Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Deutschlands erste Gleichstellungsstrategie
Regierung will mit Maßnahmenpaket unter anderem soziale Berufe stärken
BERLIN - Um den Wert der Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung zu illustrieren, greift Franziska Giffey (SPD) zu einer Anekdote. Vor drei Jahren war sie auf ihrer ersten Regierungsklausur in Schloss Meseberg. Auf der Tagesordnung standen Vollbeschäftigung, Nato und EU – was einen Journalisten dazu verleitete, die Frauenministerin zu fragen: „Wieder nix dabei?“Noch heute kann sich Giffey darüber aufregen. „Wer Vollbeschäftigung will, der muss dafür sorgen, dass Gleichstellungsthemen angegangen werden“, sagte sie. Das gelte auch für andere Bereiche: Gleichstellung sei mehr als nur ein Thema für die Frauenministerin.
Ihre Ministerkollegen hat Giffey davon jetzt überzeugt. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett in Berlin die erste deutsche Gleichstellungsstrategie
beschlossen. Neun Ziele mit 67 Maßnahmen sind darin formuliert. Zu den Zielen gehören Entgeltgleichheit, die Stärkung der sozialen Berufe sowie die Schaffung gleichstellungspolitischer Standards in der digitalen Lebensund Arbeitswelt. Zudem soll die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf gestärkt werden. Dafür sollen Erwerbsarbeit und unbezahlte Sorgearbeit gerechter verteilt werden.
Verbessert werden sollen die Karrierechancen von Frauen; sie sollen künftig auch stärker in den Parlamenten vertreten sein. Weitere Ziele sind die gleichberechtigte Präsenz in Kultur und Wissenschaft sowie mehr Frauen in Führungspositionen des Bundes. Zudem soll die Bundesregierung die tatsächliche Gleichstellung als Querschnittsaufgabe fördern.
Die Strategie soll ein roter Faden für alle Ministerien sein, das Wohl der Frauen stärker zu berücksichtigen.
Giffey sprach von einem „Meilenstein, der Maßstäbe auch für die weiteren Legislaturperioden legen wird“.
Denn klar ist, dass vor der Bundestagswahl 2021 nicht alle Ziele zu erreichen sind. Die Rentenlücke von mehr als 50 Prozent wird so schnell nicht zu schließen sein, und der Anteil der Bürgermeisterinnen wird auch nicht signifikant über die zehn Prozent anwachsen, bei denen er derzeit liegt.
Auch beim Ehegattensplitting geht es nicht voran. Giffey sprach sich zwar erneut für die Abschaffung aus. Sie sehe aber nicht, „dass wir eine geänderte Beschlusslage haben werden“. Die SPD kann sich aber gegen die Union nicht durchsetzen. FDP-Politikerin Katja Suding greift das Papier deshalb zu kurz. „Das ist noch keine Strategie. Die muss erst noch entwickelt werden“, sagte sie. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schlug ergänzend einen „Gleichstellungscheck“vor.