Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Neues Autismus-Kompetenz-Zentrum öffnet
Haus Nazareth schafft Anlaufstelle für betroffene Eltern und deren Kinder
SIGMARINGEN - In Sigmaringen gibt es ab sofort ein Autismus-Kompetenz-Zentrum, in dem betroffenen Kindern und deren Familien von der Diagnose und Therapie über stationäre und schulische Angebote bis hin zur Selbsthilfe geholfen wird. Bei der kürzlichen offiziellen Einweihung wurde das Zentrum im Haus Bethlehem, einer Untergruppe des Hauses Nazareth, vorgestellt. Dieses beinhaltet auch eine Koordinierungsstelle.
Sie erleben die Welt aus einem anderen Blickwinkel: Autistische Menschen haben häufig Probleme, sich im Alltag zurechtzufinden, sie verstehen häufig Sprichwörter und Ironie nicht, können die Gestik und Mimik ihrer Mitmenschen nur schwer deuten oder haben Schwierigkeiten, Nähe zuzulassen. Das sind nur einige der Punkte, die einen autistischen Menschen auszeichnen, erklärt Birke Opitz-Kittel, eine betroffene Mutter und selbst Autistin, den zur Einweihung geladenen Gästen. Darunter saßen auch Schirmherrin Gerlinde Kretschmann und Ursula Schuhmacher von den Radio-7-Drachenkindern. Letztere haben einen höheren sechsstelligen Betrag gespendet und so dazu beigetragen, dass das Konzept umgesetzt werden konnte.
„Die Idee für das Autismus-Kompetenz-Zentrum entstand vor vier Jahren“, sagt Daniel Hahn, stellvertretender Direktor des Hauses Nazareths. Stück für Stück habe sich dann das Konzept des Zentrums, dem insgesamt 95 Mitarbeiter angehören, entwickelt. Während es die schulischen und stationären Angebote schon zuvor gegeben habe, seien mit dem neuen Kompetenz-Zentrum noch eine Koordinierungsstelle sowie eine ambulante Diagnostik und Therapie hinzugekommen. Das sei möglich, weil das Haus Nazareth eine Kooperation mit dem Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg habe. Betroffene Kinder und Jugendliche könnten dort in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie untersucht werden. „Außerdem ist es uns wichtig, auch Aufklärung zu leisten und den Eltern Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten“, sagt Hahn. Dafür sollten in einem normalen Jahr auch Vorträge und Seminare für Eltern stattfinden. „Aufgrund von Corona können diese aber voraussichtlich erst im kommenden Jahr stattfinden“, sagt Hahn.
„Unser Ziel ist es, autistischen Kindern die Möglichkeit zu geben, wieder am Familienleben teilzunehmen und den betroffenen Eltern wieder Mut zu geben“, sagt Anika Rapp, Referatsleiterin des Autismus-Kompetenz-Zentrums. Sie werde auch in Zukunft Ansprechpartnerin für alle Eltern sein und sie in die entsprechenden Bereiche vermitteln. „Plötzlich ist es normal, sich nicht mehr gegenseitig die Hände zu geben“, sagt Rapp. „Diese Veränderungen müssen wir autistischen Menschen, die es sich jahrelang antrainiert haben, anderen Menschen die Hand zu geben, ganz genau erklären.“Mit dem neuen Zentrum sollen allerdings keine schalldichten Räume geschaffen werden, sondern das Erleben der Umwelt wieder möglich gemacht werden. „Es sind wunderbare Kinder, aber es sind auch gleichzeitig spezielle Kinder“, sagt Ursula Schuhmacher. Und dieses Spezielle erhalte im neuen Autismus-Kompetenz-Zentrum auch in Zukunft eine besondere Aufmerksamkeit.