Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Fahrverbot statt Entzug des Führerscheins
31-Jähriger aus Bad Saulgau gefährdet Verkehrsteilnehmer und geht in Berufung
RAVENSBURG/BAD SAULGAU - Einen kleinen Lichtblick in einer schwierigen familiären und wirtschaftlichen Situation hat ein 31-jähriger Mann aus Bad Saulgau vor dem Landgericht in Ravensburg zu sehen bekommen. Verhandelt wurde ein Berufungsverfahren wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung. Das Amtsgericht Bad Saulgau hatte den Mann im Januar dieses Jahres zu einer Geldstrafe von 1250 Euro sowie zum Entzug der Fahrerlaubnis von sieben Monaten und einer siebenmonatigen Sperrfrist verurteilt. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten dagegen Berufung ein.
In der Urteilsbegründung des Amtsgerichts wurde der Fall wie folgt beschrieben: Im März 2020 soll der Mann mit seinem Auto aus Bad Saulgau Richtung Herbertingen gefahren sein. Am Ende einer zweispurigen Ausbaustrecke schloss er auf einen Audi A4 auf und überholte ihn noch auf der Sperrfläche. Als sich Gegenverkehr näherte, scherte er abrupt nach rechts ein. Der Audifahrer musste eine Vollbremsung einleiten, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Die Beifahrerin im Audi war zu diesem Zeitpunkt schwanger und erlitt durch den Sicherheitsgurt erhebliche Schmerzen. Das Amtsgericht sah eine erhebliche Gefährdung der Insassen und des Autos als gegeben an. Der Audifahrer reagierte nach seiner Vollbremsung mit Hupen und Lichthupe. Der Angeklagte soll ihm daraufhin den Mittelfinger gezeigt haben. Dem Mann wurde im Oktober 2020 der Führerschein entzogen.
Inzwischen ganz schwierig zeigte sich dem Landgericht die familiäre und wirtschaftliche Situation des Angeklagten. Seine im März dieses Jahres geborene Tochter kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Das Kind muss laufend in ärztliche Behandlung und zu Herzspezialisten nach Ulm und Ravensburg. Seine Frau hat keinen Führerschein. In dieser Situation auf Bahn, Bus oder Taxi angewiesen zu sein, ist zeitaufwändig und teuer. Gerade aber finanziell ist die Familie in eine ziemliche Schieflage geraten. Mit einem Kredit von 230 000 Euro wurde ein Haus gekauft und weitervermietet. Die Vermieter gerieten an Mietnomaden, die Miete wurde nur zweimal bezahlt und dann nicht mehr. Selbst wohnt die Familie auch zur Miete. Nun ist die Familienkasse leer, die Kosten im laufenden Mietrechtsstreit belaufen sich bis jetzt auf 7000 Euro. Als Maurer verdient der Angeklagte nicht üppig, zudem arbeitet er auf Baustellen und fährt bis zu 250 Kilometer täglich zur Arbeit und zurück. Da er ist er auf seinen Führerschein angewiesen oder wie seit sechs Monaten auf die Hilfe der Kollegen, die ihn mitnehmen.
Der Vorsitzende Richter des Landgerichts, Martin Hussels-Eichhorn, schlug vor diesem Hintergrund eine pragmatische Lösung vor. „Es geht hier um eine schnelle Lösung“, so Hussels-Eichhorn. Da der Angeklagte nicht vorbestraft und auch kein Alkohol im Spiel gewesen sei, könne man vielleicht das Verfahren abkürzen. Nach längerer Diskussion mit dem Staatsanwalt und dem Verteidiger sowie ausführlichen Beratungen mit den beiden Schöffen verkündete er die Entscheidung des Gerichts. Die Kammer des Landgerichts ändert das Urteil des Amtsgerichts wie folgt ab: Der Angeklagte erhält ein Fahrverbot von sechs Monaten und eine Geldstrafe von 1750 Euro. Es gibt zwei Formen, einem Verkehrsteilnehmer das Führen von Fahrzeugen zu untersagen: Zum einen kann ein Fahrverbot angeordnet werden oder die Fahrerlaubnis wird entzogen. Im Gegensatz zum Fahrverbot wird der Führerschein bei der Entziehung der Fahrerlaubnis ungültig und die Fahrerlaubnis muss nach Ablauf einer Sperrfrist neu beantragt werden, was einen ziemlichen bürokratischen Aufwand bedeuten kann. Mit der Änderung vom Entzug der Fahrerlaubnis zum Fahrverbot ist es für den Betroffenen einfacher, seinen Führerschein wieder zu erhalten. In diesem Fall erhielt der Angeklagte noch im Gerichtssaal seinen Führerschein zurück.