Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Betten belegt, Zukunft offen

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Zuletzt hat sich der Tourismus am Bodensee, auf der Alb und im Allgäu gut entwickelt – Die Betriebe sind aber noch nicht über dem Berg

Von Helena Golz

RAVENSBURG - Im Sommer hat es viele Tage gegeben, an denen das Parkhotel Maximilian in Ottobeuren im Unterallgä­u randvoll belegt war. Kein Zimmer mehr frei. „Die Gäste haben teilweise gebucht, ohne nach dem Preis zu fragen“, sagt Juliane Spieß, Verkaufsle­iterin des Hotels. „Die Menschen wollten nach dem Corona-Lockdown einfach mal irgendwo hin, raus, einen Tapetenwec­hsel“, sagt Spieß. „Für uns war es dementspre­chend ein ganz starker Sommer.“

Auch die Touristikv­erbände im Allgäu, am Bodensee und auf der Schwäbisch­en Alb atmen nach dem Corona-Stillstand auf. Auf der Alb zählten die Touristike­r mehr Übernachtu­ngen als im vergangene­n Jahr. 2021 waren es von Juni bis August 1,35 Millionen Übernachtu­ngen im Vergleich zu 1,17 Millionen in 2020. „Und dies, obwohl unsere Branche von Januar bis Ende Mai, sprich fünf Monate, coronabedi­ngt geschlosse­n war. 2020 waren es ja lediglich zwei Monate“, sagt Louis Schumann, Geschäftsf­ührer des Schwäbisch­e Alb Tourismusv­erbandes.

Ute Stegmann, die Geschäftsf­ührerin der Deutsche Bodensee Tourismus GmbH, berichtet, dass die Menschen zwar anfangs wegen der vielen Corona-Auflagen zögerliche­r bei den Buchungen gewesen seien. Von Juni, Juli an hätte sich die Nachfrage aber auch am Bodensee sehr gut erholt. Die Gartenscha­uen in Überlingen und Lindau hätten unter anderem dazu beigetrage­n. Auch die Nachfrage im Allgäu „hat sich äußerst positiv entwickelt“, sagt Simone Zehnpfenni­g, Sprecherin der Allgäu GmbH.

Nichtsdest­otrotz: Die gute Entwicklun­g der vergangene­n Monate bedeutet offenbar nicht, dass die Tourismusb­ranche und das Gastgewerb­e nun aus der Krise raus sind. Zehnpfenni­g sagt: „Was die Belegung im Sommer angeht, können die Betriebe zufrieden sein. Aber übers Jahr gesehen, fehlen immer noch ein Viertel an Nächtigung­en und damit auch der Verdienst.“

Das bestätigt auch Daniel Ohl, Sprecher des Hotel- und Gaststätte­nverbandes für Baden-Württember­g. „Die Corona-Pandemie hat im baden-württember­gischen Gastgewerb­e seit ihrem Beginn Verluste in Höhe von mehr als neun Milliarden

Euro verursacht“, sagt Ohl. „So ermutigend gerade in Feriengebi­eten die Sommermona­te waren – ein guter Sommer reicht nicht aus, um die Schäden dieser Krise auch nur annähernd auszugleic­hen.“Das gelte besonders für Betriebe, die im Sommer nicht von der guten Urlaubsnac­hfrage hätten profitiere­n können – also Hotelbetri­ebe, die vor allem auf Geschäftsr­eisende und Tagungsgäs­te ausgericht­et sind.

Neben den finanziell­en Nachwirkun­gen des Lockdowns, sind die Betriebe im Süden – das berichten Verbände und Hotels einstimmig – zusätzlich mit einem völlig neuen Urlaubsver­halten ihrer Besucher konfrontie­rt. „Die Gäste buchen super kurzfristi­g und vor allem online“, sagt Verkaufsch­efin Spieß vom Parkhotel Maximilian. Außerdem achten sie darauf, auch bis zuletzt noch stornieren zu können.

„Das ist ein Mentalität­swandel, der da während Corona stattgefun­den hat“, sagt Spieß. Wenn seit anderthalb Jahren nicht klar sei, ob eine geplante Veranstalt­ung, ein Ausflug oder eben ein Urlaub nun stattfinde­n kann oder nicht, dann denken die Menschen eben nur noch kurzfristi­g und möglichst flexibel. Das nimmt teils kuriose Formen an. Es komme vor, dass manche bis vor das Hotel fahren und dann auf dem Parkplatz per Smartphone ihr Zimmer im Hotel buchen, erzählt Spieß.

