Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Separatisten in Katalonien könnten Mehrheit verlieren
In Spaniens Konfliktregion Katalonien wird der heute anlaufende Wahlkampf ohne seine Protagonisten stattfinden: Spaniens Oberster Gerichtshof entschied, dass Oriol Junqueras, Spitzenkandidat der aussichtsreichsten Separatismus-Partei Esquerra Republicana (Republikanische Linke), in Untersuchungshaft bleiben muss. Drei weitere Separatisten, die wie Junqueras beschuldigt werden, auf illegale Weise den Unabhängigkeitsprozess Kataloniens vorangetrieben zu haben, bleiben ebenfalls in Haft. Sechs Mitglieder der ehemaligen katalanischen Separatistenregierung kamen gegen Zahlung einer Kaution von jeweils 100 000 Euro frei.
Auch der zweite Spitzenkandidat, Kataloniens Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont, wird nicht am Wahlkampfauftakt teilnehmen können. Der Spitzenmann der katalanischen Unabhängigkeitsliste Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) und vier seiner Ex-Minister wurden am Montag von einem Gericht in Brüssel angehört, das am 14. Dezember über die Auslieferung der Politiker an Spanien entscheiden wird. Die separatistischen Politiker werden der Rebellion, Rechtsbeugung und Veruntreuung von Millionengeldern beschuldigt.
Nach schottischem Vorbild
In den Umfragen für den Urnengang am 21. Dezember zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Der prospanische Parteienblock mit 44,3 Prozent und der separatistische Block mit 44,4 Prozent liegen in der Erhebung des staatlichen Instituts CIS nahezu gleichauf. Die Unabhängigkeitsbewegung kann von ihrer radikalen Abspaltungspolitik nicht profitieren. Die Separatisten müssen mit leichten Verlusten rechnen, während das prospanische Lager aufholt. Das Zünglein an der Waage könnte die kleine linksalternative Partei Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam) von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau sein, die für einen „dritten Weg“zwischen den verfeindeten Blöcken wirbt: Comú ist nicht für die Abspaltung, unterstützt aber ein legales Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild, für das freilich Spaniens Verfassung geändert werden müsste. Bei der Regionalwahl 2015 hatte der Unabhängigkeitsblock mit 47,8 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate im Katalonien-Parlament geholt. Die für die Einheit mit Spanien eintretenden Parteien waren zusammengerechnet auf 39 Prozent der Stimmen gekommen.
Die bisherige Mehrheit der Separatistenfront aus drei Parteien scheint zu wackeln. In der neuen CIS-Umfrage liegt erstmals eine prospanische Partei in Katalonien vorn. Demzufolge könnte die liberale Bewegung Ciudadanos (Bürger), die in der Region von der 36jährigen Inés Arrimadas angeführt wird, mit 22,5 Prozent stärkste Partei werden. Dahinter wird Junqueras Separatistenpartei Esquerra mit 20,8 Prozent gesehen, gefolgt von Puigdemonts Unabhängigkeitsliste Junts mit 16,9 Prozent und den spanischen Sozialisten (16 Prozent).
In der staatlichen Umfrage befürworten die meisten Katalanen mehr Autonomie oder sogar das Recht, dass sich eine spanische Region wie etwa Katalonien legal abtrennen kann. Drei von vier Befragten bejahten eine dieser Möglichkeiten. Der Wunsch nach mehr regionalen Kompetenzen deckt sich mit dem Ergebnis früherer Umfragen: Danach ist eine breite Mehrheit der Katalanen dafür, dass die Bürger Kataloniens – wie 2014 die Schotten – offiziell über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen dürfen.