Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Schutz vor Infektion nimmt mit der Zeit ab“
Stiko-Chef Thomas Mertens zu den Corona-Aussichten für Herbst und Winter
RAVENSBURG - Bald beginnt die kalte Jahreszeit. Was das für den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie bedeutet, erläutert der Virologe Thomas Mertens im Interview.
Was lässt sich schon jetzt aus den vorhandenen Daten für den Verlauf der Pandemie im Herbst und Winter ablesen?
Der wesentliche Faktor ist wohl, dass sich die Menschen mit der Änderung der Witterung mehr in Innenräumen aufhalten. Es ist sehr gut bekannt, dass das Risiko einer Infektion über die Luft in Räumen viel größer ist als im Freien. Man kann sich dies als Verdünnungseffekt vorstellen. Im Freien führt der große umgebende Luftraum sehr schnell dazu, dass Viren in der Ausatemluft einer infektiösen Person sehr rasch so stark verdünnt werden, dass eine Infektion von Umstehenden fast unmöglich wird. Je nach Größe, Belüftung und Anzahl der Menschen ist das in Räumen ganz anders. Es infizieren, für die Virusausbreitung kommen haben, ist nicht ganz genau bekannt, noch weitere aber diese Rolle ist sicher viel geringer Faktoren als die der Ungeimpften. Sehr hinzu: so wichtig ist es jetzt, dass alle durch führt zum Impfung geschützt sind, die ein hohes Beispiel intensive Risiko für eine schwere Erkrankung Sonneneinstrahlung nach einer Infektion haben. Zum ausreichenden Schutz gehört zur Inaktivierung auch, dass sich jetzt alle Menschen, die älter als 70 Jahre sind oder die ein von Viren. nicht ganz funktionstüchtiges Immunsystem haben (Immundefiziente), ein drittes Mal impfen lassen. Weiterhin soll man darauf achten, dass es bei Menschenansammlungen in Räumen, wie etwa bei einem Konzert oder im Theater, nicht zu Virusübertragungen auf Ungeimpfte kommt. Dazu dienen ja auch die sogenannten 2G- und 3G-Regeln. Nicht ganz vergessen darf man, dass sich zum Beispiel Influenzaviren natürlich auch bei Einhaltung der genannten Regeln verbreiten können.
Anders als im vergangenen Herbst ist inzwischen ein Großteil der Erwachsenen geimpft. Kann sich eine vergleichbare Infektionswelle wie vor einem Jahr überhaupt noch einmal aufbauen?
Eine Infektionswelle kann sich auch noch in der ungeimpften Bevölkerung aufbauen, zumal der Anteil der Geimpften gerade in der mobilen Gruppe der 18- bis 59-Jährigen noch geringer ist als bei den alten Menschen, die zudem weniger mobil sind. Hinzu kommt, dass die Impfung weiterhin sehr gut vor schwerer Erkrankung schützt, dass aber der Schutz vor Infektion geringer ist und auch mit der Zeit nach der Impfung noch abgenommen hat. Welche Rolle die Geimpften, die sich erneut
In Berlin wird über eine neue Koalition verhandelt. Sehen Sie eine Gefahr darin, dass Deutschland in dieser Phase der Pandemie eine Regierung hat, die nur noch geschäftsführend im Amt ist?
Das sehe ich eigentlich nicht. Die Arbeitsebene in den Ministerien bleibt ja erhalten und der Gesundheitsminister auch, bis ein neuer kommt. Zudem ist ja die Umsetzung der Maßnahmen eine Sache der Bundesländer. Zuletzt kann es auch ein Vorteil sein, wenn nicht ständig mehr Meinungen geäußert werden als nötig.
Seit Ende September werden baden-württembergische Schüler dreimal pro Woche getestet – bei PCR-Testung zweimal. Bei den über Zwölfjährigen steigt außerdem die Impfquote. Das Kultusministerium will nun die Maskenpflicht an Schulen lockern. Ist das eine kluge Entscheidung?
Das ist schwer eindeutig zu beantworten und hängt entscheidend davon ab, welche Gesamtstrategie verfolgt wird. Will man die Zahl der Neuinfektionen sehr gering halten, dann können Masken hierzu beitragen. Der Effekt, den Masken zusätzlich zum Testen haben, hängt aber wieder von den jeweiligen Gegebenheiten (Räumlichkeiten, Lüftung, Schülerdichte) ab. Zu dieser Frage kann man sicher auch unterschiedliche Meinungen ganz gut begründen.
Laut dem Fachblatt „Nature“sagte jeder zweite Virologe in einer Befragung, seit Beginn der Pandemie schon verbal oder körperlich angegriffen worden zu sein. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ich bin sehr häufig angeschrieben worden. Manchmal positiv, manchmal kritisch, manchmal auch aggressiv und beschimpfend. Die Art der Zuschriften hing deutlich von den jeweiligen Stiko-Entscheidungen ab. Es gibt schon auch E-Mails, die offensichtliche Aggressivität, Dummheit, Irrationalität und Verbohrtheit zeigen und die erkennen lassen, dass eine inhaltliche Argumentation nicht möglich ist.
BERLIN