Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„In diesen Gesichtern spiegelt sich alles wider“
Der Fotograf Samuel Zuder veröffentlicht einen Fotoband über die Pilger am heiligen Berg Mount Kailash
RAVENSBURG - Es ist ein Herzensprojekt, das sich der Fotograf Samuel Zuder mit dem Buch „Face to Faith – Mount Kailash“erfüllt hat. Vier Wochen hat er sich am wichtigsten Pilgerberg der Buddhisten und Hinduisten aufgehalten, die Menschen dort fotografiert. Katja Waizenegger hat sich mit ihm über die Strapazen der Pilger, den Wunsch nach Entschleunigung – und den Vorteil einer Großbildkamera unterhalten.
Spricht es für einen gewissen Hang zum Morbiden wenn man sich auf den Weg zum Mount Kailash macht? Immerhin erinnert die Landschaft dort an einen unwirtlichen Planeten.
Morbide würde ich es nicht nennen. Aber der Mount Kailash ist einer der Orte, die eigentlich nicht für Menschen geschaffen sind. Solche Orte haben aber immer schon eine Faszination auf mich ausgeübt. Orte, die es einem nicht leichtmachen, sie zu mögen. Der Großteil der Kora, dem Pilgerweg um den Berg, liegt in einer trostlosen, unwirklichen Landschaft. So stellt man sich den Mars vor: Steine, Sand, Geröll. Mich hat es mit meinem Fotoapparat immer schon an Unorte, wie ich sie nenne, gezogen. Das eine Mal war es eine Psychiatrische Anstalt auf einer Insel der Wolga in Tartastan. Der Ort war schwer zugänglich, zehn Stunden sind wir täglich über das Eis gegangen, fünf Stunden hin, fünf zurück.
Und warum der heilige Berg?
Der allererste Impuls für das Projekt war ein Roman von Christian Kracht mit dem Titel „1979“. Er ist im Jahr 2001 erschienen. Der Protagonist des Romans bekommt von einem weisen Menschen den Rat, zur Läuterung um den Kailash zu pilgern. Das Ende des Buchs spielt also dort. Das war das erste Mal, dass ich vom Mount Kailash gehört habe.
Welche Rolle spielt die Religion bei diesem Projekt?
Für mich persönlich keine große. Es ist sozusagen ein wissenschaftliches Interesse am Phänomen Glaube an sich. Starker Glaube strömt diese unglaubliche Kraft aus, die die Welt bewegt – im Guten wie im Schlechten. Die Pilger am Mount Kailash lassen oft alles hinter sich, unternehmen die größten Anstrengungen, auch finanziell, um einmal an diesen Ort zu kommen.
Was geben die Pilger auf?
Tibet ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Viele dieser Pilger leben von umgerechnet 500 Dollar im Jahr. Dennoch geben sie das bisschen Sicherheit auf, um über Wochen oder Monate an diesen Ort zu pilgern. Es ist ja nicht wie bei Hape Kerkeling, der aus einer gesicherten Situation heraus sagen kann „Ich bin dann mal weg“. Und der dann über den Benefit des Buches und des Filmes auch noch sehr viel zurückbekommt.
Wie konnte dieser religiöse Ort die chinesischen Säuberungen überstehen?
Das war tatsächlich nicht selbstverständlich. Die Chinesen haben immer wieder versucht, neuralgische Punkte, welche die tibetische Kultur repräsentieren, unter ihre Kontrolle oder gar unter ihre Gewalt zu bringen. Das betrifft natürlich in besonderem Maße den Kailash. Es gab Planungen der chinesischen Regierung in den 1990er-Jahren, die Kora zur asphaltierten Straße auszubauen. Dagegen hat sich ein internationaler Protest erhoben, sodass die Arbeiten eingestellt werden mussten.
Wie kann man sich den Pilgerweg vorstellen?
