Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Keine Mindestpreise für Lebensmittel
Merkel und Klöckner rufen Handel zu Fairness auf – Wenig konkrete Hilfen für Landwirte
BERLIN (AFP/dpa) - Angesichts von Kampfpreisen für Lebensmittel in vielen Supermärkten haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (beide CDU) den Handel zu fairen Bedingungen für die Bauern aufgerufen. „Wir haben ein gemeinsames Interesse an einer starken regionalen Versorgung unserer Bevölkerung mit einheimischen Produkten“, sagte Merkel am Montag nach einem Spitzentreffen im Kanzleramt mit Vertretern der großen Supermarktketten sowie der Ernährungsindustrie. Dabei ziele die Politik nicht auf staatlich verordnete Mindestpreise, aber auf „faire Beziehungen“zwischen den Akteuren am Markt. Eine EURichtlinie gegen Praktiken, mit denen Händler kleinere Lieferanten bisher oft unter Druck setzen, soll schnell umgesetzt werden.
Merkel sagte, es gehe darum, gute Lebensmittel zu verkaufen und dafür zu sorgen, dass Landwirte „auskömmlich“ihr Geld verdienten. Sie verwies auf eine „gewachsene Sensibilität“für Qualität und Umwelt, die sinnvoll sei, aber auch ihren Preis hätte. Angesichts der hohen Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ruhten „natürlich sehr viele Erwartungen“auf den großen Händlern.
Klöckner erneuerte nach dem Gespräch ihre Kritik an der Preispolitik mancher Händler. „Zwei Kilo Äpfel für 1,11 Euro, wie soll so etwas funktionieren?“, fragte sie. Höhere Lieferanforderungen und neue Auflagen, etwa die EU-Düngemittelverordnung, seien für die Landwirte nur mit höheren Preisen umzusetzen. Laut Klöckner sagten Handelsvertreter beim Treffen zu, in einer Selbstverpflichtung künftig auch Verhandlungspraktiken auszuschließen, die laut Richtlinie eigentlich erlaubt seien, von Bauern aber kritisiert würden. Beispiele nannte die Ministerin jedoch nicht. Rewe-Chef Lionel Souque erklärte, er habe zugesagt, Partnerschaften mit lokalen Erzeugern auszubauen. Gleichzeitig betonte Souque, Rewe wolle gesunde und sichere, aber bezahlbare Ernährung „auch in Zukunft sicherstellen“.
Konkurrent Edeka setzt nach eigenen Angaben auf „faire, partnerschaftliche und langfristige Beziehungen zur Landwirtschaft“und bietet „gerade lokalen Herstellern sehr gute Absatzchancen“. Markus Mosa, Vorstandsvorsitzender von Edeka, verwies aber auch auf die „internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Lebensmittelindustrie“.
GEBERSBACH-MUSBACH
- Landwirt Matthias Eisele hat ein großes Problem mit der überarbeiteten Düngeverordnung. Mehr noch: Er dürfte beispielhaft dafür stehen, was bei dieser demnächst in Kraft tretenden Novelle alles schieflaufen kann. „Eigentlich sind Teile der Regelung für Normalmenschen völlig unverständlich“, sagt der 43-jährige drahtige Mann, dessen Hof bei Ebersbach-Musbach mitten im Oberschwäbischen liegt.
Routinemässig überprüft er an einem eisigen Wintermorgen beim Geräteschuppen sein Gülleverteilgerät, schraubt daran herum, friert sich fast die Finger ab – und schimpft gewaltig über die Novelle. Sie ergänzt die 2017 verabschiedete Düngeverordnung. Prinzipiell ist der Zweck ein besserer Schutz des Grundwassers. Es geht um eine stellenweise in Deutschland vorhandene hohe Belastung durch das womöglich krebserregende Nitrat. Diese Stickstoffverbindung findet sich in der Gülle, beziehungsweise allgemein in Düngemitteln. Die Novelle besagt nun unter anderem, dass in heiklen Landstrichen weniger davon auf Äcker und Wiesen ausgebracht werden soll.
Dies trifft Eisele voll. Er hat rund 1800 Schweine in den Ställen seines Hofs: Muttersauen, Ferkel, Mastschweine. „Jährlich“, berichtet er, „kommen 1800 Hektoliter Gülle zusammen.“Anders als vielleicht vom Landleben abgeschnittene Großstädter glauben, sind dies für den Bauern nicht einfach flüssige Ausscheidungen, sondern wertvoller Dünger. Den braucht Eisele wiederum für seine Äcker. Dort wächst im Großen und Ganzen das, was seine Sauen futtern, wieder ausscheiden und so erneut Gülle produzieren. „Eine Kreislaufwirtschaft“, meint der Landwirt zufrieden. Aber in seinem Fall ein höchst bedrohtes System.
