Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Moderne Hilfstechnik für Altenpflege
Wachsender Arbeitsdruck erfordert immer mehr Entlastung der Pflegekräfte
HANNOVER - 8000 neue Pflegekräfte sollen nach dem Willen der neuen Bundesregierung künftig für bessere Arbeitsbedingungen und eine intensivere Betreuung in den rund 26 000 Einrichtungen und Diensten der Altenpflege sorgen. Auf der Fachmesse Altenpflege 2018, die bis heute in Hannover läuft, blicken die 550 Aussteller optimistisch in die Zukunft.
Ein mobiles Tischbeet in Hüfthöhe, das je nach Wetterlage drinnen oder draußen aufgestellt werden kann und an dem man Salbei, Schnittlauch, Petersilie und andere Kräuter riechen, fühlen und schmecken kann – das ist ein Hingucker am Messestand der Erlau AG aus Aalen. „Es geht darum, dass sich die Bewohner wohlfühlen. Derzeit gibt es viele Neubauprojekte, dafür sind Neuerungen bei den Betreibern gefragt, wenn sie zum Wohlbefinden beitragen“, sagt Markus Grubauer, für das Großkundengeschäft zuständig.
Digitale Assistenzsysteme
Angesichts des wachsenden Arbeitsdrucks geht es immer häufiger um die Entlastung der Pflegekräfte. Stiegelmeyer aus Herford stellt Pflegebetten mit digitalen Assistenzsystemen her, die erkennen, wenn ein Bewohner nach dem Aufstehen nicht zurückkehrt. Dies wird den Pflegerinnen gemeldet.
Es gibt genügend Technik, die Pflegekräfte entlasten kann – sie wird aber häufig aus Kostengründen nicht angeschafft. „Viele deutsche Heime sind im Vergleich mit skandinavischen Häusern schlecht ausgestattet. Hohe Anschaffungspreise schrecken häufig ab, obwohl zum Beispiel bei einem Treppendeckenlift die zusätzlichen Kosten durch die Arbeitsersparnis schnell wieder reingeholt werden“, meint Nils Herrmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Großhändlers aus Ostwestfalen, der Liftsysteme, Aufstehhilfen und Pflegebadewannen verkauft.
Nicht das Geld sei häufig entscheidend, sondern das Problembewusstsein – davon ist Marcus Bernstein überzeugt. In Deutschland werden Heimbewohner fixiert, wenn beispielsweise Stürze drohen. In den Niederlanden ist die Fixierung von Heimbewohnern verboten. Als Alternative wurde beim westlichen Nachbarn ein Gerät mit Sensor namens Optiscan entwickelt, das so eingestellt werden kann, dass Pflegekräfte automatisch über auffällige Bewegungen der Bewohner informiert werden. In Osnabrück sind fünf Mitarbeiter der Daza Opticare GmbH für den Vertrieb des 600 Euro teuren Geräts in Deutschland zuständig. „Wir haben bislang 2000 Heime als Kunden, das ist nicht viel“, sagt Vertriebsleiter Bernstein.
Verdi-Gewerkschaftssekretär Michael Musall wirbt auf der Messe um neue Mitglieder. „Nur 20 Prozent der Heime haben einen Betriebsrat. Angesichts des zunehmenden Arbeitsdrucks wird es schwieriger, überhaupt Kandidaten zu finden“, sagt Musall. Nach seinen Angaben verdient man im ersten Berufsjahr laut Tarif 2300 Euro brutto – doch nur jeder vierte Beschäftigte wird überhaupt nach Tarif bezahlt. Nach Plänen der Großen Koalition sollen Tarifverträge künftig flächendeckend zur Anwendung kommen, was der Verband der privaten Pflegeeinrichtungen (bpa) ablehnt.
Große regionale Unterschiede
Verdi und bpa begrüßen, dass die 8000 neuen Stellen in der Pflege erstmals aus Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden und die Heimkosten hierdurch nicht steigen dürften. Allerdings halten sie die Zahl von 8000 für zu niedrig – Ende des vergangenen Jahres waren bei der Bundesagentur für Arbeit 24 000 freie Arbeitsstellen in der Altenpflege gemeldet. 2016 wurden fast zehn Millionen Überstunden in der Pflege geleistet, davon ein Drittel unbezahlt. Angesichts einer steigenden Zahl von Rentnern mit wenig Geld fordert Musall eine Pflege-Vollversicherung – die würde nach einer Studie der Uni Osnabrück für Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Monat jeweils maximal 15 Euro kosten.
Große regionale Unterschiede gibt es nach einer gerade veröffentlichten Umfrage der Fachzeitschrift „Care konkret“in der Pflege. Danach kommt in Baden-Württemberg beim Pflegegrad 1 eine Fachkraft auf 4,47 bis 6,11 Heimbewohner, beim Pflegegrad 5 ist das Verhältnis 1:1,72 bis 2,32. Bei der Pflegestufe 1 steht in den meisten anderen Bundesländern weniger Personal für die Bewohner bereit, bei der Pflegestufe 5 liegt BadenWürttemberg im Durchschnitt.