Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zeitenwende für die Rüstungsbranche
Die Konzerne im Südwesten wollen ihre Produktion ausweiten und mehr Stellen schaffen
RAVENSBURG - Angesichts der von der Bundesregierung geplanten zusätzlichen Milliardenausgaben für die Bundeswehr stellen die Rüstungskonzerne im Südwesten eine Ausweitung ihrer Produktion in Aussicht. Das ergaben Nachfragen der „Schwäbischen Zeitung“bei den Herstellern Hensoldt sowie Heckler & Koch. Dazu sollen demnach die Umstellung auf Mehrschichtbetrieb ebenso wie neue Kooperationen mit externen Partnern beitragen.
Nur einen Tag nach der verteidigungspolitischen Kehrtwende der Bundesregierung hatten sich am Montagvormittag der Abteilungsleiter Ausrüstung im Verteidigungsministerium, Carsten Stawitzki, mit Vertretern der größten deutschen Rüstungshersteller per Videokonferenz über die Verwendung des kräftig aufgestockten Wehretats von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beraten. In dem Gespräch ging es unter anderem darum, wie sich die Einsatz- und Gefechtsbereitschaft der Truppe kurzfristig steigern und die Beschaffung beschleunigen lässt. Es ging aber auch um konkrete Großvorhaben, wie der Genehmigung zum Kauf von weiteren Schützenpanzern des Typs Puma und einem möglichst zeitnahen Ersatz der veralteten Tornado-Flotte der Luftwaffe.
Um auf den akuten Bedarf der heimischen Streitkräfte in dem jetzt geforderten Eiltempo zu reagieren, kann sich der Radar- und Sensorspezialist Hensoldt vorstellen, an den Standorten Ulm und Immenstaad, wo Luftverteidigunsradare produziert werden, auf Mehrschichtbetrieb umzustellen. „Wir haben an diesen Standorten vor zwei Jahren eine Serienfertigung eingeführt, die – in Abstimmung mit dem Betriebsrat und den Mitarbeitern – leicht zu skalieren wäre“, sagte ein HensoldtSprecher der „Schwäbischen Zeitung“. Das Unternehmen mit Sitz in Taufkirchen bei München baut in Ulm unter anderem das Radar und Selbstschutzsystem für den Eurofighter sowie Periskope und Selbstschutzsysteme für den Schützenpanzer Puma.
Auch bei Airbus Defence and Space am Bodensee schaltet man nach einigen Jahren der Flaute wieder auf Wachstum. Noch 2019 musste der Standort Immenstaad ein Sparpaket und den Abbau von rund 200 Stellen verkraften. Doch seit einigen Monaten ziehen Umsätze und Neuaufträge wieder an. Vor allem im Bereich der militärischen Anwendungen (Defence) wolle man „signifikant wachsen“, sagte Standortleiter Dietmar Pilz dem „Südkurier“. Dafür suche man Fachkräfte in technischen Bereichen, vor allem Softwareingenieure. Aktuell arbeitet rund ein Drittel der 2100 Airbus-Beschäftigten an Verteidigungsanwendungen. Perspektivisch sollen in diesem Bereich die Hälfte der Mitarbeiter tätig sein.
„Es ist unser Bestreben, am Standort eine Balance zwischen den beiden Geschäftsfeldern zu bekommen“, sagte Pilz dem „Südkurier“.
Mit dem künftigen deutsch-französischen Luftkampfsystem FCAS, an dem auch Hensoldt mitwirkt, und das die Entwicklung eines Mehrzweckkampfflugzeugs, unbemannter Begleitflugzeuge sowie neuer Waffen- und Kommunikationssysteme beinhaltet sowie der Eurodrohne ist der Airbus-Standort Immenstaad an zwei zentralen Rüstungsprojekten der EU maßgeblich beteiligt.
Auch beim Waffenhersteller Heckler & Koch ist die Bereitschaft zu einer engeren Zusammenarbeit mit den Militärs in Berlin groß: „Sollte es kurzfristig einen größeren Bedarf unserer Streitkräfte oder anderer Nato-Länder geben, sind wir in der Lage, mit Industriepartnern in Deutschland und Europa auch kurzfristig Kooperationen einzugehen“, erklärte ein Unternehmensprecher auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Zwar produziere Heckler & Koch überwiegend für den Militär- und Behördenmarkt, das heißt für Streitkräfte und Polizeien in den EU- und Nato-Staaten. Doch sollte eine verstärkte Produktion von Militärwaffen erforderlich sein, sei eine Umstellung auf militärische Produkte sehr schnell möglich, hieß es weiter.
Heckler & Koch machte jedoch deutlich, dass der Beschaffungsprozess der staatlichen Rüstungseinkäufer vereinfacht und entbürokratisiert werden müsse, wolle man den akuten Bedarf der Streitkräfte zeitnah bedienen. Mittel- bis langfristig müsse Deutschland weg von den Großprogrammen hin zu einer kontinuierlichen Beschaffung. Das hätte Vorteile für beide Seiten: Die Streitkräfte würden regelmäßig ihre Bestände erneuern und modernisieren, die Industrie könnte langfristige Investitionsentscheidungen treffen und ihre Produktion kontinuierlich und effizient auslasten, so der Heckler & Koch-Sprecher.
Ähnlich äußerte sich Hensoldt, schränkte jedoch ein, dass viele Beschaffungsvorhaben der Vergangenheit weniger an der zögerlichen Bearbeitung von Aufträgen, als vielmehr an den knappen Etatmittel scheiterten.
Auch in einem weiteren Punkt erhofft sich die Branche nun Klarheit von der Politik: Bei der Frage nämlich, ob der Rüstungssektor als nachhaltig eingestuft wird oder nicht. Denn nach der Festlegung der EUKommission, welche Wirtschaftsaktivitäten im Rahmen der sogenannten Taxonomie als ökologisch nachhaltig einzustufen sind, steht diese Entscheidung nun auch für sozial nachhaltige Kriterien und damit unter anderem für die Rüstungsindustrie an. Das ist insofern wichtig, als dass Investoren und Banken Finanzierungsentscheidungen immer stärker davon abhängig machen, ob die Branche als nachhaltig gilt oder nicht. Ohne eine solche klare Einordnung, so der Vorwurf der Branche, würden Banken die Rüstungsindustrie von der Liste ihrer Aktivitäten streichen und Fondsgesellschaften die Aktien aus ihren Portfolios werfen. Dabei zeigten die Ereignisse der vergangenen Tage , dass ohne Sicherheit, ohne gut ausgerüstete Sicherheitskräfte gar kein nachhaltiges Leben möglich sei.
Zumindest der Blick auf die Kursentwicklung börsennotierter Rüstungskonzere relativiert die Befürchtungen: Die Notierungen kennen seit Montag nur eine Richtung – nach oben. Die Hensoldt-Aktie zum Beispiel hat sich innerhalb von drei Tagen in der Spitze mehr als verdoppelt.