Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Das Land muss seiner Verantwortung gerecht werden“
Lothar Wölfle hofft weiter auf Landeszuschuss für den Airport – Landrat befürchtet raueres Klima im Kreistag, falls AfD 2019 einzieht
FRIEDRICHSHAFEN - Gestank in der Kitzenwiese, chaotische Zustände auf der Bodenseegürtelbahn und Platzprobleme im Landratsamt – die Verwaltung des Bodenseekreises kann sich über mangelnde Arbeit nicht beschweren. Alexander Tutschner unterhielt sich mit Landrat Lothar Wölfle über diese und andere Themen beim Sommerinterview.
Die Geruchsprobleme im Bereich des Friedrichshafener Stadtgebietes Kitzenwiese haben das Landratsamt im Sommer auf Trab gehalten. Wie ist der aktuelle Stand?
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Herstellung des Holzofenbrots bei der Firma Weber etwas damit zu tun hat, scheint unseren Fachleuten relativ hoch. Dennoch wollen wir die Sache nochmal von Gutachtern untersuchen lassen. Bis Ende September sollen die Ergebnisse vorliegen. Dann sehen wir weiter.
Wie soll es nach dem Stolperstart mit der Gästekarte „Echt-Bodensee-Card“(EBC) weitergehen?
Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim musste ein neuer Satzungsentwurf für die Berechnung der Kurtaxe erstellt werden. Dieser wurde mittlerweile nach juristischer Prüfung und Abstimmung mit dem Gemeindetag den Kämmerern der Kreisgemeinden vorgestellt. Auch die Anpassung der Verträge zwischen den Gemeinden und der Deutschen Bodensee Tourismus GmbH ist in Arbeit, es geht dabei ja um die 25 Cent Marketingabgabe zur Finanzierung der Karte. Ich gehe davon aus, dass im Herbst die rechtlichen Rahmenbedingungen stehen, dann geht die Sache wieder an die Politik zurück, sprich an die Bürgermeister und die Gemeinderäte der Gemeinden.
Sie hoffen, dass sich dann möglichst viele Kommunen für die EBC entscheiden ...
Ja, denn wir haben aus einer Studie ein klares Feedback von den Gästen bekommen, dass die Touristen die Karte unbedingt wollen. Ganz aktuell haben wir Anfragen von Hoteliers aus Gemeinden, die noch nicht bei der EBC mitmachen, die die Karte ihren Gästen aber anbieten möchten. Die EBC aber an den Gemeinden vorbei mit einzelnen Betrieben einzuführen, wäre ein riesiger Aufwand. Wir hoffen dagegen, dass sich jetzt möglichst viele Gemeinden für die EBC entscheiden und wir die Sache dann mit rund zwei Jahren Verzögerung hinbekommen.
Es bleibt aber bei der PapierkartenVersion?
Zunächst ja. Viele Kritiker der EBC wollten ja weg von der Chipkarte, denen kommen wir damit entgegen. Es gibt aber auch noch offene Fragen bezüglich der Software mit der Nachfolgefirma des Betreibers Geios. Die Papierkarte hat den Nachteil, dass wir damit das Fahrverhalten der Touristen im ÖPNV nicht analysieren können. Früher oder später kommen wir hier aber an einer digitalen Lösung nicht vorbei.
Wie stark beschäftigt den Kreis noch das Thema Asyl?
Momentan kommen zwischen acht und 20 geflüchtete Menschen pro Monat zu uns, das sind weniger als in der Zeit 2012/2013. Wir bauen die Gemeinschaftsunterkünfte deshalb sukzessive ab. Von rund 1500 Plätzen in der Hochphase planen wir, bis Ende dieses Jahres noch 700 zu haben. Die Aufgaben haben sich gewandelt, die Themen Integrationskurse und Arbeitsvermittlung stehen jetzt im Vordergrund. Mittlerweile haben rund 40 Prozent der geflüchteten Menschen, die arbeiten können, einen Job im Bodenseekreis. Wenn auch nicht alle in Vollzeit, aber sie haben den Fuß im Arbeitsmarkt. Das ist eine sehr gute Zahl.
Machen jetzt alle Gemeinden ihre Hausaufgaben, was die Anschlussunterbringung betrifft?