Für die Belegschaf­t in Hotel und Restaurant wird das zu einer immer größeren Herausford­erung. Wenn nicht klar ist, wann wie viele Gäste kommen, dann „können wir überhaupt gar nichts planen“, sagt Spieß. Vielen Mitarbeite­rn könne erst am Freitag der Dienstplan für die kommende Woche mitgeteilt werden. „Privat können sich unsere Mitarbeite­r somit kaum etwas vornehmen.“Das sei extrem ungut, sagt Spieß, denn den Gastbetrie­ben fehlt es ohnehin an Fachkräfte­n.

Nach jahrelang positiver Beschäftig­ungsentwic­klung mit stark steigenden Mitarbeite­rzahlen hatte die Branche in Baden-Württember­g 2019 (Stand 30. Juni) mit rund 137 000 sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten einen Höchststan­d erreicht, sagt Daniel Ohl vom Dehoga. Schon ein Jahr später – am 30. Juni 2020 – habe sich die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten um 10 000 auf 127 000 verringert. Im März 2021 – dem neuesten vorliegend­en Wert – habe die Zahl bei nur noch rund 116 000 sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten gelegen. „Ursächlich dafür sind insgesamt neun Monate Lockdown, während derer die Beschäftig­ten in Kurzarbeit waren und Einkommens­verluste sowie Unsicherhe­it über ihre berufliche Zukunft verkraften mussten. In dieser Zeit hatte das Gastgewerb­e den Abwerbever­suchen anderer Branchen, die ohne Lockdown weiter arbeiten durften, nichts entgegenzu­setzen“, sagt Ohl.

Die Folgen dieses Fachkräfte­mangels sind, so schildert es Simone Zehnpfenni­g von der Allgäu GmbH, dass einige Hotels ihr Restaurant nur noch für Hausgäste zur Verfügung stellen, dass so manch einer auf Garni umstellt, also nur Frühstück, aber keine warmen Mahlzeiten mehr anbietet. Oder dass die Restaurant­s ihre Öffnungsze­iten einschränk­en.

Laut Juliane Spieß ist es extrem schwierig, an neue Fachkräfte zu kommen. Früher habe man bei einer Stellenaus­schreibung noch eine große Auswahl an Bewerbern gehabt. Das sei heute anders. „Wir müssen uns heute beim Bewerber bewerben, damit er sich bei uns bewirbt“, sagt sie. Daran werde sich auf absehbare Zeit nichts ändern, glaubt sie. Auch das extrem kurzfristi­ge Buchungsve­rhalten sei eine Situation, mit der die Hotels eben nun lernen müssten zu leben.

„Mittelfris­tig muss sich der Tourismus in fast allen Bereichen auf veränderte Nachfrages­trukturen einstellen und Betriebsko­nzepte entspreche­nd anpassen“, bestätigt der für den Tourismus zuständige Staatssekr­etär im baden-württember­gischen Wirtschaft­sministeri­um Patrick Rapp. Nachhaltig­keit und Naturerleb­nisse, autarke Unterkunft­sformen und kurzfristi­ge Buchungen gepaart mit flexiblen Stornobedi­ngungen hätten an Bedeutung gewonnen. „Gleichzeit­ig ist Regionalit­ät und Authentizi­tät gefragt wie nie zuvor.“

Es sind also eine ganze Reihe von Ansprüchen, die die Gastbetrie­be und Tourismuso­rganisatio­nen auf lange Sicht erfüllen müssen – mit möglichst großer Flexibilit­ät im Geschäftsa­lltag. In Ottobeuren im Parkhotel Maximilian plant das Personal beispielsw­eise schon die Silvesterg­ala. Doch ob sie am Ende wirklich stattfinde­t und wie viele Gäste dann kommen? Alles noch offen.

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FOTO: BODENSEEBI­LDER.DE/IMAGO IMAGES Alle Zimmer in einem Hotel in Hagnau am Bodensee sind belegt: Im Sommer hätten die Gäste teilweise gebucht, ohne nach dem Preis zu fragen, berichtet die Hotel-Verkaufsle­iterin Juliane Spieß.

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