Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wenn Wasser krank macht
Über gefährliche intrazelluläre Bakterien forscht Carmen Buchrieser am Pasteur-Institut in Paris
- Leitungswasser ist das in Deutschland am besten untersuchte Lebensmittel überhaupt. Wir trinken es und brauchen keine Erkrankung zu fürchten. Normalerweise. Aber Wasser kann auch krank machen. Vor allem, wenn wir mit Legionellen verseuchte Aerosole einatmen. Dieses sehr feine Gemisch aus Luft und Wasser bildet sich in Klimaanlagen, Raumbefeuchtern, Kühltürmen, Whirlpools, aber auch in Duschköpfen, die lange nicht benutzt wurden. Und dort nisten sich die heimtückischen Bakterien namens Legionellen mit Vorliebe ein. Die Annehmlichkeiten des modernen Lebens bergen eben auch Gefahren.
So steckten sich im Februar 1999 bei einer Blumenschau in Nordholland mehr als 200 Besucher mit dem Erreger an. 22 der Infizierten starben. Verursacher waren Whirlpools, so das Urteil von Amsterdamer Richtern. Das zur Demonstration auf der Schau genutzte Wasser war demnach nicht gechlort worden. 2009 geriet Ulm in die Schlagzeilen. Der Kühlturm eines neu installierten Blockheizkraftwerkes lief noch im Probebetrieb und wurde immer wieder abgeschaltet, sodass sich im lauwarmen Wasser die Legionellen stark vermehren konnten: Fünf Menschen erlagen der Infektion aus der Luft. 2014 wurde Villa Franca de Xira, ein Vorort von Lissabon, von einer Legionellen-Epidemie heimgesucht, weil ein Industriekühlturm die Erreger verschleuderte. Elf Menschen starben.
Zehntausende Erkrankte pro Jahr
Nach Schätzung des Umweltbundesamtes erkranken in Deutschland jedes Jahr 20 000 bis 32 000 Menschen an einer Lungenentzündung, die durch Legionellen hervorgerufen wird. Bis zu 15 Prozent der Fälle enden tödlich. Erstmals identifiziert wurden die Krankheitserreger 1977 – als Ergebnis einer intensiven Forschungsarbeit US-amerikanischer Wissenschaftler. Sie hatten nach einer Erklärung gesucht, warum es 1976 zu massenhaften lebensgefährlichen Lungenentzündungen bei einem Treffen von Legionären in Philadelphia gekommen war. Rund 200 Personen wurden krank, 34 Patienten starben – und die Erreger hatten ihren Namen.
Für Carmen Buchrieser, österreichische Biologin und Professorin am Pasteur-Institut in Paris, ist diese Massenerkrankung auch ein deutlicher Beleg dafür, wer besonders gefährdet ist: „Das war eine Ansammlung von Risikopersonen in einem Hotel, in dessen Klimaanlage das Bakterium vorkam.“Ein hohes Risiko, dem Krankheitserreger zum Opfer zu fallen, haben eben ältere und durch eine Krankheit geschwächte Menschen. Auch Raucher sind stärker gefährdet als Nichtraucher.
„Beim Ausbruch der Krankheitswelle in Philadelphia war das Bakterium noch gar nicht bekannt, schon gar nicht als Krankheitserreger. Die Wissenschaftler brauchten ein Jahr, um den Krankheitsverursacher zu identifizieren“, erklärt die Biologin, deren Forschungsschwerpunkt die Pathogenese von Infektionen mit intrazellulären Bakterien ist. Etwas einfacher ausgedrückt: die Entstehung von Infektionen durch Stoffwechselparasiten.
