Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Gelebt, geliebt und geteilt
Wolfgang Seethaler versteht seinen Garten in Lindau als Kraftquelle, aus der auch Gäste schöpfen sollen
Als es nach 25 langen Jahren ohne eigenen Garten endlich so weit ist, lässt er einen Bagger kommen und nimmt selbst eine Schaufel in die Hand. Dann legt Wolfgang Seethaler los, beginnt, ein Paradies zu schaffen. Nicht nur für sich, sondern auch für Besucher. Er tut dabei das, was er von Berufs wegen nie tun würde: Ohne Plan, sondern nur mit einer Vision im Kopf, einen Garten anlegen. „Ich musste niemanden überzeugen – außer mich selbst“, sagt der Mann, der zum Broterwerb Garten gestaltet, schmunzelnd, während er zu seinem kleinen Schuppen geht, ein Gartenwerkzeug holt und damit Wildkräuter aus einem Beet ausgräbt.
„Haus zum Nussbaum“in Lindau am Bodensee – ein ganz besonderer Zauber geht von diesem Ensemble aus. 2004 stößt Seethaler nach langer Suche auf das 1895 erbaute Landhaus mit 2000 Quadratmetern Grund, an einem kleinen Bach gelegen. Mit dem Kauf erfüllt sich der gelernte Produktionsgärtner einen Traum, legt – wie kann es anders sein – zuerst den Garten an, „den es eigentlich gar nicht bräuchte, weil das Anwesen mit den umliegenden Wiesen und den darauf friedlich grasenden Rindern
so idyllisch liegt“, wie er sagt. Erst dann geht es etappenweise ans Haus, in dem der Gartenliebhaber mittlerweile zwei Ferienwohnungen eingerichtet hat und Gästen ermöglicht, auf Zeit in seinem Reich mitzuleben, seine Hingabe und Liebe dafür zu spüren: Am Balkon des Landhauses rankt die alte, leicht duftende Rosensorte „Climbing White Pet“empor, begeistert bald wieder mit ihren rosafarbenen Knospen, die sich zu weißen Blüten öffnen. Gärtnerische Skulpturen wie die „Dromedar-Hecke“mit „Raritätenkabinett“– am Eingang der Hecke stehen zwei Thuja-Pflanzen, die wie Giraffenhälse geformt wurden, im Innern gedeihen besondere Pfingstrosen – zeugen von der ausgefallenen und präzisen Handschrift des Gärtners.
Der Gartengestalter ist experimentierfreudig, lässt sich immer wieder auf Neues ein. „Bis nach der Rosenblüte ist es keine Kunst, einen blühenden Garten zu haben“, weiß er aus Erfahrung. „Die beginnt danach, wenn im Garten trotzdem noch Blühakzente gesetzt werden.“Stauden mit langer Blüte oder zwei Blütenphasen, wie Taglilien (Hemerocallis-Hybriden) oder Geißraute (Galega officinalis) und Sonnenbraut (Hellenium) zählen deshalb zu den Favoriten des Gartengestalters.
Sind es derzeit rund 40 verschiedene Narzissensorten und elfenbeinfarbene langlebige Darwin-HybridTulpen der Sorte „Ivory Floradale“, die in Seethalers Garten den Frühling feiern, werden bald Storchschnäbel, Glockenblumen und das genannte Sonnenkraut folgen. Im Herbst wird ein
Beet mit Astern in einen Farbrausch getaucht sein.
Auch im Winter geht der Blütenzauber nicht aus:
Dann zieht eine Zaubernuss ihre Blicke auf sich.
Für den mittlerweile 60Jährigen selbstverständlich: Er zieht sein Gemüse und auch seine Kräuter selbst. Zudem hält er Hühner, die bei Kindern immer wieder Freudenjuchzer hervorrufen.
Zupackend, bescheiden, zurückhaltend – der Wahl-Lindauer ist ein Mensch der leisen Töne, auf Austausch bedacht und nicht besserwisserisch. „Ich will niemandem vorschreiben, was er pflanzen, wie sein Garten aussehen soll. Jeder muss seinen Stil finden“, sagt er. Und betont dabei: „Es muss nicht teuer sein, einen schönen Garten zu schaffen.“
Die Begeisterung für Pflanzen und Gärten liegt in der Familie des gelernten Produktionsgärtners: Ahnherr Leonhard Seethaler (1766 – 1834) war ausgebildeter Hof-, Kunstund Lustgärtner, wuchs als Sohn des Schlossgärtners von Wellenburg auf, das bis heute im Besitz der Fugger von Augsburg ist.
In seinem Garten erlebt Seethaler „jeden Tag freudige Überraschungen“. 500 Quadratmeter groß sind die Beete, doch auch auf viel kleinerem Raum sei eine Pflanzenvielfalt möglich – ganz im Gegenteil zu den „Steinwüsten“in den Gärten, die er aus tiefstem Herzen ablehnt, weil dadurch „unglaublich viel ökologisch wertvolle Fläche verlorengeht“. Auch die Wegwerfmentalität manch „angeblicher Pflanzenliebhaber“ist dem Gärtner zuwider, der in einer Zeit aufgewachsen ist, in der man nicht einfach im nächsten Baumarkt Pflanzen kaufen konnte. Wer Pflanzen aussucht, dem rät er zu solchen, „die eines Gartens würdig und wert sind“. Denn: „Mit ihnen wächst die Freude.“
Die teilt er mit seinen Besuchern – egal, ob sie aus Altenheimen kommen, Mitglieder von Gartenbauvereinen sind oder zu den Minigärtnern gehören, einer Aktion der Insel Mainau, bei der Kinder Gärtnereien, Baumschulen oder eben Privatgärten erleben und für ein paar Stunden mithelfen und sich Tipps holen dürfen. „Manche Menschen brauchen so einen Ort. Meine Aufgabe ist es, ihn zu bewahren“, ist Seethaler überzeugt. Perfektionist ist er in seinem eigenen Garten nicht. „Diese Freiheit nehme ich mir“, sagt er und biegt ein Spalier aus zwei Birnbäumen zurecht, das rechts und links des Weges am Eingang eines großen Beets gepflanzt ist. Versamer, also „Wanderer durch den Garten“wie Mutterkraut, Islandmohn, Weißer und Gelber Lerchensporn oder die Schwarze Königskerze sind bei ihm willkommen.
Abends sitzt der Gartengestalter manchmal auf einer Bank vor seinem Holzvorrat, der gleichzeitig eine Laube ist, natürlich mit Blick auf seinen Garten. Der wird nie fertig sein. Soll er auch nicht. „Ihr Garten macht aber viel Arbeit“, rufen im bisweilen Spaziergänger zu, die beim Vorbeigehen Augenblicke im Garten erhaschen. Der leidenschaftliche Gärtner winkt dann freundlich ab. „Meine Tanten sind morgens um fünf Uhr aufgestanden, haben mit der Sense Gras gemäht, den ganzen Tag schwer gearbeitet. Noch mit über 90 Jahren haben sie in ihrem Garten gearbeitet. Gejammert haben sie nie – sie waren zufrieden. Was ist nur heute in den Köpfen passiert? Ist es der Konsum, der die Menschen auspowert?“
Nicht Wolfgang Seethaler. Sein Garten ist seine Kraftquelle. Der Ort, der keine Hektik kennt. In dem er seinen Traum leben und mit anderen teilen kann.