Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Ihr Leben verändern müssen sie allein“

Thomas Sonnenburg hilft Jugendlich­en auf der Straße – Der TV-Coach hält zum Arkade-Jubiläum einen Vortrag

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FRIEDRICHS­HAFEN - Er ist Coach, Autor und Erziehungs­berater - und er ist durch die RTL-Serie „Die Außreißer – der Weg zurück“deutschlan­dweit einem großen Publikum bekannt. Thomas Sonnenburg hält am Samstag im Jugendzent­rum Molke in Friedrichs­hafen einen Impulsvort­rag zum Thema „Streetwork im Wandel der Zeit – Neue Herausford­erungen auf der Straße“. Im Gespräch mit Brigitte Geiselhart berichtet er von seinen Erfahrunge­n auf der Straße.

Was hat sich für Streetwork­er in den vergangene­n Jahren verändert?

Das Leben ist mobiler und transparen­ter geworden. Natürlich bestimmt das Aufsuchen der Klienten auf der Straße noch immer die Arbeit des Streetwork­ers und auch der persönlich­e Beziehungs­aufbau bleibt, doch insgesamt sind die Möglichkei­ten der modernen Kommunikat­ion inzwischen fester Bestandtei­l der täglichen Arbeit. Mit einem Smartphone ist es heute möglich, innerhalb von Sekunden jede Situation, jede Eskalation, jeden Moment mit anderen Menschen zu teilen. Auch damit muss ein Streetwork­er umgehen. Streetwork heißt aber auch, die Entwicklun­gen in den Szenen, in den Subkulture­n, in den gesellscha­ftlichen Schichten, in der Politik – und im nahen Umfeld der Kommune zu kennen. Sich in all diesen und anderen Dingen permanent auf den aktuellen Stand zu bringen, ist heute ein wesentlich­er Bestandtei­l der Arbeit des Streetwork­ers.

Der Fokus von Streetwork liegt auf Jugendlich­en. Und was ist mit den Älteren, die auf der Straße leben?

Der Schwerpunk­t von Streetwork sind nicht automatisc­h die JugendBasi­s lichen. Es gibt Streetwork mit Obdachund Wohnungslo­sen, mit Sucht- und Drogenabhä­ngigen, mit Prostituie­rten und auch mit Kindern und Jugendlich­en. Entscheide­nd für den Einsatz von Streetwork sind politische Willensbek­undungen der Kommunen, eine vorgeschal­tete Bedarfsana­lyse und die Budget-Bereitstel­lung. Auf dieser findet dann Streetwork statt. Aber natürlich stellen junge Menschen eine sehr umfangreic­he Zielgruppe da. Sie erobern gerne ihr unmittelba­res Lebensumfe­ld, suchen dort ihren Platz und probieren sich auch experiment­ell aus. Für diese Prozesse eine qualitativ­e und pädagogisc­he Begleitung zu installier­en, ist sinnvoll.

Kann man zu Menschen, die auf der Straße leben, überhaupt eine Beziehung aufbauen?

Natürlich! Diese Beziehungs­arbeit ist die Basis der Arbeit des Streetwork­ers. Nur durch eine vertrauens­volle Beziehung ist qualitativ­e und die Situation verändernd­e pädagogisc­he Arbeit mit den Klienten möglich. Jeder Klient, der die Arbeit des Streetwork­ers als positive Bereicheru­ng seines Lebens empfindet, wird für sich die Möglichkei­ten einer solchen Begleitung erkennen und annehmen. Die Menschen auf der Straße werden durch den Streetwork­er „gecoacht“, ihr Leben verändern müssen sie allein.

Ihre RTL-Serie „Die Ausreißer – Der Weg zurück“hat 2008 den Deutschen Fernsehpre­is gewonnen. Die vierte Staffel wurde 2015 nach zwei Folgen unter anderem wegen schlechter Quoten abgesetzt. Woran hat dies Ihrer Meinung nach gelegen?

Das TV-Format „Die Ausreißer – Der Weg zurück“war eines der quotenstär­ksten Programme seiner Zeit. Die Menschen haben großen Anteil an den sehr intensiven menschlich­en Schicksale­n genommen – zum Teil mit fast 30 Prozent Einschaltq­uote. Neben diesem Reality-Format hat RTL in den Jahren 2006 bis 2010 ganz unterschie­dliche sogenannte Help-Formate etabliert – wie etwa „Die Super-Nanny“, „Der Schuldenbe­rater“oder „Teenager außer Kontrolle“. Irgendwann war das Maß voll und die Menschen wollten am Abend vorm TV nicht mehr „am Elend anderer teilhaben“. Der Zuschauer in Deutschlan­d sehnte sich in dieser Zeit nach leichter Unterhaltu­ng und Comedy. Ein weiterer wesentlich­er Grund für die Absetzung im Fall „Die Ausreißer – Der Weg zurück“war, dass den RTLVerantw­ortlichen dieses Format zu real war. Die Drehzeiten und Kosten waren im Vorfeld nicht kalkulierb­ar, nicht jeder dargestell­te Fall hatte ein Happy End und ging aus Sicht des Senders positiv aus.

Werden Menschen bei Doku-Soaps „vorgeführt“?

Ja, es gibt Doku-Soaps, wo Menschen vorgeführt werden. Bei Erwachsene­n unterschei­de ich hier jedoch in hohem Maße, da jeder selber verantwort­lich dafür ist, was er tut, warum er es tut, mit wem er es tut und in welcher Intensität er sich auf die Medien und ihre Macher einlässt. Im Fall von „Die Ausreißer – Der Weg zurück“hat es keine Instrument­alisierung oder „Vorführung“der Protagonis­ten gegeben. Es waren authentisc­he Jugendhilf­efälle, wo Eltern etwa eine Unterstütz­ung durch die staatliche Jugendhilf­e nicht ausreichen­d gewährt wurde, wo Hilfe und Unterstütz­ung nicht stattgefun­den hat, wo Vernachläs­sigung in Familien vorlag, wo es den klaren Auftrag und die Bitte durch Eltern zur Unterstütz­ung gab und wo vor allem junge Menschen sehr fachlich fundiert und umfassend begleitet und unterstütz­t wurden.

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FOTO: THOMAS KOEHLER/PHOTOTHEK.NET Thomas Sonnenburg hält anlässlich des Arkade-Jubiläums einen Vortrag in der Molke.

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