Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Mit dem Blick des Technikers
Bill Gates Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“bringt Überraschendes zutage
Bill Gates ist bislang eher als ITTüftler und für den Einsatz mit seiner Stiftung bekannt. Nun macht er auch als Bestsellerautor von sich reden,und zwar mit seinem neuen Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“– und erbost damit nicht nur die Fleischindustrie.
Denn Gates ruft dazu auf, weniger Fleisch zu essen und stattdessen Ersatzprodukte oder im Labor produziertes Fleisch zu kaufen. In einem offenen Brief protestierten deutsche Schlachtbetriebe und warfen Gates unlautere Motive vor. „Bei Ihrem Vorstoß dürfen Sie nicht verschweigen“, heißt es darin, „dass Sie Millionen von Dollar in die Gründung des Kunstfleischproduzenten Beyond Meat investiert haben. Das untergräbt Ihre Glaubwürdigkeit.“Hätten die Unterzeichner das Buch von Bill Gates gelesen, wüssten sie, dass er darin gar nichts verschweigt. Mehrmals sogar weist er auf seine Beteiligungen an diversen Start-ups hin, die an grünen Technologien forschen.
Bill Gates malt die drohende Katastrophe nicht nur an die Wand, sondern zeigt anschaulich und für jedermann nachvollziehbar interessante Lösungsansätze auf. Mit dem Blick des Technikers geht der Mann, der 1975 mit Paul Allen das Unternehmen Microsoft gründete und sich in seiner Gates Foundation mit Frau Linda für die globale Gesundheit einsetzt, das Problem an – und ist überzeugt, dass es nicht zu spät ist. Um die Emission von 51 Milliarden Tonnen Treibhausgasen heute bis ins Jahr 2050 auf null zu senken, bedürfe es aber neuer Strategien und Verfahren, von denen einige schon existierten, andere erst entwickelt werden müssten. Dafür solle die Politik die Voraussetzungen schaffen und mehr in Forschung investieren, beziehungsweise Anreize dafür schaffen. Eine Scharnierstellung komme dabei der Erzeugung von sauberem Strom durch Solarenergie und Windkraft zu. Lassen sich doch nur so die Emissionen bei der Produktion von Stahl, Beton und Plastik reduzieren, indem man sie nicht weiter mit fossilen Brennstoffen, sondern erneuerbaren Energien herstellt.
Dass es gelingt, die Emissionen ganz auf null herunterzuschrauben, glaubt er selbst nicht. Deswegen investiert er in Strategien, um den Rest des verbliebenen Kohlendioxids bei der Produktion bestimmter Güter herauszufiltern. Technische Möglichkeiten dafür gibt es bereits, allerdings sind die noch zu teuer. Durch weitere Entwicklungen aber, so ist Gates sicher, werden sie ebenso billiger werden wie das bei Computern oder anderen Technologien der Fall war. In alle Richtungen denkt er dabei. Ob es klimaresistentere Nutzpflanzen und Fleischersatzprodukte sind. Das Stoppen der Entwaldung und das Recyceln von Materialien. Das Herstellen von Batterien mit größerer Speicherkapazität. Die Entwicklung moderner Biokraftstoffe. E-Mobilität zu fördern und Geothermie zu nutzen.
Auch Geoengineering-Ansätze hält er für sinnvoll, um mithilfe von Gasen oder durch das Aufhellen von Wolken die Menge der Sonneneinstrahlung zu reduzieren. „Fortschritt ist eine gute Sache“, schreibt Bill Gates. Es gelte nur die richtigen Zukunfts-Technologien zu fördern. Dann seien Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze. Ökozuschläge müssten dafür gesenkt werden, Steuervorteile gewährt, Gesetze geändert, Kredite gegeben und der Markt neu geregelt. Und das alles global. Nicht jeder Vorschlag, den er macht, wird deutschen Klimaaktivisten gefallen. So plädiert Gates etwa dafür, in Zukunft wieder auf Kernkraft zu setzen.
„Obwohl in einem einzigen Jahr mehr Menschen wegen Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke sterben als bei allen Atomunfällen insgesamt ums Leben kamen“, schreibt er, wurden seit den Unfällen von Three Mile Island (1970) und Tschernobyl (1986) in den USA nur zwei neue Atomkraftwerke projektiert. Seiner Meinung nach ein Fehler, gelte es doch die Risiken abzuwägen. Er fordert wieder in die Entwicklung von sichereren Kernreaktoren zu investieren sowie in das Vorantreiben der Kernfusion. Auch für den Ausbau von Stromtrassen plädiert er, die den Strom von vor der Küste gelegenen Offshore-Windparks ins Landesinnere transportieren. Von der dezentralen Stromerzeugung mittels Solarpanelen, die sich jeder Häuslebauer aufs Dach setzen kann, ist dagegen wenig zu lesen.
Die Dekarbonisierung bis zum Jahr 2030 sei unrealistisch, schreibt er. Aber in den nächsten zehn Jahren gelte es die Weichen zu stellen. Möglichkeiten zeigt Bill Gates auf für Politik, Industrie und jeden Einzelnen. Sein Buch bietet einen exzellenten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung was Klimawandel und Zukunftstechnologien angeht. Die Lektüre lohnt sich. Kann doch nur der mitreden, der gut informiert ist.
Bill Gates: Wie wir die Klimakatastrophe verhindern. Piper, 316 Seiten, 22 Euro.