Unweit des zu einem Weiler gehörenden Hofs existiert nämlich tatsächlich ein bedrohtes Grundwassergebiet, beziehungsweise ein Grundwasserkörper, wie Fachleute sagen würden. Es ist das Gewann Mannsgrab, aus dem Wasser für zig Gemeinden im Landkreis Sigmaringen geholt wird. Seine Belastung durch Nitrat liegt offenbar über dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Weshalb dies dort so ist, gilt in der Gegend als umstritten. Vielleicht eine Überdüngung?
Womöglich könnte aber auch ein Straßenbau, ein Neubaugebiet oder das Bevölkerungswachstum der nahen Stadt Bad Saulgau an den hohen Nitratwerten schuld sein. Der Stoff ist beispielsweise in der Atmosphäre und schlägt sich in geringem Umfang am Boden nieder. Erdarbeiten können das Nitrat daraus wieder lösen. In Hausgärten werden Blumen oder Salat gedüngt. Lecke Abwasserleitungen sind weitere mögliche Verschmutzungsfaktoren.
Bauern verweisen gerne auf solche Umstände. Darüber, wie relevant sie sind, darf spekuliert werden. Jedenfalls haben die Behörden die Gegend rund um den Grundwasserkörper beim Gewann Mannsgrab weiträumig zu einer roten Zone erklärt. Baden-württembergweit betrifft dies neun Prozent der Landesfläche. In Bayern sind es 21 Prozent. Wo exorbitant viel Vieh gehalten wird, ist es noch viel mehr – etwa 39 Prozent in Niedersachsen. Die Düngebeschränkungen in solchen Zonen werden von Betroffenen als einschneidend wahrgenommen.
Für seinen Hof erklärt Eisele: „Es wären 20 Prozent weniger Dünger als ich brauche. Das bedeutet weniger Pflanzenwachstum und damit ein geringerer Ertrag.“Hinzu kommt, dass übrig bleibende Gülle in irgendeiner Form entsorgt werden muss. Wirtschaftliche Einbußen wären also durch die neue Verordnung programmiert. Gleichzeitig leben drei Generationen von dem Hof: die Eltern von Eisele, er selber und seine Frau und die vier Kinder. „Das ist natürlich eine Verpflichtung, dass es weitergeht“, sagt der Landwirt.
Sein Pech ist, dass sein Hof inklusive der Äcker in besagter roter Zone ist. Nun kommt aber der Witz der Geschichte – oder Eiseles persönliche Tragik. Zwischen seinem Besitz und dem belasteten Wasserentnahmegebiet verläuft die europäische Wasserscheide – so etwa in 400 Meter Entfernung Richtung Norden. Das heißt, alles, was bei ihm in den Boden kommt, kann gar nicht in Richtung Mannsgrab und der Brunnen geschwemmt werden. Es fließt nach Süden ab, zum Bodensee und dann in den Rhein. Wobei in Eiseles Umgebung der Nitratgrenzwert im Grundwasser nach seinem Wissen um 20 bis 30 Milligramm pro Liter unterschritten wird. Also wäre er von der Düngeeinschränkung eigentlich nicht betroffen – wenn es nicht die von
Amts wegen sonderbar gezogene rote Zone geben würde.
Wenig erstaunlich, dass solche Bereiche vom baden-württembergischen Landesbauernverband als besonderes Ärgernis betrachtet werden – zwar nicht grundsätzlich, aber in der Art der Umsetzung. Es würden einfach großflächig Gebiete herausgegriffen und zu roten Zonen erklärt, wenn in ihnen einige Messstellen überhöhte Nitratwerte melden würden, lauten die Klagen aus seinen Kreisen. Folgerichtig fordert der Bauernverband eine sogenannte Binnendifferenzierung. Elisabeth Roth vom Referat Umwelt erklärt: „Dass genauer betrachtet werden muss, welche Flächen genau problematisch sind und welche Teilflächen von den verschärften Regelungen ausgenommen werden sollten.“
Um dies besser zu verstehen, ist ein Blick auf die Erklärung des für Ebersbach-Musbach verantwortlichen Ravensburger Landratsamts ratsam. So seien die Nitratwerte der öffentlichen Brunnen des dortigen Wasserschutzgebietes „nicht besonders auffällig“. Die Landesanstalt für Umweltschutz habe aber weitere Messstellen, bei denen die Grenzwerte überschritten würden. Die Folge: Die unauffälligen Bereiche zählen nicht, der gesamte Grundwasserkörper ist rote Zone. Und weil hinter der ganzen Systematik eine EU-Verordnung steckt, lässt sich zumindest am grundsätzlichen Konstrukt nicht rütteln – zumal die Kommission in Brüssel stark genervt ist, dass Deutschland seit Langem die festgelegten Schutzmaßnahmen fürs Trinkwasser ignoriert. Bereits seit 2013 läuft deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen des Nichteinhaltens der Nitratrichtlinie.
