Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Versuchter Mord mit Chip im Kopf
22-Jährige soll Bekannten mit Messer attackiert haben – Tat hängt mit Verschwörungstheorien zusammen
- Wenn die 22-Jährige mit ihrem brünetten, langen Haar und der weißen Bluse von ihrem Leben erzählt, wirkt alles ganz normal: behütete Kindheit mit Mutter und Bruder, regelmäßiger Kontakt zum Vater, Freundeskreis, Abitur und schon die Zusage für ein duales Studium, das im September hätte beginnen sollen. Doch dieses Ziel muss die junge Frau vorerst aufgeben. Am Donnerstagmorgen sitzt sie wegen versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank des Landgerichts Hechingen. Sie soll einen Bekannten ihrer Mutter mit einem Messerstich fast getötet haben.
Die Geschichte dahinter beginnt mit besagtem Studium. Um sich darauf vorzubereiten und ihrem Interesse an Informatik nachzugehen, habe sie angefangen, sich häufiger mit dem Bekannten der Mutter getroffen. „Er ist ein Genie in der IT“, schwärmt die junge Frau zu Beginn ihrer Aussage rund um die Tat. Von ihm wollte sie lernen.
Doch die Treffen driften schnell in eine andere Richtung ab, wie die 22-Jährige emotionslos schildert. Er habe ihr Videos gezeigt, in denen es um Chiptransplantationen und Gedankenkontrolle ging, habe ihr viel Wissen darüber vermittelt und ihr offenbar glaubhaft gemacht, dass auch sie als Tochter einer Alleinerziehenden diese Chips im Körper habe.
Schließlich gab der 65-Jährige vor, der Angeklagten mit den Chips Gedanken einpflanzen und diese kontrollieren zu können. „Ich wurde von ihm mit den Gedanken gefoltert“, liest sie vor und nennt Beispiele: Regelmäßig habe die Stimme, die anders als ihre eigene klinge, sie aufgefordert, mit ihm Sex zu haben, gedroht, ihr alle Knochen zu brechen und sie zu vergewaltigen. Schließlich seien auch die Befehle dabei gewesen, erst ihren Vater und schließlich sich selbst zu töten. Passiert sei all das nie.
„Ich hatte Angst, Menschen zu verletzen“, sagt sie, weiterhin eher kühl. Deshalb habe sie den Mann mehrfach dazu aufgefordert, es zu unterlassen. Das Gegenteil sei passiert: „Er sagte: Zieh dich aus oder es hört nie auf mit den Stimmen“, berichtet sie. Als sie ihn laut eigener Aussage ein weiteres Mal um ein Ende der Folter bitten möchte, hat sie zwei Messer dabei, ein Klappmesser mit 8,5 Zentimetern Klinge und ein Küchenmesser. Mit ihnen betritt sie das nicht abgesperrte Haus und sticht schließlich mit dem Klappmesser zu. Das gesteht die Angeklagte.
Danach, so die Anklageschrift, soll sie zusätzlich noch das Küchenmesser nach dem Geschädigten geworfen haben. Als er mit dem Anruf bei der Polizei gedroht hat, während er bereits stark blutete, sei sie geflohen. Der Rettungsdienst brachte den Mann in ein Krankenhaus, es folgte eine Not-OP. Er trug schwerste Verletzungen davon, darunter eine durchtrennte Arterie, einen zerschnittenen Muskel und ein Loch im Magen. Ohne die Operation, so Staatsanwalt Ronny Stengel, sei der Mann verblutet.
Wie genau die Tat genau ablief, bleibt allerdings vorerst offen. Die Aussagen von Angeklagter und Geschädigtem widersprechen sich stark. Der 65-jährige, schlaksige Mann weicht bei der Befragung zuerst sämtlichen Fragen der drei Richter
und der Staatsanwaltschaft aus, windet sich, spielt unwissend. Doch im Laufe des Verfahrens gibt er zu, mit der Angeklagten Videos mit Inhalten geschaut zu haben, die „allgemeinhin als Verschwörungstheorien gelten“, sagte er. Allerdings, fuhr er fort, sollten diese Videos als abschreckendes Beispiel dienen.
Darüber hinaus behauptet er, die junge Frau habe ihm am Abend vor der Tat gestanden, „sexuelle Vorstellungen“mit ihm zu haben, woraufhin er sie wegschickte. Von Chips im Kopf und dem psychischen Ausnahmezustand der Angeklagten will er nichts gewusst haben. Das betont er mehrfach. Doch das Gericht beweist,, dass er offenbar lügt: Die Angeklagte hat besagtes Gespräch am Vortag der Tat mitgeschnitten, beisitzender Richter Philipp Wissmann und Staatsanwalt Stengel zitieren daraus. Von sexuellen Vorstellungen ihrerseits ist dabei keine Rede.
Die 22-Jährige wiederum wirft dem Geschädigten vor, sie am Tag vor der Tat erst im Intimbereich und schließlich an der Hüfte berührt zu haben. Darüber hinaus habe er immer häufiger Anspielungen gemacht, die darauf schließen ließen, dass er sexuell interessiert sei, berichtete sie. Das habe sie rigoros abgelehnt. Letztlich steht Aussage gegen Aussage.
Die Angehörigen der Angeklagten, Mutter, Vater und Bruder, sind auch als Zeugen geladen. Sie alle beschreiben die junge Frau als freundlich, ruhig, aber lebensfroh. Erst durch die Treffen mit dem Geschädigten habe sie sich verändert, da sind sich die drei einig.
Derzeit steht die Diagnose akute schizophrene Störung im Raum, die ein psychologischer Sachverständiger ermittelt hat. Daher muss beim Prozess auch die Frage der Schuldunfähigkeit geklärt werden. Da von ihr aufgrund der Erkrankung laut Staatsanwalt Stengel eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, ist außerdem offen, wie lange sie in Sicherheitsverwahrung bleiben muss. Am Montag wird die Verhandlung fortgesetzt. Dann wird die Tonaufnahme angehört, außerdem sagen der psychologische Sachverständige und die rechtsmedizinische Sachverständige aus. Es wird voraussichtlich ein Urteil geben.