Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Behindertes Leben muss geschützt werden“
Die Tübinger Theologin Elisabeth Gräb-Schmidt sitzt seit Anfang Dezember im Deutschen Ethikrat
TÜBINGEN (epd) - Bei Fragen um Werbeverbote für Abtreibungen und Bluttests auf Down-Syndrom spricht sich Elisabeth Gräb-Schmidt, Direktorin des Instituts für Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, für Beratungsgespräche für schwangere Frauen aus. So könne werdendes Leben geschützt werden, betont die Professorin für Systematische Theologie im Gespräch. Die 62-Jährige wurde auf Vorschlag der Bundesregierung in den Deutschen Ethikrat berufen und nahm dort im Dezember 2018 zum ersten Mal an einer Sitzung teil. Sie forscht unter anderem zu Fragen der Technik und Bioethik.
Im Ethikrat beschäftigen Sie sich in einer Untergruppe mit den neuen Entwicklungen der Genforschung. Vor kurzem ging die Nachricht durch die Medien, dass in China einem Wissenschaftler zufolge erstmals genmanipulierte Babys auf die Welt gekommen sind – was sagen Sie dazu?
Das ist ein skandalöses Vorgehen und nicht hinnehmbar, weil hier ein Forscher ohne Absprache mit anderen Wissenschaftlern vorgeprescht ist und auch keine Transparenz walten ließ darüber, was er tatsächlich getan hat. Der Fall zeigt, dass in diesem Bereich höhere Standards gesetzt werden müssen. Man bedarf hier allgemeiner Leitlinien, die für alle Wissenschaftler verbindlich sind.
Sind Sie generell gegen Genveränderungen am Menschen?
Die Gentechnologie birgt enorme Potenziale, und die Wissenschaft erhofft sich dadurch Heilungschancen, beispielsweise bei Krankheiten wie Parkinson und Mukoviszidose. Doch man muss zwischen einer somatischen Gentherapie unterscheiden, bei der Veränderungen in der DNA nur einen Menschen betreffen, und einem Eingriff in die Keimbahn, der dann auch Folgen für weitere Generationen haben kann. Bei einer Keimbahntherapie stellen sich verschärft ethische Fragen nach den Grenzen der technischen Machbarkeit.
Was halten Sie von Bluttests auf das Down-Syndrom? Sorgt dieser Test dafür, dass mehr Babys mit Behinderung abgetrieben werden?
Grundsätzlich müssen wir dafür sorgen, dass auch behindertes Leben geschützt und in keiner Weise diskriminiert wird. Allerdings muss man bei den neuen Möglichkeiten der Diagnose und den gesetzlichen Regelungen immer auch den Status quo der gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigen. Ethik agiert nicht im luftleeren Raum reiner Prinzipien, sondern sie ist auch verantwortlich für ihre Wirksamkeit. Im Klartext bedeutet das wahrzunehmen, dass solche nichtinvasiven Bluttests bereits im Internet angeboten werden. Wichtig ist es daher, dass Betroffene beraten werden und man dadurch das Problembewusstsein schärft. Damit schützt man werdendes Leben mehr, als wenn man einfach nur gegen einen solchen Test ist. Durch die Beratung sollte jedenfalls ausgeschlossen werden, dass es zur Regel wird, behinderte Kinder abzutreiben. Was für ein Reichtum an Vielfalt des Menschseins würde verloren gehen, wenn sich keine Eltern mehr trauen würden, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen.
Um bei diesem Thema zu bleiben: Die Koalition will am Werbeverbot für Abtreibungen festhalten, den Paragrafen 219a aber so ergänzen, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Ärztekammern neutral über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Ein guter Kompromiss?
Diese Lösung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei ist Konsens, dass es Werbung nicht geben sollte, aber Information für die betroffenen Frauen und Paare wichtig ist. Sie muss an zentralen Stellen angeboten werden und verlässlich sein. Die Beratung wird daher ins Zentrum der Fragen um einen möglichen Schwangerschaftsabbruch gestellt. Schwangere bekommen so Hilfe und Ärzte mehr Rechtssicherheit. Auch hier muss klar sein, es geht um den Schutz werdenden Lebens. Bei einem Schwangerschaftsabbruch handelt es sich nicht nur um die „Entfernung von embryonalem Gewebe“. Dahinter verbirgt sich bereits ein Mensch. Jeder Abbruch kann daher nur als Entscheidung einer schwerwiegenden Konfliktsituation angesehen werden, die von keiner Frau leichtfertig getroffen wird.
Sie beschäftigen sich auch mit Fragen der künstlichen Intelligenz und Robotik: Was halten Sie von Pflegerobotern?
In der Pflegerobotik sehe ich große Chancen. Ein Roboter kann schwere Arbeit abnehmen. Aber er kann auch wichtige Hilfestellung leisten, wenn es darum geht, den Bedürfnissen etwa dementer Menschen besser Rechnung zu tragen. So kann er besser als ein Mensch diagnostizieren, worauf diese ansprechen. Ein Pflegeroboter sollte aber nie eine Alternative, sondern nur eine Unterstützung bei der menschlichen Pflege sein. Menschliche Pflege kann durch Unterstützung eines Roboters gezielter und hilfreicher angewendet werden.
Sollte es in Zukunft autonom fahrende Autos geben?
Das ist eine schwierige Debatte. Sicher werden in Zukunft diesbezüglich noch große Fortschritte zu erwarten sein. Aber letztlich stellt sich die Frage, ob es beim sogenannten „autonomen Fahren“nicht immer nur ein teilautonomes Fahren bleiben wird und soll. Denn Entscheidungen über Leben und Tod im Falle eines Unfalls, die dann getroffen werden müssten, sind wohl nicht zu delegieren. Sie voraus programmieren zu wollen wäre zynisch. Das Verrechnen menschlichen Lebens ist abzulehnen. In jeder verantwortlichen Entscheidung gibt es einen Moment, der einer Intuition folgt und unberechenbar ist. Dieser Moment der Unberechenbarkeit steht jedoch nicht für Irrationalität, sondern für die Freiheit, die zur Verantwortung gehört. Und der man sich als Mensch nicht entledigen kann.