Um solche intrazellulären Bakterien handelt es sich auch bei den Legionellen. Das heißt, sie brauchen andere Zellen, damit sie sich vermehren können. Buchrieser: „Alle Versuche, die Bakterien zu kultivieren, scheiterten zunächst, weil sie nicht gewachsen sind.“Legionellen können im Wasser in einer Art Schlafstadium überleben, bis sie von Einzellern wie Amöben gefressen werden. Dann aber „wachen sie auf“und beginnen sich zu vermehren. Erst als die Forscher vom Center for Disease Control in Atlanta diese Kulturmethode auch für die Anzucht der Erreger der Legionärskrankheit in Philadelphia anwendeten, konnten sie das Bakterium vermehren und schließlich 1977
isolieren. Inzwischen sind über 60 verschiedene Legionellen-Spezies bekannt, und vermutlich gibt es noch mehr, die man noch gar nicht entdeckt hat. Aber zusammen mit
ist für mehr als 90 Prozent der entsprechenden Erkrankungen verantwortlich. Es sind Umweltkeime, die den Menschen für ihre Existenz nicht brauchen, im Gegensatz zu Mykobakterien, die zum Beispiel Tuberkulose verursachen und von Mensch zu Mensch übertragen werden. Finden sie kein menschliches Opfer, sterben sie. Bislang ist auch nur ein Fall bekannt, wonach Legionellen von Mensch zu Mensch übertragen wurden. „Legionellen sterben ohne uns überhaupt nicht. Legionellen sind durch Zufall Krankheitserreger“, sagt die Wissenschaftlerin.
Uralte Bakterien
Sie geht auch davon aus, dass es die Krankheit schon früher gegeben hat, aber eben nicht in diesem Ausmaß. Denn im Grunde sind Legionellen uralte Bakterien. Interessanterweise haben Genom-Analysen der jetzt identifizierten Krankheitserreger gezeigt, dass diese „hoch klonal“sind, da sie fast keine genetischen Unterschiede zeigen. Das bedeutet, sie entstanden vor relativ kurzer Zeit (20-100 Jahren). „Möglicherweise haben menschliche Veränderungen der Umwelt neue Nischen geschaffen, die es bestimmten LegionellenIsolaten nun erlauben, sich zu vermehren, auszubreiten und die Krankheit zu verursachen“, erklärt Buchrieser.
Legionellen kommen im Wasser vor, werden aber bei über 60 Grad abgetötet. Keimherde können sich also nur dort bilden, wo Restwasser lange in der Leitung steht. Daher müssen Trinkwasserleitungen in Mehrfamilienhäusern laut Gesetz alle drei Jahre auf einen möglichen Bakterienbefall hin kontrolliert werden, in öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Kliniken und in Hotels sogar jährlich.
Das Prinzip entschlüsseln
Fazit der Wissenschaftlerin: „Das sind alles Vorsichtsmaßnahmen. Ausrotten kann man Legionellen aber nicht.“Das Ziel der Forschung ist es deshalb, die Strategie dieser Bakterien zu entschlüsseln. „Wenn wir verstehen, wie es Legionellen schaffen, sich im menschlichen Körper zu vermehren, dann können wir auch Mittel finden, dieses zu verhindern.“
Fest steht, vermehren können sich die Bakterien fast ausschließlich in Wirtszellen, wie der Amöbe. Amöben sind „Fresszellen“, ähnlich den Makrophagen. Diese Zellen gehören zum Immunsystem des Menschen und haben die wichtige Aufgabe, jeden Eindringling aufzufressen und zu zerstören.
Nun haben es aber Legionellen als „intelligente“Bakterien gelernt, sich nicht von Fresszellen vernichten zu lassen, sondern sich in ihnen einzunisten und zu vermehren. In der Forschungsgruppe von Carmen Buchrieser wurde entdeckt, wie diese Pathogene ihr Ziel erreichen. Legionellen können demnach DNA ihrer Wirtszelle aufnehmen, sie in ihr eigenes Genom einbauen und dann die darauf kodierten Proteine in die Wirtszelle absondern. Dadurch sind sie in der Lage, die Funktionen der Wirtszelle so umzuprogrammieren, dass die Vermehrung der Legionellen möglich ist. Das geschieht auch in den Makrophagenzellen, die dadurch ihre Funktion als „Polizei im Körper“verlieren. „Wenn wir erforschen können, welche verschiedenen Signalwege Legionellen umpolen, um sich zu vermehren, dann lernen wir im Umkehrschluss auch, welche Signalwege ein Mensch braucht, um eine Krankheit zu bekämpfen“, umreißt Buchrieser das Aufgabengebiet. Was die zeitliche Umsetzung angeht, hält sie sich allerdings zurück.