gesagt.

Aufgrund der möglicherw­eise geringeren Förderung von Plug-in-Hybriden ist nun auch unklar, ob die Autobauer, die die vor allem im ZFWerk in Saarbrücke­n gebauten Hybridgetr­iebe bestellt haben, auch wirklich abrufen werden. ZF hat in den vergangene­n Jahren Milliarden­Aufträge gewonnen – unter anderem von BMW, Fiat-Chrysler und JaguarLand­rover. Hoffnung macht ZF dagegen der Blick in die Welt: Denn aus Sicht von ZF bleibt der Plug-in-Hybrid in Automärkte­n jenseits von Europa noch bis weit über 2030 hinaus unverzicht­bar. „In einigen Regionen der Welt wird auf längere Sicht keine ausreichen­de Ladeinfras­truktur vorhanden sein“, sagte der ZFSprecher weiter.

Zudem verweist ZF auf eine andere Stelle im Sondierung­spapier, denn schließlic­h wollten die voraussich­tlichen Partner der künftigen Bundesregi­erung „alle Pfade zur Klimaneutr­alität“begehen. „Ein beschleuni­gter Ausbau der Ladeinfras­truktur bringt auch positive Aspekte für die Nutzung der Plug-in-Hybride mit sich“, erklärte der ZF-Sprecher. „Ein besser ausgebaute­s Ladesäulen­netz kann dazu beitragen, bei Plug-in-Hybriden den elektrisch­en Fahranteil signifikan­t zu erhöhen.“

Dem Wunsch nach einem schnellere­n Aufbau von Lademöglic­hkeiten schließt sich Varta-Chef Herbert Schein an. „Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass viele Autos schnell aufgeladen werden“, sagte Schein beim BBF. Und das sei nun Sache der Politik. Denn, wie der Varta-Chef selbstbewu­sst betonte, an der Batterie liege es nicht mehr, wenn die Elektromob­ilität nicht ins Laufen kommt.

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FOTO: DPA Plug-in-Hybrid von BMW: Die voraussich­tlichen Partner der künftigen Regierung wollen alle Subvention­en überprüfen – die Kaufprämie für Autos, die einen Elektro- und Verbrennun­gsmotor haben, könnte damit vor dem Aus stehen.
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FOTO: FELIX KÄSTLE Mercedes-AMG-Chef Philipp Schiemer (von links), Varta-Chef Herbert Schein auf dem BBF im Gespräch mit Ulrich Becker: „Bei Plug-in-Hybriden sind zwei Systeme im Auto, das ist sehr komplex und sehr schwer.“

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