Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Österreich prescht am Brenner voran
Grenzsperren sollen schon ab Juni eingeführt werden – Bauarbeiten haben begonnen
- Österreich prescht in seiner Abschottungspolitik gegen Flüchtlingsströme einmal mehr voran: Am Brennerpass werden Grenzsperren gegen erwartete Flüchtlingsströme errichtet. Italien protestiert, auch die EU ist „tief besorgt“.
Die Alpenrepublik war Vorreiter bei der Schließung der Balkanroute. Der Flüchtlingsstrom zwischen Griechenland und Deutschland ist nahezu versiegt, wie auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kürzlich zufrieden feststellte. Die dramatischen Folgen, wie sie sich gerade im griechischen Grenzort Idomeni abspielen, nimmt die Wiener rot-schwarze Regierung in Kauf. „Es wird unschöne Bilder geben“, bemerkte der junge Außenminister Sebastian Kurz kühl.
WIEN
Schreckensszenario in Wien
Jetzt also der Brenner: Der wichtigste Alpenpass zwischen Nord und Süd werde, so befürchtet Österreichs Regierung, das neue Spielfeld, wenn nichts geschieht. 300 000 Flüchtlinge würden 2016 von Italien über den Brennerpass nach Deutschland wollen, malt man in Wien das Schreckensszenario. Zuvor hatte die italienische Regierung Befürchtungen geäußert, der EU-Türkei-Pakt würde den Flüchtlingsstrom umleiten.
Am Dienstag begannen am Brenner die Bauarbeiten für die Kontrolleinrichtungen, das Fundament für ein Flugdach wird ausgehoben. Bis Ende Mai soll eine ähnliche Infrastruktur wie im südsteirischen Spielfeld stehen. Ob auch ein Zaun errichtet wird, steht noch nicht fest. Der Grenzverkehr werde durch die Bauarbeiten nicht behindert, versichert die Tiroler Polizeidirektion.
Doch der Brenner ist nicht irgendeine Grenze: Der Alpenpass symbolisiert die Reisefreiheit in Europa schlechthin, und neue Grenzsperren wecken bei den südlichen Nachbarn ungute Erinnerungen. In der EU sind die Tiroler praktisch vereint, neue Grenzsperren würden Erinnerungen an die jahrzehntelange schmerzhafte Trennung wiederbeleben.
Arno Kompatscher, Südtirols Landeshauptmann, nennt die Ankündigung des österreichischen Verteidigungsministers Hans Peter Doskozil, notfalls die Brennergrenze auch mit Soldaten zu sichern, „Kampfrhetorik“. In einem Interview mahnte Kompatscher die Österreicher: „Ich würde mir wünschen, dass man sich mit dem gleichen Engagement für eine gemeinsame europäische Lösung einsetzt.“
Italiens Vizeinnenminister Filippo Bubbico drohte Österreich gestern ein Verfahren wegen Verletzung des Schengen-Abkommens an, will aber zunächst abwarten, „was Österreich genau plant“. Einen kilometerlangen Zaun am Brenner aber werde Italien keinesfalls akzeptieren.
Auch die EU-Kommission zeigte sich besorgt. Man werde die Pläne Österreichs „genau prüfen“, so die Sprecherin des Innenkommissars Dimitris Avaramopoulos, und mahnte Wien: „Der Brennerpass ist unabdingbar für die Reisefreiheit in der EU.“Österreichs scheidende Innenministerin Johannas Mikl-Leitner verspricht: „Wir werden alles tun, um die Reisefreiheit über den Brenner sicherzustellen.“
Österreichs rot-schwarze Koalition will den Eindruck entschlossenen Handelns vermitteln, nicht zuletzt wegen der Präsidentschaftswahl am 24. April. Laut Umfragen könnten erstmals die Kandidaten der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP durchfallen und nicht einmal die Stichwahl kommen.