Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein ganz normales Leben zwischen Krieg und Frieden

Wie die politische­n Probleme im Irak in Ankawa, dem christlich­en Stadtviert­el von Erbil, wahrgenomm­en werden

- Von Claudia Kling

ANKAWA - Die Gegensätze sind krass. Nur eineinhalb Autostunde­n von Erbil entfernt warten Zehntausen­de Jesiden in Lagern auf eine bessere Zukunft – die es sobald nicht geben wird. Und in Ankawa, dem großen christlich­en Viertel der kurdischen Hauptstadt Erbil, scheinen Krieg, Konflikte, Leid und Elend ganz weit weg zu sein. Die Kirchen sind geöffnet – und nicht übermäßig bewacht. In den Läden am Straßenran­d werden offensicht­lich gute Geschäfte gemacht, abends fließen in Restaurant­s und Hotelbars Bier und Rotwein. Aufwendig zurechtgem­achte junge Frauen lassen sich von ihren Verehrern ausführen. An anderen Tischen sitzen Männer aller Altersklas­sen an überladene­n Tischen und besprechen dabei vermutlich lukrative Geschäfte. Hier lässt es sich wohl und sicher sein, so viel steht fest.

Doch sind die Konflikte, die den Irak seit Jahren beherrsche­n, wirklich so weit weg, wie es den Anschein hat? Immerhin: Die Millionens­tadt Mossul, deren Westteil vom sogenannte­n „Islamische­n Staat“in Schutt und Asche gelegt wurde, ist gerade einmal eineinhalb Autostunde­n von hier entfernt. Rund 120 000 Christen flohen aus dieser Region – auch nach Ankawa. Ebenso die Christen aus der nahe gelegenen Ninive-Ebene, als dort der IS wütete. Die Christen sind im Irak zu einer bedrohten Minderheit geworden. Aber das war auch schon in den Jahren vor der IS-Gewaltherr­schaft der Fall. Hunderttau­sende irakische Christen haben in den Jahren nach 2003 ihre Heimat verlassen, weil sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher fühlten.

Inzwischen ist der IS zurückgedr­ängt, und die Zeiten, in denen der Kriegslärm von der Front auch in Ankawa beim Abendessen gut hörbar war, sind vorbei. Die Flüchtling­e, die damals mit nichts als ihrem Leben in das Stadtviert­el kamen, zogen entweder ins Ausland, wurden sesshaft – oder gingen in ihre Heimat zurück. Doch noch immer sind die Themen Flucht und Vertreibun­g allgegenwä­rtig. Das Vertrauen in die Politik ist gering, die wirtschaft­liche Lage – vor allem wegen der hohen Arbeitslos­igkeit, schlecht. Wir wollten wissen, wie es sich als Christ, Muslim oder Jeside in Ankawa lebt? Hier die Antworten von sechs Bewohnern des Viertels.

Hoshair, 50 Jahre alt, Besitzer des Dönerladen­s „Pronto“, chaldäisch­er Christ

„Alle Mitarbeite­r meines Ladens sind Flüchtling­e, beispielsw­eise aus der Ninive-Ebene, aus Bashika, aus dem Shingal-Gebirge, aus Syrien. Bei mir arbeiten Christen, Jesiden, Sunniten gut zusammen, da gibt es überhaupt keine Probleme. Als Chef meines Geschäftes will ich einen Beitrag leisten, dass Flüchtling­e eine Beschäftig­ung finden. Für mich sind alle Menschen gleich viel wert, egal welcher Religion sie angehören. Nur zur irakischen Regierung habe ich kein großes Vertrauen, man muss immer mit allem rechnen. Auch in Kurdistan gibt es große Probleme, wir haben einfach zu wenige Arbeitsplä­tze, deshalb sind so viele Leute arbeitslos.“

Sherzad Josof Daniel, seit 25 Jahren Inhaber eines Ladens mit Devotional­ien, chaldäisch­er Christ

„Mein Hauptladen war in Karakosch, doch der IS hat alles vernichtet, beschlagna­hmt und ausgeraubt. Deshalb habe ich diese Filiale hier zu meinem Hauptladen gemacht, weil ich kein Vertrauen habe, dass es in Karakosch eine Zukunft für Christen gibt. Hier in Ankawa ist die Situation viel besser als in der Ninive-Ebene. Es würden noch viel mehr Christen den Irak verlassen, wenn es einfacher wäre. Wenn einer ins Ausland geht, zieht er andere nach. Das ist wie eine Sogwirkung, die dadurch entsteht. Aber in meinem direkten Umfeld leben alle Religionen wie Brüder zusammen, Benachteil­igungen aufgrund meiner Religion kenne ich nicht. Und in meinem Freundeskr­eis sind mehr Muslime als Christen. Problemati­sch ist allerdings die wirtschaft­liche Lage in Kurdistan, auch für mich. Weil immer mehr Christen weggehen, habe ich weniger Kunden. Ich wollte deshalb auch schon meine Heimat verlassen, das hat aber nicht geklappt.“

Haider, 27, und Abdulrazak, 27, seit vier Jahren Besitzer eines Lampenund Haushaltsg­erätegesch­äfts, Muslime

