Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Mehr als 90 Beamte bei Krawallen verletzt
Krise steht am 1. Mai im Mittelpunkt – Krawalle überschatten friedliche Kundgebungen
BERLIN (dpa) - Tausende linke Demonstranten haben den 1. Mai für ihre traditionellen Proteste genutzt, vor allem in Berlin, Hamburg und Frankfurt kam es dabei zu größeren Auseinandersetzungen mit der Polizei. In der Hauptstadt flogen am Samstagabend Steine und Flaschen gegen Einsatzkräfte. Randalierer zerrten Müllcontainer und Paletten auf die Straße und zündeten sie an. Mindestens 93 Einsatzkräfte wurden dabei laut Polizei verletzt. Auch in zahlreichen anderen Städten Deutschlands wurden Kundgebungen abgehalten, vor allem von Gewerkschaften, aber auch aus dem rechten Spektrum. Dabei kam es in der Regel zu keinen oder nur kleineren Zwischenfällen.
BERLIN/STUTTGART (dpa/lsw) Zum zweiten Tag der Arbeit in der Corona-Krise haben die Gewerkschaften vor Belastungen auf Kosten der Beschäftigten und einem Sparkurs bei staatlichen Investitionen gewarnt. „Wir lassen nicht zu, dass Arbeitgeber die Pandemie als Vorwand für Jobabbau, Betriebsverlagerungen und Lohn-Dumping missbrauchen“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Samstag anlässlich der zentralen Mai-Kundgebung in Hamburg. Corona dürfe auch keine Ausrede für fehlendes Geld beim Umbau zu einer digitalen und klimaneutralen Wirtschaft sein. Zukunftsgestaltung bedeute eben nicht eisern zu sparen, sondern zu investieren und nochmals zu investieren.
Vor allem in Berlin, Hamburg und Frankfurt kam es bei Veranstaltungen zu größeren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Rund 5600 Beamte aus mehreren Bundesländern waren am Samstag allein in Berlin im Einsatz. Sie nahmen 354 Männer und Frauen unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs und gefährlicher Körperverletzung fest, wie es von der Polizei hieß. 93 Einsatzkräfte wurden demnach verletzt, vier konnten ihren Dienst anschließend nicht fortsetzen.
An vielen anderen Orten blieb es jedoch ruhig. Wegen der bundesweiten Corona-Beschränkungen hatte der DGB unter dem Motto „Solidarität ist Zukunft“wie im Vorjahr meist zu kleineren Veranstaltungen aufgerufen. Im Internet gab es dazu ein Programm mit Reden, Diskussionen und Musik. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte den Einsatz vieler Beschäftigter unter Corona-Bedingungen. „Gerade Berufe, die sonst nicht solche Aufmerksamkeit bekommen, haben das Land am Laufen gehalten“, sagte sie in ihrer Videobotschaft. Dass viele seit Monaten im Homeoffice arbeiten, sei „eine riesige Hilfe“gegen das Virus.
DGB-Chef Hoffmann betonte, mit solidarischem Handeln sei es gelungen, das Schlimmste in der Corona-Krise zu verhindern. Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte hätten dafür gekämpft, dass soziale Härten abgefedert und viele Jobs gesichert worden seien. Verdi-Chef Frank Werneke sagte, viele im Gesundheitswesen
und sozialen Diensten seien enttäuscht über Tatenlosigkeit in der Bundesregierung. „Wir erwarten konkrete Verbesserungen – und zwar noch in dieser Legislaturperiode.“Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Risiken der Pandemie und der Transformation können nicht von den Beschäftigten allein geschultert werden.“
Zum Tag der Arbeit haben auch Gewerkschaften im Südwesten auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Pandemie aufmerksam gemacht. Bei überwiegend kleineren Kundgebungen haben sich Mitglieder des Südwestablegers des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am Samstag in rund 30 Städten im Land versammelt. Die größte Veranstaltung war in der Landeshauptstadt Stuttgart, wo mehrere Hundert Menschen mit Bannern und Plakaten durch die Stadt zogen. Viele der Teilnehmer beklagten dabei auch die derzeitigen Corona-Maßnahmen, die sie etwa als Symbolpolitik statt echte Pandemiebekämpfung bezeichneten.
Der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann teilte am Samstag mit, die Krise habe die Spaltung der Gesellschaft vertieft – materiell wie ideologisch. Das Thema Verteilungsgerechtigkeit müsse wieder oben auf die Agenda. „Wir sagen Ja zur Stützung der Wirtschaft. Aber wer insgesamt fast 100 Milliarden Euro an Hilfen bekommen hat, muss auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden“, so Kunzmann. Von der künftigen Landesregierung forderte der DGB-Landeschef, eine sozial gerechte Klimapolitik zu machen. „Ein Windrad im Staatswald sichert keine Arbeitsplätze. Wir brauchen auch grüne – und gute – Arbeitsplätze.“Verdi-Landeschef Martin Gross kritisierte eine „Sparpolitik“in den letzten Jahrzehnten. Diese habe Lücken in der Daseinsvorsorge, insbesondere im gesamten Gesundheitswesen, gerissen. „Eine Sparpolitik, die sich im vergangenen Jahr bitter gerächt hat.“Nun müsse man Geld in die Hand nehmen, um die Bildung und Ausbildung der Kinder zu retten, um den geschädigten Branchen auf die Beine zu helfen und um Beschäftigung zu sichern. Vor allem aber müsse man das Gemeinwesen krisenfest aufstellen, so Gross.
Einem möglichen Stellenabbau im öffentlichen Dienst aufgrund der schwierigen Finanzlage des Landeshaushalts erteilte Gross eine klare Absage. Weniger Staat und damit weniger Daseinsvorsorge könne und dürfe nicht die Antwort auf diese epochale Krise sein.