Absichten der Bundesregierung, nochmals für Erleichterungen nachzuverhandeln, wurden erst vergangene Woche brüsk zurückgewiesen. Womit es dabei bleibt, dass Deutschland bis April eine scharfe gefasste Novelle vorlegen muss – durchaus auch begrüsst. Das grün geführte Umweltministerium in Stuttgart meldet sich entsprechend zu Wort. Wobei der gegenwärtige Entwurf aber Ökoverbänden nicht weit genug geht. Gülle gilt bei ihnen sowieso als absolutes Reizthema. Falsch ausgebracht, ist die Brühe schließlich auch sonst für allerlei Schäden gut – bis hin zu überdüngten und damit toten Bächen. So etwas verstärkt die Skepsis dieser Verbände bei der Düngenovelle. Die Deutsche Umwelthilfe hält sie für „halbgar“. Christine Tölle-Nolting, agrarpolitische Expertin der Bundesgeschäftsstelle des Nabus erklärt, „grundlegende Probleme der Düngung“blieben ungelöst. „So werden die zu hohen Tierdichten in Norddeutschland nicht angesprochen“, sagt sie.
Der Verweis auf Regionen in Richtung Küste wird übrigens von süddeutschen Agrarpolitikern gerne aufgenommen. Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) hat erst dieser Tage auf einer Bauernveranstaltung im Bodensee-Hinterland gelästert, wegen der norddeutschen Praxis sei man jetzt in wesentlich weniger belasteten hiesigen Landstrichen ebenso von strikten Vorgaben betroffen. Er und seine Leute haben jedoch inzwischen einen Plan ausgetüftelt, wie rote Zonen doch noch eingeschränkt werden könnten. Er orientiert sich am Bauernverband. „Wir werden die Grundwasserkörper neu vermessen“, verkündet Hauk in diesem Zusammenhang.
Die Idee dabei: Womöglich lässt sich ein bisher bestehendes Grundwassergebiet geologisch in mehrere Einheiten mit mehr Messstellen aufteilen. Von diesen Stückchen wäre dann vielleicht bloß eines nitratbelastet. Der schlechte Wert würde die anderen nicht mehr belasten. Sie kämen aus der roten Zone heraus. Die Düngeeinschränkungen für Landwirte entfielen auf diesen Flächen. Matthias Eisele mit seinem Hof bei Ebersbach-Musbach könnte zu den
Gewinnern zählen. In Bayern möchte der dortige Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) einen ähnlichen Weg beschreiten. Der Effekt für das Schrumpfen der roten Zonen soll durch das Steigern von 600 auf 1500 Messstellen gewonnen werden. Feineres Messen soll mehr unbelastete Grundwassergebiete ergeben.
Ein Problem existiert jedoch bei diesen ebenso in weiteren Bundesländern vorgesehenen Mess-Neuerungen. „Tricks“, wie aus Ökoverbänden gehöhnt wird. Die Maßnahmen brauchen Zeit. Viele Landwirte sind aber gegenwärtig wegen der Düngenovelle aufgebracht. Um etwas Ruhe in die Agrarszene hineinzubringen, hat die Bundesregierung vergangene Woche auf die Schnelle eine finanzielle landwirtschaftliche Beihilfe beschlossen: die „Bauern-Milliarde“, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einprägsam sagte. Die auf vier Jahre gestreckte Eurosumme soll Landwirten etwa Investitionen in neue Güllebehälter ermöglichen, sollten die tierischen Ausscheidungen nicht mehr so einfach ausgebracht werden können.
Eisele hat nachgerechnet. Würde die Milliarde Euro an die betroffenen Landwirte verteilt, blieben für seinen Hof rund 900 Euro im Jahr. Was er als lächerlich empfindet. Zudem ärgert es ihn, „wie die Politik immer wieder ins gleiche Horn bläst und versucht, uns Landwirte mit Subventionen abzuspeisen“. Eisele verortet darin eine fehlende Wertschätzung für die Bauern: „Die Politik kann doch nicht ernsthaft glauben, dass mit der Bauern-Milliarde das Problem vom Tisch ist.“
Ein Video-Interview mit Matthias Eisele und Erklärung der Technik finden Sie auf www.schwäbische.de/guelle-technik
„Teile der Regelung sind für Normalmenschen völlig unverständlich.“Landwirt Matthias Eisele