Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Höhere Zinsen in der zweiten Jahreshälfte“
Inflation und die robuste europäische Wirtschaft machen für ifo-Ökonom Timo Wollmershäuser die Zinswende unausweichlich
BERLIN - Die Inflationsrate veröffentlicht das Statistische Bundesamt am heutigen Dienstag. Die abflachende Corona-Krise könne die Preissteigerung zusätzlich erhöhen, sagt Ökonom Timo Wollmershäuser im Gespräch mit Hannes Koch. Bald werde die Europäische Zentralbank wohl reagieren.
Der Angriff der russischen Regierung auf die Ukraine lässt die Preise für Energie weiter steigen. Die Inflation zieht an. Wird die Europäische Zentralbank bald etwas dagegen tun?
Augenblicklich beobachten wir extreme Preisschwankungen an den Weltmärkten, es geht hoch und runter. Ich halte aber das Risiko, dass Energie noch teurer wird, für groß. In der Konsequenz werden deshalb wohl auch die Inflationsraten noch eine längere Zeit auf hohem Niveau bleiben. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird ihren ultraexpansiven Kurs deshalb nicht fortsetzen können.
Weil die Inflation schon vor dem Krieg hoch war, müsste die EZB jetzt eigentlich ihre Anleihekäufe einstellen und die Zinsen anheben. Dadurch würde das Geldangebot eingeschränkt und der Preisanstieg reduziert.
Die EZB hat das Geldangebot in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet. Zwar ist nur ein Teil dieses neu geschaffenen Zentralbankgeldes tatsächlich in Form von Krediten an Unternehmen und Haushalte in den Umlauf gekommen. Dennoch sind die Zinsen auf ein Rekordtief gesunken und haben die konjunkturelle Erholung, wann immer die CoronaWellen es zuließen, kräftig unterstützt.
Andererseits könnte der Krieg die Erholung der Wirtschaft nach der Corona-Krise bremsen und das Wachstum drücken. Welche ökonomischen Schäden der Konflikt auch bei uns verursacht, weiß augenblicklich doch niemand?
Das stimmt. Allerdings schwächt sich die Omikron-Welle und damit die Corona-Krise ab. Das wird einen deutlichen Konjunkturschub mit mehreren Prozent Wachstum erzeugen. Die Leute können wieder rausgehen, sie besuchen die Theater und Restaurants, der Dienstleistungssektor erholt sich. Die Folgen der Ukraine-Krise werden diesen Schub allenfalls abschwächen, aber nicht aufhalten.
Sollte die russische Regierung die Öl- und Gasexporte in die Europäische Union stoppen, bekämen viele hiesige Unternehmen massive
Probleme, das Wachstum könnte einbrechen, die Arbeitslosigkeit steigen. In diesem Szenario dürfte die EZB nicht aus der lockeren Geldpolitik aussteigen, sondern müsste sie beibehalten, um die Wirtschaft zu stützen.
Ein Stopp der russischen Energieexporte ist natürlich ein weiteres Risiko. Gegen ein solches Szenario spricht, dass Russland auf Gaslieferungen angewiesen ist, weil es die Devisen braucht. Wenn es aber doch dazu kommen sollte, stiegen die Energiepreise noch deutlicher als bisher und der konjunkturelle Dämpfer wäre größer.
Sie sehen also keinen Zielkonflikt der EZB zwischen den Notwendigkeiten zu einerseits großzügiger und andererseits zurückhaltender Geldpolitik?
Es ist nicht mehr notwendig, die europäische Wirtschaft unverändert stark anzuschieben. Die Preissteigerungen werden sich in den kommenden Monaten fortsetzen, und selbst in einem Jahr wird die Inflationsrate noch bei etwa zwei Prozent, also im
Zielkorridor der EZB, liegen. Hinzu kommt der Konjunkturschub durch die abflauende Omikron-Welle in den kommenden Monaten. Das ist der Moment, wo wir in jedem Fall den Fuß vom Gaspedal nehmen müssen. Die Geldpolitik sollte sich normalisieren. Auch die Märkte gehen von einem Politikwechsel aus. Die Zinsen für deutsche Staatsanleihen und Immobilienkredite steigen bereits wieder.
Gibt es Anzeichen, wie sich die Zentralbank verhalten will?
Die EZB versucht derzeit nicht, die Erwartungen des Ausstiegs aus der lockeren Geldpolitik zu dämpfen. Das ist ein Signal. Ich rechne demnächst mit der Ankündigung, die Anleihekäufe weiter zurückzufahren. Vielleicht gibt es sogar einen Termin für das Ende des Programms. Dann wird die Zentralbank zunächst abwarten, wie sich der Konflikt in der Ukraine auswirkt. Bleiben die Extremszenarien aus, könnte es in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu einer ersten Erhöhung des Leitzinses kommen.