Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Unberechenbarer Mix: Kräuterdrogen im Kommen
Psychoaktive Substanzen vor allem bei Jugendlichen beliebt – Polizei warnt vor gefährlichen Vergiftungen
- Sie kommen in bunten, flippigen Folienbeuteln daher, tragen hübsche Namen wie „Space Dust“oder „Yucatan Fire“und wirken harmlos. Sind sie aber nicht. Häufig nicht einmal legal. Dafür aber auch in der Region Bodensee-Oberschwaben auf dem Vormarsch: Kräutermischungen mit Rauschwirkung.
Wenn Uwe Stürmer, stellvertretender Leiter des Polizeipräsidiums Konstanz, von solchen Kräutermischungen spricht, sagt er nicht „Legal Highs“, wie das Pulver, das geraucht, geschnupft oder in Pillenform geschluckt wird, auch genannt wird. Stürmer nennt das Zeug „Neue psychoaktive Substanzen“(NpS). Weil sie auf die Konsumenten häufig sehr heftig wirken. Immer öfter komme es im Bereich des Polizeipräsidiums Konstanz zu „teilweise schweren, lebensgefährlichen Vergiftungen“, berichtet Stürmer. Im März diesen Jahres sei in Überlingen etwa ein Jugendlicher bewusstlos aufgefunden worden, nachdem er eine Kräutermischung genommen habe. Sogar von Nahtoderfahrungen hätten Konsumenten berichtet, weiß Stürmer. Ende 2015 seien in Ravensburg zwei Menschen gestorben, bei denen „der Verdacht besteht, dass neue psychoaktive Substanzen zumindest mit zur Todesursache zählen“, wie Stürmer sagt. Darüber hinaus mussten sechs Häftlinge der JVA Ravensburg stationär behandelt werden, nachdem sie Kräutermischungen genommen hatten.
RAVENSBURG
Ähnliche Wirkung wie Kokain
Dabei kommen die Präparate als Lufterfrischer, Badesalze oder eben Kräuterpulver, -tabletten- oder -kapseln daher. Allerdings fördern kriminaltechnische Untersuchungen regelmäßig zutage, dass den Kräutern Chemikalien zugesetzt werden, die ähnlich wie Amphetamin, Kokain oder Cannabis wirken. Dabei schlagen die häufig in Tschechien oder sonst wo in Osteuropa angesiedelten „Labore“dem hiesigen Betäubungsmittelgesetz immer wieder ein Schnippchen, indem sie ständig neue Mixturen zusammenbrauen. Für Stürmer zählen Kräutermischungen daher genauso zu Designerdrogen wie Speed, Ecstasy oder Crystal Meth.
Weil man aber nie so genau wisse, was eigentlich drin ist, vergleicht der Kriopchef den Konsum mit Russischem Roulette: „Da macht man sich zum Versuchskaninchen.“Viele Wirkstoffe und ihre Neben- und Langzeitwirkungen seien noch gar nicht erforscht; auf den Verpackungen sei in der Regel nicht angegeben, was in einem Päckchen oder einer Pille drin ist.
Bei ihren Einsätzen haben die Polizeibeamten im Einzugsbereich des Konstanzer Präsidiums von Sigmaringen über Ravensburg und den Bodenseekreis bis nach Singen aber immer häufiger mit Leuten zu tun, die, nachdem sie die im Vergleich etwa zu Kokain eher preisgünstigen NpS geschluckt oder geraucht haben, „völlig austicken“, so Stürmer. Sascha Schmadel, Notfallsanitäter beim Johanniter-Regionalverband Ravensburg-Bodensee, bestätigt: Von Unruhe und Verfolgungswahn bis Depressionen und einem rasend schnellen Puls reichten die Wirkungen. Vor allem sei diese Klientel „hoch aggressiv“, werde gegenüber Eltern, Freunden, sich selbst und auch den Sanitätern handgreiflich und zerlege auch schon mal eine Wohnung.
Weil „das Zeug aber bei jedem ein wenig anders wirkt“und man außerdem nicht wisse, welchen chemischen Cocktail der Betreffende intus habe, sei es schwierig, als Sanitäter das Richtige zu verabreichen: „Das ist für uns in jeder Hinsicht eine unberechenbare Situation“, gesteht Schmadel. Seitens des baden-württembergischen Innenministerium heißt es darüber hinaus, dass der Konsum von Legal-High-Drogen auch lebensgefährliche Vergiftungen mit Wahnvorstellungen, Psychosen, Muskelzerfall, Atemstillstand sowie Nieren- oder Kreislaufversagen nach sich ziehen kann.
Betroffen sind vor allem Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren, gibt Stürmer zu Protokoll: „Die unterschätzen die Kräutermischungen meist total.“Auch der Ravensburger Streetworker Jörg Sick kennt das Problem: Insbesondere, wer Kräutermischungen in der Wasserpfeife rauche, „dem haut’s den Vogel raus“. Zudem sei der Stoff verdammt einfach zugänglich: Jeder könne sich die hippen Mischungen mit ein paar Mausklicks übers Internet bestellen und liefern lassen.
Wie sehr der illegale Drogenmarkt in Bewegung ist, zeigt der Fall in einer Ravensburger Kreisgemeinde: Ein Handwerker bekam dort innerhalb weniger Tage gut zwei Dutzend Irrläufer-Pakte voller Pillen und Salze. Die Kripo identifizierte den Inhalt als Kräutermischungen. „Nicht zuletzt an solchen Dingen merken wir“, sagt Stürmer, „was im Hinblick auf die Kräutermischungen momentan abgeht“.