Ja, da gibt es große Fortschritte. Meckenbeuren hat sich ja beispielsweise lange schwergetan. Die neue Bürgermeisterin Elisabeth Kugel ist das Problem konsequent angegangen, so dass sich dort etwas bewegt. Auch in Überlingen liegt jetzt der Gemeinderatsbeschluss für den Neubau der Anschlussunterkunft Schättlisberg vor. Dennoch werden auch künftig zusätzliche Kosten am Kreis hängenbleiben. Aber das Thema ist eine Gemeinschaftsaufgabe, zu der alle ihren Beitrag leisten müssen. Ich bin vor allem den vielen Ehrenamtlichen dankbar, die sich bei uns nach wie vor stark engagieren, das ist von unschätzbarem Wert.
Der Bodenseekreis und die Stadt Friedrichshafen haben dem Bodensee Airport erneut mit einer Finanzspritze geholfen. Sie wollten in diesem Zuge auch das Land mit ins Boot holen, was haben Sie diesbezüglich erreicht?
Die Gespräche mit der Landesregierung blieben bisher erfolglos. Vor allem beim grünen Teil der Regierungskoalition ist das Interesse gering, sich zu engagieren.
Aber es steht in der Koalitionsvereinbarung klar drin, dass Regionalflughäfen gefördert werden können. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Thema bald nochmal auf den Tisch kommt. Wenn man sieht, wie man sich in Stuttgart und Karlsruhe engagiert hat in Sachen Regionalflughäfen, dann erwarte ich ganz klar, dass das Land Baden-Württemberg auch beim Flughafen Friedrichshafen seiner Verantwortung als Gesellschafter gerecht wird.
Auf der Bodenseegürtelbahn gab es zuletzt teils katastrophale Zustände mit überfüllten Zügen, Zugausfällen und vielem mehr. Sie wurden ebenfalls in Stuttgart vorstellig, hat sich die Situation gebessert?
Leider überhaupt nicht. Wir bekommen im Prinzip täglich Beschwerden von Fahrgästen. Es fallen nach wie vor mehrfach in der Woche Züge aus oder es sind nur reduzierte Züge im Einsatz. Toiletten sind nicht gereinigt, Türen sind defekt. Das, was uns alles am 30. Januar in Stuttgart versprochen wurde, das hat die Bahn bis heute nicht eingehalten. Wir bekommen hier im Landratsamt vieles ab, obwohl wir selbst nichts entscheiden können. Es geht um die ganze Bodenseegürtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichshafen, die größten Probleme gibt es zwischen Markdorf und Friedrichshafen. Ich habe dem Ministerialdirektor Uwe Lahl jetzt geschrieben, dass die Verantwortlichen von Bahn und vom Ministerium zu einem Krisentreffen hierherkommen und öffentlich erklären müssen, was Sache ist. Denn es funktioniert alles nach wie vor nicht. Bei mancher Mail von den Bahnkunden habe ich den Eindruck, dass sich die Situation sogar weiter verschlechtert. Mittlerweile liegt auch die Zusage aus dem Ministerium vor, dass es einen solchen öffentlichen Termin geben wird. Jetzt setze ich mich dafür ein, dass das möglichst bald passiert.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen?
Die Bahn arbeitet zum einen mit veraltetem Material und ist logistisch nicht in der Lage, die Züge zu reinigen. Warum auch immer müssen die Waggons immer nach Ulm, um gereinigt zu werden, das verstehe ich nicht. In Friedrichshafen gäbe es genügend Gleise dafür. Und die Bahn hat prinzipiell zu wenig Material und zu wenig Personal, vor allem Lokführer fehlen. Das Land muss sich ankreiden lassen, dass bei der Ablösung des großen Verkehrsvertrages vor ein paar Jahren die Bestellungen reduziert wurden. Das Land hat aber mittlerweile nachbestellt, aber die Bahn ist nicht in der Lage, dieser Nachbestellung nachzukommen. Ich verstehe das nicht und kann es somit auch den Menschen nicht erklären. Deshalb erwarte ich, dass die Verantwortlichen von Verkehrsministerium und Bahn hierherkommen und bei einer öffentlichen Veranstaltung erklären, was los ist. Mir wurde bereits zugesagt, dass dieses Treffen stattfindet, aber der Termin steht noch nicht.
Wie sieht es mit den Planungen der Bundesstraßen im Bodenseekreis aus?