Die äußere Kora ist ein Trampelpfad, der 54 Kilometer um den Berg führt. Dann gibt es noch die innere Kora, die noch schwieriger zu begehen ist. Aber diese innere Kora darf man erst begehen, wenn man 13 mal die äußere gegangen ist. Man bekommt allerdings Rabatt, wenn man im Jahr des Pferdes pilgert. Dann zählt ein Weg siebenfach. Die Tibeter hetzen schon fast um diesen Berg. Viele machen die Runde, für die man normalerweise drei Tage braucht, an einem Tag. Es heißt, dass der Weg dann eine besondere Kraft entfaltet. Wenn man dann noch bedenkt, dass es bis auf 5600 Meter Höhe geht, ist das eine Leistung. Der Weg ist zwar alpinistisch nicht anspruchsvoll, sondern eher ein Wanderweg. Aber die Höhe setzt einem natürlich schon zu. Man darf sich das aber auch nicht als reine Strapaze vorstellen. Es herrscht keine sakrale Stimmung unter den Pilgern. Der gesellschaftliche Aspekt spielt eine mindestens ebenso wichtige Rolle.
Was war der schwierigste Moment auf der Reise?
Wenn ich arbeite und fotografiere, bin ich so konzentriert, dass ich alles um mich herum vergesse: Hunger, Kälte, Hitze. Das wirklich Mühsame war meiner Arbeitsweise geschuldet, dem Fotografieren mit der Großbildkamera. Wenn wir abends um zehn Uhr in die Unterkunft kamen, musste ich immer noch die Kassetten entladen, die Filmplatten sichern, und das alles bei völliger Dunkelheit. Das war körperlich schon sehr anstrengend.
Lassen sich die Pilger gerne fotografieren?
Ja und nein. Am Anfang hatten wir Schwierigkeiten, da die Pilger normalerweise wenig Kontakt zu Westlern haben. Ein großer Vorteil war, dass ich mit der Großbildkamera Polaroid-Aufnahmen machen konnte. Die wollte jeder haben, und plötzlich standen die Pilger Schlange, um fotografiert zu werden. Denn wenn sie von sich ein Foto bekommen an einem heiligen Ort, dann ist das natürlich was Besonderes.
Und was ist das Besondere am Fotografieren mit Großbildkamera?
Mit dieser Art von Plattenkamera hat man im Prinzip zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts fotografiert. Für mich war das Projekt auch eine Art Läuterung, ein Schritt zurück. Auch in meinem Job als Fotograf, der sich im Zuge der Digitalisierung so rasant entwickelt hat. Der Mount Kailash war mein Projekt. Niemand hat mich beauftragt, ich bin keinen Kompromiss eingegangen, habe alles so gemacht, wie ich es wollte. Dabei war es ein Projekt mit ungewissem Ausgang. Ich wusste ja bis zum Schluss nicht, ob alles klappt: Ob die Chinesen mich reinlassen, ob die Pilger sich fotografieren lassen. Aber das war auch egal. Es musste nicht gelingen. Die Wahl der Kamera hat dieser Einstellung, dem Reduzieren auf das Wesentliche, entsprochen. Ein anderer Grund war ein ganz pragmatischer: Ich wusste nicht, wie die Stromversorgung vor Ort sein würde.
Sieht man den Fotos diese spezielle Art der analogen Fotografie an?
Im besten Falle, ja. Denn so ein großes Negativ, vier auf fünf Inch, fasst natürlich eine wahnsinnige Palette an Informationen. Das Großbildnegativ ist für mich und viele andere immer noch das Nonplusultra dessen, was man fotografisch erreichen kann. Gerade den Porträts verleiht die Großbild-Qualität einen ganz eigenen Zauber; wenn zum Beispiel nur die Augen gestochen scharf sind und alles andere in einer leichten Unschärfe verschwimmt. Die stärksten Porträts sind übrigens am Ende der Kora entstanden. Da haben die Pilger all die Strapazen hinter sich und sind auch williger, eine Pause einzulegen. In den Gesichtern spiegelt sich dann alles wider: Freude, Ehrfurcht, Anstrengung. Manchmal auch ein bisschen Wahnsinn.