Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Lippenleser vor!
Noch immer sorgt der Videoassistent, der seit dieser Saison in der Bundesliga getestet wird, Spieltag für Spieltag für Diskussionen existentieller Art. Hellmut Krug, Projektleiter Video beim DFB, musste auch dieses Wochenende wieder erklären, dass der Verband den Testlauf auf keinen Fall aussetzen möchte. „Dafür gibt es überhaupt keine Veranlassung, und es wäre auch das Verkehrteste, was wir machen könnten. Man kann doch nicht ein zukunftsweisendes Projekt vorantreiben, indem man es aussetzt“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Krug hält die Debatte – tatsächlich mit einiger Berechtigung – für scheinheilig: „Erst ist man nicht bereit, Fehler der Schiedsrichter zu akzeptieren, und schreit jahrelang nach technischer Hilfe“, sagte er. Jetzt gebe es ein Werkzeug, das helfe, grobe Fehler zu vermeiden. „Und nun wird so getan, als wäre alles noch viel schlimmer als zuvor. Mit Verlaub: Das ist doch Unsinn.“Der Videoassistent kann tatsächlich Fehlentscheidungen minimieren und den Fußball gerechter machen. Aber funktionieren müsste er halt ...
Insofern war der sechste Spieltag ein guter für den Video Assistent Referee, kurz: VAR, wie der Videoassistent offiziell heißt. Schiedsrichter
Tobias Stieler erntete nämlich am Samstag viel Lob für seine Inanspruchnahme des Fernsehbildes. Beim 1:0 (0:0) des FSV Mainz gegen Hertha BSC joggte Stieler nach einer strittigen Szene im Berliner Strafraum an die Seitenlinie, sah sich dort selbst noch einmal in der Wiederholung an, wie Hertha-Verteidiger Karim Rekik den Mainzer Yoshinori Muto recht ungestüm attackierte – und entschied auf Strafstoß. Der in ● Köln sitzende Videoassistent hatte nach Ansicht der Bilder kein eindeutiges Urteil fällen wollen. „Für die Glaubwürdigkeit ist es auf jeden Fall besser, wenn der Schiedsrichter zum Bildschirm läuft und es sich selbst anguckt, als dass er 30 Sekunden mit dem Finger am Ohr auf dem Platz rumsteht“, lobte Mainz-Kapitän Stefan Bell. „Dem Videoassistenten war es nicht so klar, wie er die Situation bewerten soll und hat mich gefragt, ob ich den Armeinsatz gesehen hätte“, berichtete Stieler. „Nach Ansicht der Bilder habe ich meine Entscheidung revidiert.“Auch der Gegner fand das gut. „Der Schiedsrichter hat gut gepfiffen. Es ist eine neue Regel. Wir müssen damit klarkommen. Ich akzeptiere das“, sagte Berlins Trainer Pal Dardai.
Für Diskussionen sorgte Stieler in Mainz aber auch. Zumindest bei Vedad Ibisevic, Herthas Stürmer, der kurz vor Schluss wegen einer angeblichen Schiedsrichterbeleidigung mit Rot vom Platz flog. Wegen einer Platzwunde im Gesicht schickte Stieler den früheren Stuttgarter zur Behandlung vom Platz. Ibisevic aber bockte. „Er hat verstanden, ,Du bist scheiße’, aber ich habe nur gesagt, ,Das ist doch schlecht’. Jetzt hat er recht und ich nicht“, sagte Ibisevic. Weil Stieler ein anderes „Sch ...“Wort gehört haben soll, fordert Ibisevic sozusagen ein Update des VARs, nämlich einen zusätzlichen Lippenleserschiedsrichter. Er hoffe, sagte Ibisevic, dass sich ein Lippenleser die Konversation mal ansehen könne, „die gibt es doch jetzt immer im Stadion“.
Ein Punktejubiläum feiern durfte ● Freiburgs Coach Christian Streich, der dank des 0:0 gegen Werder Bremen seinen 200. Zähler als Bundesligacoach verbuchen durfte. Dass der SC saisonübergreifend seit acht Spielen auf einen Sieg wartet, dürfte ihm weniger gefallen, aber: „Es ist okay, wir sind stabil“, sagte er. Zumal Bremen bereits seit neun Spielen auf einen Dreier wartet. Und sollten die Siege bei beiden Clubs weiter ausbleiben, dürfte Alexander Nouri in Bremen wesentlich schneller und mehr Gegenwind erhalten als Streich in Freiburg. „Wir lassen das sacken und arbeiten das auf“, kündigte Werder-Manager Frank Baumann an.
Für die Zitate des Spieltages sorgte Wolfsburgs Maximilian Arnold bereits am Freitag: Nach dem 2.2 sagte der glückliche Torschütze zum 1:2, bei dem Bayern-Keeper Sven Ulreich der Ball durchgeflutscht war: „Ein blindes Huhn trifft auch mal ein Korn.“Nach seinem Treffer seien „die Eier wieder gewachsen, die kurzzeitig weg waren. Die waren im Schienbeinschoner.“