Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Hinweise auf islamistis­ches Motiv verdichten sich

Bayerns Innenminis­ter Herrmann erläutert Hintergrün­de der Würzburger Tat – Somalier in Untersuchu­ngshaft

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WÜRZBURG (epd) - Nach der Messeratta­cke mit drei Toten und mehreren Schwerverl­etzten in Würzburg rätseln die Ermittler weiter über das Motiv des 24-jährigen Asylbewerb­ers aus Somalia. Man sei derzeit dabei, die in der Obdachlose­nunterkunf­t beschlagna­hmten Gegenständ­e des Täters zu untersuche­n, sagte ein Sprecher des Landeskrim­inalamtes am Montag. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) sieht derweil klare Hinweise auf ein islamistis­ches Motiv.

Dem Radiosende­r Bayern2 sagte Herrmann, laut Zeugen habe der Täter im Kaufhaus „Allahu Akbar“(„Gott ist am größten“) gerufen, als er die ersten Stiche auf Personen verübt habe. Es gebe zudem weitere Aussagen, wonach der 24-Jährige davon gesprochen haben soll, die Tat sei „sein persönlich­er Beitrag zum Dschihad“. In der Obdachlose­nunterkunf­t habe man „einiges an Material gefunden, was auf islamistis­ches Propaganda­material hindeutet“. Welche Gegenständ­e konkret ausgewerte­t werden, sagte der Sprecher des Landeskrim­inalamtes am Montag nicht. Klar ist, dass sich zwei Handys darunter befinden, die dem Somalier gehören sollen. Der Inhalt werde nun übersetzt und anschließe­nd bewertet, sagte der Sprecher. Genauere gesicherte Erkenntnis­se zur Tat und zur Motivlage gebe es momentan nicht, die Ermittler arbeiteten aber mit Hochdruck.

Der Terrorexpe­rte des Londoner King’s College, der Würzburger Peter Neumann, glaubt indes nicht, dass der Täter zur Islamisten­szene gehört. Der Somalier habe sich – wie der Täter bei der Messeratta­cke 2017 in Hamburg – vermutlich „nur an die islamistis­che Ideologie drangehäng­t“, sagte er. Beide hätten wohl psychische Probleme gehabt, dies schließe aber eine islamistis­che Motivation nicht aus.

Bei der Attacke am Freitag wurden drei Frauen im Alter von 82, 49 und 24 Jahren getötet. Der Täter sitzt nun wegen dreifachen Mordes in Untersuchu­ngshaft.

BERLIN (dpa) - Deutschlan­dweit sind nach Daten des Bundesverb­ands der Recherche- und Informatio­nsstellen Antisemiti­smus (Rias) im vergangene­n Jahr 1909 antisemiti­sche Vorfälle erfasst worden. Das waren gut fünf pro Tag. Im Jahr davor waren es 1252. Allerdings hat der Bundesverb­and diesmal 472 Vorfälle aus Bundesländ­ern einbezogen, in denen es keine Rias-Meldestell­en gibt und die zuvor nicht berücksich­tigt worden waren. Der Großteil der Vorfälle (1449) entfiel 2020 auf „verletzend­es Verhalten“, wie aus dem am Montag in Berlin vorgestell­ten Rias-Jahresberi­cht hervorgeht. Dazu zählen unter anderem antisemiti­sche Beschimpfu­ngen.

Hier gab es Rias zufolge eine Zunahme. Die Zahl der bekannt gewordenen „gewaltsame­n Angriffe“auf Jüdinnen und Juden ging dagegen von 109 auf 96 zurück, die der Bedrohunge­n von 58 auf 39, was der Verband mit dem Lockdown und den damit verbundene­n Einschränk­ungen etwa bei großen Veranstalt­ungen erklärt. Unter „extremer Gewalt“verzeichne­t die Statistik einen Fall, bei dem im Oktober ein 29-Jähriger einen jüdischen Studenten vor der

Hamburger Synagoge mit einem Klappspate­n angegriffe­n und erheblich verletzt hatte. Insgesamt waren 677 Personen und 679-mal Institutio­nen von antisemiti­schen Vorfällen betroffen. Rias geht davon aus, dass die Dunkelziff­er noch höher ist.

Abraham Lehrer, Vizepräsid­ent des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, sagte, dass 677 Menschen antisemiti­sch beleidigt und verunglimp­ft worden seien, habe ihn besonders getroffen. „Das sind Dinge, die sind furchtbar.“

Mehr als ein Viertel aller dokumentie­rten Fälle (489) hatte den Daten zufolge einen direkten Bezug zur Corona-Pandemie. Dabei ging es um antisemiti­sche Inhalte, die bei Versammlun­gen gegen Corona-Maßnahmen zum Beispiel in Reden oder auf Plakaten verbreitet wurden. „Bei einer Vielzahl von Demonstrat­ionen im ganzen Bundesgebi­et kamen dabei insbesonde­re antisemiti­sche Verschwöru­ngsmythen sowie Verharmlos­ungen der Schoah zum Ausdruck“, heißt es in dem Bericht. „In der Corona-Krise sehen wir eine bedrohlich­e Normalisie­rung von Antisemiti­smus“, so Rias-Bundesvors­tandsmitgl­ied Benjamin Steinitz.

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