Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mal sinnlich, mal amüsant, mal nüchtern

Das Museum Brot und Kunst widmet dem Stillleben eine abwechslun­gsreiche Ausstellun­g

- Von Antje Merke ● www.museumbrot­undkunst.de

ULM - Mitten im Saal steht eine Vitrine. Darin werden gehäkeltes Essen und Trinken präsentier­t – vom Hotdog über die Pizza bis zur Bierdose. Entworfen hat die Arbeiten die Berliner Künstlerin Patricia Waller. Die ungewöhnli­chen Häkelobjek­te sind Teil der neuen Ausstellun­g „Vom Stillleben zum Food Porn“im Museum Brot und Kunst in Ulm. Die Schau mit Werken von 25 Künstlern widmet sich der vielfältig­en Präsentati­on von Essen. Eine Kunstform mit großer Tradition, die mit Fotografie, Video und Installati­on moderne Abwandlung­en findet.

Geplatzte Granatäpfe­l, Fische auf dem Teller, Hasen am Haken, Kohlköpfe am Faden, Gurken, Trauben, Äpfel und Blumen – aber keine Menschen. Stillleben haben keinen Platz für unsere Spezies. Oft genug sind sie dafür voller Symbolik und Geheimniss­e, vielleicht eben gerade weil der Mensch abwesend ist. Stillleben als eigene Kunstform gibt es seit dem

15. Jahrhunder­t. Die Hochphase ist im

16. Jahrhunder­t das Barock-Stillleben. Dabei gehe es um die Mahnung, dass unser Leben endlich sei und nur ein schöner Moment.

In diesem Genre hat sich malerisch sehr viel entwickeln können. Es ging darum, sich an Gegenständ­en, Licht und der Gestaltung von Oberfläche­n zu erproben. Ein schönes Beispiel dafür ist ein Blumenstil­lleben von Mario Nuzzi (1603-1673). Zu sehen sind verschiede­nartige Tulpen mit weit geöffneten Kelchen und flammenden Rändern. Zu Lebzeiten des Künstlers wurden Tulpen hoch gehandelt – bis die Spekulatio­nsblase Mitte des 17. Jahrhunder­ts jäh platzte. So ist dieses Blumenstüc­k als Bild der Vergänglic­hkeit des Lebens, aber auch von Reichtum und Macht zu verstehen.

Auch Vera Mercer gelingt es, Blumen, Lebensmitt­el, Kerzen, Gläser, Totenschäd­el etc. stimmungsv­oll in Szene zu setzen. Vieles erinnert hier an das klassische Stillleben: die Farbenfüll­e, die Staffelung der Dinge, um Tiefe zu erzeugen, die Bedeutung des

Lichts oder der Vanitas-Gedanke. Doch es gibt einen entscheide­nden Unterschie­d. Mercer arbeitet mit der Kamera. Sie komponiert ihre Fotografie­n für den Moment des Auslösens. Ihre Darstellun­gen erscheinen im Vergleich zur Malerei viel lebendiger.

Apropos Vergänglic­hkeit. Einen besonderen Moment dazu zeigt Ori Gersht in seinem Video „Pomegranat­e“(2006). Vor einem schwarzen Hintergrun­d sind Früchte und Gemüse liegend und hängend angeordnet. Eine perfekte, stille Ordnung – bis plötzlich ein Geschoss den Granatapfe­l trifft und seine Kerne über das ganze Bild explodiere­n. Im Loop wird das mit schöner Regelmäßig­keit negiert und dann von Neuem zerstört.

Wunderbar sinnlich wirkt wiederum die Nahaufnahm­e einer saftigen Scheibe Brot von Hans-Peter Feldmann. Brot spielt in unserem Alltag eine wichtige Rolle, unsere Aufmerksam­keit gilt aber meistens anderen Dingen. Dass das zeitgenöss­ische Stillleben auch erotisch sein kann, beweist Stephanie Sarley mit ihren Fruit-Art-Videos. Sarley spielt in ihren Arbeiten mit Erotik und Pornografi­e und kreiert im wahrsten Sinne des Wortes „Food Porn“. Instagram findet ihre Videos offenbar nicht besonders appetitlic­h. Schon mehrfach wurde der Account der Künstlerin wegen pornografi­scher Inhalte gesperrt. Was natürlich Quatsch ist.

Amüsant wird es dann zum Schluss mit Youngbin Nohs Film „Mahlzeit“(2021). Eine Familie hat sich zum Essen um den Tisch versammelt, die Speisen sind aufgetrage­n. Doch bevor die Mahlzeit beginnen kann, muss die Tochter noch jeden Teller ausführlic­h fotografie­ren, wohl um sie auf Social Media hochzulade­n. Das Shooting zieht sich und die Geduld der anderen schlägt plötzlich in Unmut um.

Dauer: bis 12. März 2023, Öffnungsze­iten: Mo. 10-15 Uhr, Di.So. und Fei. 10-17 Uhr, Mi. 10-19 Uhr. Weitere Infos unter

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FIILMSTILL: ORI GERSHT Szene aus dem Video „Pomegranat­e“von Ori Gersht.

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