Die Umgehung Ravensburg-Süd ist ja beinahe fertig, zumindest der erste Teil, die komplette Freigabe soll im nächsten Jahr kommen. Damit wird das „Problem Meckenbeuren“immer dringender. Hier muss man jetzt Farbe bekennen. Es gibt Beschlüsse aus Ravensburg, Friedrichshafen, Meckenbeuren und vom Kreistag, dass man die gerade Linie, also die Westumfahrung, als die richtige ansieht, auch wenn es etwa seitens des Artenschutzes Probleme gibt. Ich denke, es wird bald eine Stellungnahme des Regierungspräsidiums geben. Wir sind immer noch bei der Linienbestimmung, bis die Straße fertig ist werden erfahrungsgemäß noch 15 bis 20 Jahre vergehen. Die B 31-Umfahrung von Hagnau wird noch länger auf sich warten lassen ...? Ja, definitiv. Wir brauchen hier auch eine neue Lösung, die möglichst viele Menschen entlastet und möglichst wenige belastet. Klar ist also, dass diese Straße für einige Menschen Belastungen mit sich bringen wird. Ich finde den vom Land eingerichteten Prozess des Bürgerdialogs spannend. Die daran beteiligten, unvoreingenommenen Bürger haben schon deutlich gemacht, dass es keinen Sinn hat, hier Einzelinteressen zu verfolgen. In einem sukzessiven Prozess müssen jetzt aus den rund 20 Varianten die realistischsten herausgearbeitet werden, das soll im Herbst passieren.
Nach wie vor gibt es große Platzprobleme im Landratsamt, wie kommen Sie mit den Plänen für einen Neubau in der Glärnischstraße voran?
Der Ball liegt nach wie vor bei der Stadt. Seit unser neuestes Gebäude 2006 in Betrieb genommen wurde, ist die Zahl der Mitarbeiter von 600 auf 820 gestiegen. Mittlerweile wurde sogar die Teeküche in meinem Vorzimmer zu einem vollwertigen Arbeitsplatz umgebaut. Wir rücken ständig zusammen und bekommen langsam Probleme, hier den Arbeitsschutz einzuhalten und können unseren Mitarbeitern bald keine vernünftigen Arbeitsbedingungen mehr bieten. Für den Neubau brauchen wir einen Bebauungsplan der Stadt Friedrichshafen. Wir haben bereits zwei Vorschläge eingereicht, seit Herbst 2016 warten wir aber auf eine Antwort der Stadt, wie hoch der Neubau werden darf.
Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen, befürchten Sie ein raueres Klima im Kreistag, falls die Alternative für Deutschland (AfD) einzieht?
Ich kann mir die Wahlergebnisse ja nicht aussuchen, ich werde sie natürlich respektieren. Aber es gibt Erfahrungswerte mit der Alternative für Deutschland in den Landtagen und im Bundestag. Wir hatten gerade Besuch von unseren Kollegen aus unserem Partnerlandkreis Leipzig, die dazu berichten konnten, da dort Vertreter aus der AfD im Kreistag sitzen. Die Atmosphäre wird von dieser Partei ausgetestet und der Boden der Tatsachen des Öfteren verlassen. Diese Befürchtung habe ich auch. Auch vor dem Hintergrund, dass offenbar eine Gruppe der AfD aus dem Bodenseekreis in der Gedenkstätte in Sachsenhausen auffällig wurde oder dass eventuell wie berichtet AfD-Landtagsabgeordnete aus BadenWürttemberg bei den Schreiern in Chemnitz dabei waren. Wer Menschen erster und zweiter Klasse definiert, hat Artikel 3 des Grundgesetzes („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich ...“) nicht verstanden. Nochmal, auch als Vorsitzender des Kreiswahlausschusses werde ich jedes Ergebnis der Kreistagswahl akzeptieren.
Wir hoffen, dass sich jetzt möglichst viele Gemeinden für die EBC entscheiden und wir die Sache dann mit rund zwei Jahren Verzögerung hinbekommen.“Lothar Wölfle zur Einführung der Echt-Bodensee-Card
„Ich bin vor allem den vielen Ehrenamtlichen dankbar, die sich bei uns nach wie vor stark engagieren, das ist von unschätzbarem Wert.“Lothar Wölfle zur Unterstützung von Asylsuchenden im Bodenseekreis
„Wer Menschen erster und zweiter Klasse definiert, hat Artikel 3 des Grundgesetzes nicht verstanden.“