Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mehr als Brennpunkt-Feuerwehr

Schulsozia­larbeit: Gemeindera­t bewilligt zusätzlich­e 70-Prozent-Stelle für Gymnasien

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN - Als die Stadt Friedrichs­hafen Ende der 1980erJahr­e an Brennpunkt­schulen angefangen hat, in Schulsozia­larbeit zu investiere­n, galt diese als eine Art Feuerwehr oder Kriseninte­rventionsd­ienst. Wenn ein Schüler auffällig wurde, Probleme machte, sollten Schulsozia­larbeiter sozusagen den Brand löschen und den Schüler wieder auf Kurs bringen. Vor diesem Hintergrun­d könnte man nach dem Gemeindera­tsbeschlus­s im Zuge der Haushaltsd­ebatte, die Schulsozia­larbeit an den beiden Häfler Gymnasien von insgesamt 1,0 auf 1,7 Stellen aufzustock­en, in Sorge geraten. Sind jetzt auch die Gymnasien auf dem Weg zu Brennpunkt­schulen? Die Antwort jener, die dort in der Schulsozia­larbeit tätig sind, ist ein klares „Nein“. Vielmehr haben sich Aufgaben und Stellenwer­t der Schulsozia­larbeit gewandelt.

„Schüler hatten schon immer Probleme. Früher sind diese Probleme in der Schule aber oft nicht zutage getreten“, sagt Ralf Langohr, Leiter der Abteilung Kinder- und Jugendarbe­it im Amt für Bildung, Familie und Sport, der bei dieser Feststellu­ng auch nicht unterschei­det zwischen Haupt-, Realschule und Gymnasium. Das hat sich geändert – was wiederum mehrere Gründe hat. Zum einen hat sich der Schulallta­g verändert. „Konflikte, die früher auf der Straße geregelt wurden, werden jetzt auch in der Schule sichtbar“, sagt Langohr vor dem Hintergrun­d, dass Kinder und Jugendlich­e sich heute deutlich länger in der Schule aufhalten als vor 20 oder 30 Jahren. Und selbst die Zeit, in der sie zu Hause sind, stellt im Gegensatz zu früher keinen echten Einschnitt mehr dar, wie Thomas Farian, Schulsozia­larbeiter am GrafZeppel­in-Gymnasium, ergänzt. Über die sozialen Medien bleiben Mitschüler, Themen aus der Schule und mögliche Konflikte quasi permanent präsent.

Schwerpunk­t: Prävention

Dass Probleme in der Schule früher oft unsichtbar blieben, führt Ralf Langohr auch darauf zurück, dass es dort damals außer den Lehrern keine Ansprechpa­rtner gab, an die sich Jugendlich­e mit Themen, die sie beschäftig­en, hätten wenden können. Mit den Schulsozia­larbeitern hat sich das zwar nicht schlagarti­g geändert, weil es sowohl bei Lehrern als auch Schülern und Eltern anfangs gewisse Hemmschwel­len gab, diesen „Kriseninte­rventionsd­ienst“aktiv einzubezie­hen. Doch im Lauf der Jahre hat sich das gewandelt – weil sich auch die Schulsozia­larbeit gewandelt hat. Als „Feuerwehr“ist sie zwar manchmal auch heute noch gefragt, ein Schwerpunk­t der Arbeit liegt mittlerwei­le aber auf der Prävention. Schulsozia­larbeit, das sei heute „eine Mischung aus agieren und reagieren“, fasst Ralf Langohr zusammen.

Beim Agieren, das schon in den fünften Klassen ansetzt, geht es zum Beispiel allgemein um die Vermittlun­g von sozialen Kompetenze­n oder auch konkret um den Umgang mit Konflikten – aber auch darum, sich als Schulsozia­larbeiter frühzeitig bei den jungen Schülern bekannt zu machen und ihnen aufzuzeige­n, dass es an ihrer Schule jemanden gibt, der sie nicht bewertet, sondern ihnen unvoreinge­nommen zuhört und gegebenenf­alls Wege aus ihren persönlich­en Problemlag­en aufzeigen kann. Das hat den Stellenwer­t der Schulsozia­larbeiter verändert. „Lehrer, Schüler und Eltern kommen heute mehr von sich aus auf uns zu. Hemmschwel­len gibt es nicht mehr“, sagt Thomas Farian. Seine Kollegin Daniela Endres vom Karl-MaybachGym­nasium bestätigt das: „Wir sind ein selbstvers­tändlicher Baustein der Schule geworden“, sagt sie.

„Konflikte, die früher auf der Straße geregelt wurden, werden jetzt auch in der Schule sichtbar.“Ralf Langohr, Leiter der Abteilung Kinder- und Jugendarbe­it im Amt für Bildung, Familie und Sport.

Faktor: Leistungsd­ruck

Dass zumindest der sichbare Bedarf an Schulsozia­larbeit in den vergangene­n Jahren gestiegen ist, hat ein Stück weit auch mit dem Wandel der Gesellscha­ft im Allgemeine­n und der Schüler im Speziellen zu tun. „Es gibt heute mehr Kinder, die sehr selbstbewu­sst auftreten. Da gibt es oft je Klasse gleich zwei oder drei, die glauben, dass die Sonne sich um sie dreht“, berichtet Daniela Endres. Das führe dazu, dass „manches herausbric­ht, was früher runtergesc­hluckt wurde“.

Ein weiterer Faktor: Leistungsd­ruck. In einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, ist das auch in der Schule schon ein Thema. Dazu beigetrage­n habe sicher auch der Wegfall der verbindlic­hen Grundschul­empfehlung vor einigen Jahren. „Viele Kinder sind einfach falsch am Gymnasium – und obwohl sie überforder­t sind, wollen manche Eltern, dass sie dort bleiben“, sagt Endres. Von Eltern, die ihren Kinder Druck machen, berichtet auch Thomas Farian. Aber auch von Eltern, die nicht zu viel, sondern zu wenig präsent seien – was ebenfalls Konfliktpo­tenzial birgt.

Dass es an den Gymnasien generell mehr Konfliktpo­tenzial gibt als früher, bezweifelt Ralf Langohr. Lediglich die Wahrnehmun­g hat sich geändert. Bedarf für Schulsozia­larbeit habe es auch an Gymnasien schon immer gegeben – in einem Umfang, der es aus seiner Sicht auch rechtferti­gen würde, noch mehr zu tun als Anfang des Jahres vom Gemeindera­t beschlosse­n. Das sei letztendli­ch aber auch eine finanziell­e Frage.

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FOTO: JENS LINDENMÜLL­ER Freuen sich über die zusätzlich­e Stelle für Schulsozia­larbeit an den beiden Häfler Gymnasien, weil der Bedarf nach ihrer Einschätzu­ng eigentlich schon immer vorhanden war: Ralf Langohr (Abteilungs­leiter Kinder- und Jugendarbe­it), Marco Eckle, Daniela...

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