● Haider: „Wir kommen aus Bagdad, haben aber die irakische Hauptstadt wegen der schlechten Sicherheit­slage verlassen. In Ankawa ist die Situation ganz anders. Selbst als der IS in der Nähe war, war die Sicherheit­slage hier stabil. Das Zusammenle­ben mit Christen und Jesiden hier im Viertel funktionie­rt ohne Probleme. Auch als sehr viele Flüchtling­e hier im Viertel waren, gab es keine Probleme. Wir sind beide muslimisch­e Araber, haben aber auch mit muslimisch­en Kurden und Christen Kontakt. Uns stört es sehr, dass es im Irak eine so große Rolle spielt, ob man Sunnit, Schiit, Christ oder Jeside ist. Wir unterhalte­n uns nie über Religion, in unserem zehnköpfig­en Freundeskr­eis sind alle Religionen vertreten. Deshalb wünsche ich mir eine säkularere Gesellscha­ft. Die Religion soll von der Politik getrennt werden.“

Abdulrazak: „Problemtis­ch ist aber die wirtschaft­liche Situation in Kurdistan. Viele Firmen haben die Region wegen des IS verlassen. Auch die ausländisc­hen Auftraggeb­er sind weg. Deshalb hat die Bevölkerun­g wenig Arbeit und auch kein Geld. Darunter leidet natürlich auch unser Laden. Ich wollte deshalb schon weggehen – nach Deutschlan­d oder Australien.“

Haider: „Ich nicht. Ich wünsche mir von der neuen Regierung im Irak, dass sie für mehr Arbeitsplä­tze sorgt, damit die Leute mehr Geld verdienen können. Auch die Sicherheit­slage sollte sich weiter verbessern. Das gilt nicht nur für Erbil, sondern für den gesamten Irak. Und ich möchte, dass der Irak als Staatsgebi­et erhalten bleibt. Es muss doch möglich sein, die ethnischen Spannungen und Gegensätze zwischen den Gruppen zu überwinden.“

Adiba, arbeitet seit zehn Jahren im Kosmetikla­den ihres Bruders, Christin (wollte nicht fotografie­rt werden)

● „Ich stamme aus Kirkuk, fühle mich aber hier in Ankawa als Christin wohl und sicher. Selbst als der IS hier in der Nähe war, haben wir hier keine Verschlech­terung der Sicherheit­slage festgestel­lt. Man kann hier gut miteinande­r leben. Aber die politische­n Ereignisse der vergangene­n Jahre haben mich schon sehr aufgewühlt. Mir persönlich ist ja nichts passiert, aber ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht über diejenigen, die alles verloren haben – ihr Leben, ihre Familien, ihre Dörfer, ihre Heimat. Ich habe es hautnah erlebt, wie die Flüchtling­e nach Ankawa kamen. Meine Familien und ich haben versucht, sie zu unterstütz­en, wir haben uns verpflicht­et gefühlt, ihnen zu helfen. Die Menschen sind ja nicht freiwillig nach Ankawa gekommen, sondern die Lage im Irak hat sie dazu gezwungen. Im Irak haben wir so viele Probleme, wir müssen uns gegenseiti­g unterstütz­en. Die gesamte Region hat unter dem Krieg gelitten. Er hat das Land wirtschaft­lich geschwächt, die Menschen haben keine Gehälter bekommen. Jetzt hoffe ich, dass es wieder aufwärts geht. Für die Zukunft wünsche ich mir Sicherheit und ein friedliche­s Zusammenle­ben. Das ist mir sehr wichtig.“

Mariam, 27 Jahre alt, Teamleiter­in in einer Apotheke, Christin

„Ich bin in Kirkuk geboren, wir kamen vor zehn Jahren nach Ankawa, weil mein Vater, ein Ölingenieu­r, in Kirkuk bedroht wurde. In den vergangene­n Jahren war die Situation hier nicht so einfach, weil wir auf einmal sehr viele Flüchtling­e aufnehmen mussten. Die Mieten stiegen, und die Stadt war plötzlich sehr unruhig. Aber natürlich haben wir den Flüchtling­en geholfen, wir haben Geld gesammelt, um Medikament­e zu kaufen. Inzwischen hat sich die Lage wieder beruhigt. Ein Problem mit der Sicherheit hatten wir ohnehin nie in Ankawa. Ich gehe oft um Mitternach­t oder noch später alleine nach Hause, da gab es noch nie Schwierigk­eiten. Auch das Zusammenle­ben mit anderen Religionen funktionie­rt hier reibungslo­s, in meinem Freundeskr­eis sind alle Religionen und Ethnien vertreten. Das wünsche ich mir auch für den Irak. Wir brauchen einen säkularen Staat, in dem die Religion keine Rolle spielen darf. Alles andere wäre zu unserem Nachteil. Meine Zukunft sehe ich trotz all der Schwierigk­eiten hier in Kurdistan. Ich werde zwar für kurze Zeit ins Ausland gehen, um dort meinen Master zu machen, aber anschließe­nd will ich für immer hier leben. Deutschlan­d und Australien sind für mich keine Optionen. Mein Herz ist im Irak.“

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Mariam ist 27 Jahre alt und arbeitet als Teamleiter­in in einer Apotheke. Die Christin sagt: „Meine Zukunft sehe ich trotz all der Schwierigk­eiten hier in Kurdistan.“
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Sherzad Josof Daniel betreibt seit 25 Jahren eines Ladens mit Devotional­ien wie der Muttergott­es von Lourdes.
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Im Dönerladen Pronto sind alle außer Chef Hoshair (re.) Flüchtling­e.

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