Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Viele Kinder haben echten Leidensdruck“
Häfler Kinderschutzbund bildet im Oktober neue Ehrenamtliche aus
TETTNANG - Fred Schill aus Tettnang engagiert sich seit 16 Jahren ehrenamtlich für den Deutschen Kinderschutzbund und beantwortet für die Nummer gegen Kummer e.V. Anrufe von hilfesuchenden Kindern und Jugendlichen. Nun sucht der Verein wieder engagierte Menschen, die am Telefon ehrenamtlich mitarbeiten möchten, und startet im Oktober einen Ausbildungskurs für Interessierte. Angela Schneider hat sich mit Fred Schill darüber unterhalten, was die jungen Anrufer erzählen und wie die Ausbildung abläuft.
Was sind die größten Sorgen, mit denen die Kinder und Jugendlichen bei Ihnen anrufen?
Klassische Themen sind Beziehungsprobleme, die erste Liebe oder Streit mit dem Freund, Mobbing in der Schule, Trennung oder Scheidung der Eltern. Was auch vorkommt, ist Gewalt zu Hause oder Drogenmissbrauch. Oder einfach bloß Langeweile! Aber das ist auch okay. Wir unterhalten uns mit den Kindern und Jugendlichen, egal, wie lange das Gespräch dauert.
Wenn die Kinder aus Langeweile anrufen, heißt das, dass sie zu Hause niemanden haben, mit dem sie einfach reden können?
Wir nehmen Anrufe aus Langeweile genauso ernst. Tatsächlich ist dann oft niemand daheim, oder die beste Freundin ist nicht verfügbar und die Kinder sind allein. Und manchmal ist es auch so, dass sich aus einem solchen Gespräch etwas ergibt, was das Kind schon länger beschäftigt. Vordergründig ist vielleicht Langeweile im Spiel, aber es steckt dann doch ein ernster Grund hinter dem Anruf.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie merken, dass das Kind ein strafrechtlich relevantes Problem an sie heranträgt?
Wir bieten den Kindern und Jugendlichen eine anonyme, präventive Hilfe an, die Entlastung und absolute Verschwiegenheit garantiert. Dabei ist es ganz gleich, was der Ratsuchende für ein Anliegen hat. Der Anrufer ist völlig anonym und auch sein Anliegen wird von allen Telefonberaterinnen und -beratern dementsprechend behandelt. Die Anrufe werden von der zentralen Vermittlung zum nächsten freien Platz durchgestellt, da rufen Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland an. In einem Gespräch ist es elementar, als Telefonberater präsent zu sein, zuzuhören und zu entlasten. Nicht immer können wir die Probleme in einem Telefonat mit dem Klienten bis zu Ende bearbeiten. Was wir aber können und tun, ist, ein oder mehrere Mosaiksteinchen zu setzen, um eine Bewältigung der schon genannten Probleme zu unterstützen. Dazu gehört auch die Empfehlung, einen Therapeuten aufzusuchen oder gegebenenfalls nennen wir eine seriöse Website.
Inwieweit ist die Nummer gegen Kummer mit anderen Hilfsangeboten vernetzt?
Wir sind mit anderen nicht unmittelbar vernetzt, aber wir kennen natürlich die ganze Angebotspalette, auf die wir dann im Gespräch hinweisen. Dort hinwenden müssen sich die Kinder und Jugendlichen selbst, aber oft wissen sie ja gar nicht, wo sie Hilfe bekommen. Dafür sind wir da. Wir versuchen, mit den Kindern zusammen eine Lösung zu finden und sie dazu zu bekommen, ihr Herz auszuschütten.
Erwachsene sind durch ihre Vorerfahrungen in der Lage, eine Situation schnell einzuschätzen und zu bewerten. Wie lernt man nun, mit dieser Bewertung und einem Lösungsvorschlag ein Kind nicht zu bevormunden?
Das ist Thema in der Ausbildung und jemand, der neu einsteigt, hospitiert zunächst mit einem erfahrenen Berater am Telefon und hört erst einmal zu, bevor selbständig Gespräche geführt werden können. Außerdem haben wir im Team alle sechs Wochen eine Supervision. Schwierige Themen, die einen noch beschäftigen, kann man dort im Gespräch, auch mit den Kollegen, aufarbeiten.
Aufgrund der Anonymität haben sie kaum Möglichkeiten, den Erfolg ihres Hilfsangebotes zu messen.
Nein, das haben wir nicht, aber die Ausbildung, praktische Erfahrungen und Supervisionen ermöglichen uns eine eigene Wahrnehmung, um zu erkennen, was hilfreich war und nicht. Meine Erfahrung ist aber, dass ein Gespräch immer etwas bewirkt und wenn es ‚nur‘ ein Mosaiksteinchen auf dem Weg zur Bewältigung ist.
Und was bekommen Sie zurück
Viele bedanken sich am Ende des Gesprächs und sagen: Daran habe ich gar nicht gedacht, schön, dass Sie das gesagt haben. Solche Rückmeldungen haben wir schon. Und man merkt ja auch, wenn man jemandem was Gutes getan hat, wenn man helfen konnte. Ich bedanke mich auch beim Anrufer, dass er uns angerufen hat. Es ist uns einfach wichtig, den Kindern zu helfen, und das befriedigt dann auch.
Seit wann engagieren Sie sich für die Nummer gegen Kummer?
Ich bin seit 16 Jahren dabei, zuerst in Augsburg, damals habe ich noch im Jugendamt gearbeitet. Ich komme zwar aus der Verwaltung, aber damals ist mir klargeworden: Die Kinder haben echten Leidensdruck und werden oft alleingelassen. Durch Zufall habe ich in der Zeitung gelesen, dass Menschen gesucht werden, die sich engagieren, und so kam das.
Wenn jemand sich ausbilden lassen möchte, wieviel Zeit, und welche Bereitschaft sollte er mitbringen?
Wir möchten im Oktober einen Kurs starten, zu dem wir noch Anmeldungen entgegennehmen. Wenn der Kurs steht, sind wir flexibel, ob wir den Unterricht im Block oder auch zusätzlich samstags anbieten, da können sich die Teilnehmer untereinander mit dem Ausbilder verständigen. Ich zum Beispiel telefoniere alle 14 Tage zwei Stunden, aber für jemanden direkt nach der Ausbildung ist es nützlich, jede Woche zwei Stunden am Telefon zu sitzen. Sonst ist die Zeitspanne zu lang, denn die Arbeit lebt auch von Erfahrung. Auch wenn man als Erwachsener schon im Leben steht und Erfahrungen gesammelt hat. Und man sollte zuhören können, Gespür für Kinder haben und Einfühlungsvermögen mitbringen.
Welche Inhalte werden vermittelt?
Die Ausbildung für das Kinder- und Jugendtelefon des Vereins Nummer gegen Kummer e.V., welches in Friedrichshafen unter dem Dach des Ortsverbandes vom Deutschen Kinderschutzbund aktiv ist, erfolgt nach dem Kommunikationsmodell von Paul Watzlawik und dem Modell der Kommunikationspsychologie von Friedemann Schulz von Thun. Gesprächsführung und Fragetechniken sind zentrale Inhalte. Geleitet wird der Kurs von einem Psychologen, der im Anschluss an die Ausbildung das gesamte Telefonteam supervisorisch betreut.
Kostet die Ausbildung etwas?
Nein, dafür muss ein Teilnehmer nichts bezahlen.