Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Land unter
Bauer wird wegen schlechter Tierhaltung verurteilt – und erhält dennoch das Bioland-Zertifikat – Anzeige wegen Verbrauchertäuschung
WEINGARTEN - Die Schilderungen hörten sich dramatisch an: Die Misthaufen türmten sich fast einen Meter hoch. Das Stroh sei durchnässt, die Tiere verwahrlost und unterkühlt. Ein Kalb habe heftige Hustenanfälle. Bei einem anderen Rind sei gar der Strick in den Kopf eingewachsen. So zumindest hat Richter Harald Gürtler vom Amtsgericht Überlingen in seiner Sitzung am 17. Juni 2014 die Zustände im Stall eines Markdorfer Landwirtes beschrieben. Wenig später wurde der angeklagte Bauer wegen Verstößen gegen das Tierhaltegesetz zu fünf Monaten Haft auf Bewährung und einem Tierhalteverbot von fünf Jahren verurteilt. Doch das hinderte den nach eigenen Aussagen „bedeutendsten Verband für ökologischen Landbau in Deutschland, Bioland“nicht daran, dem Markdorfer Landwirt zweieinhalb Monate nach dem Urteil ihr Bioland-Zertifikat zu verleihen. Nun haben, über zwei Jahre nach dem Urteil, die Bürger für artgerechte Nutztierhaltung Oberschwaben (Bfano) mit Sitz in Weingarten Bioland wegen „arglistiger Täuschung des Verbrauchers“angezeigt.
Fragen bleiben unbeantwortet
Offiziell will sich Bioland BadenWürttemberg dazu trotz mehrfacher telefonischer und schriftlicher Anfragen nicht äußern. Wochenlang wurden Gesprächstermine und Antworten rund um Kontrollen und die Zertifikatsvergabe in Aussicht gestellt, um dann telefonisch mitzuteilen: „Es tut uns sehr leid. Aufgrund unserer Kapazitäten können wir Ihre Presseanfrage nicht beantworten.“Monate später und unter Einschaltung des Bioland-Bundesverbandes meldete sich Christian Eichert, Bioland-Geschäftsführer für BadenWürttemberg, dann doch. Allerdings war er nicht bereit, die entscheidenden Fragen, seit wann man von den Missständen wusste, wann die Kontrollen stattgefunden hatten und ob die jahrelange Vorgeschichte bekannt war, zu beantworten. Immerhin: „Dass es in der Vergangenheit Probleme auf dem Hof gab, ist unbestritten“, sagte Eichert und sprach von „Zuständen, die wir so nicht hinnehmen konnten.“
Daher habe es erhöhte Kontrollen und eine enge Erzeugerberatung gegeben. Auch eine Aberkennung des Biosiegels wäre möglich gewesen. „Wir hätten ihn natürlich kündigen können“, sagte Eichert. Man habe sich dann für einen anderen Weg entschieden. Es sei laut Eichert die richtige Entscheidung gewesen, denn „gemeinsam haben wir den Weg aus dem Dilemma geschafft“.
Grundlage dieses Dilemmas ist ein Bioland-Zertifikat für den Markdorfer Landwirt aus dem Jahr 2014. Der „Schwäbischen Zeitung“liegt eine Kopie des Zertifikats vor, unterschrieben vom damaligen BiolandPräsidenten Jan Plagge und Walter Heinzmann aus der Qualitätssicherung, gültig bis zum 31. Dezember 2015.
Doch wer oder was ist eigentlich Bioland? Der Verband für ökologischen Landbau ist in jedem deutschen Bundesland und in Südtirol vertreten. Unterteilt in neun Landesverbände wirtschaften 6861 Landwirte und 1071 Hersteller (Metzger, Bäcker, Molkereien) nach den Bioland-Richtlinien. Gerade hat der Verband Rekordzahlen bei den Mitgliedern veröffentlicht. Im Jahr 2016 entschieden sich 626 Betriebe, Bioland beizutreten – das größte Wachstum seit 15 Jahren.
Eine dauerhafte Kontrolle der Landwirte ist kaum möglich. Stichproben müssen ausreichen. So auch im Fall des Markdorfer Landwirtes. Als Grundlage für sein Zertifikat soll es zwei Kontrollen im Jahr 2014, am 12. März und 7. Juli, gegeben haben: mit Erfolg. „Die Kontrolle umfasst die Zertifizierungsbereiche: Futterbau, Getreide, Grünland, Streuobst, Milch, Rinder“, heißt es im Zertifikat. Demnach wurde knapp drei Wochen nach dem Urteil des Amtsgerichtes Überlingen kontrolliert.
Keine Missstände festgestellt
Offiziell wurden damals keine Missstände festgestellt. Ob Bioland schon damals vom Urteil wusste, wollte Eichert nicht beantworten. Allerdings hatte besagter Bauer seinerzeit nach dem Urteil die Öffentlichkeit gesucht und sich an die Presse gewandt. Zuletzt war er aber für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Wie es trotzdem zu einer Zertifizierung kam, kann Andreas Löber von der von Bioland beauftragten Kontrollfirma Kontrollverein Ökologischer Landbau nicht sagen. „Ich darf dazu nichts sagen“, beruft er sich auf den Datenschutz. Allerdings achte man darauf, dass in schwierigen Fällen erfahrene Prüfer den Hof kontrollieren. Schließlich gehe es neben dem Tierschutz auch um die Lebensgrundlage der Landwirte. Daher würde er sich mehr Spielraum vom Gesetzgeber wünschen, sodass die zuständigen Veterinäre und Gerichte solche Vorfälle melden dürfen: „Wenn die Behörden die Kontrollstellen nicht informieren, können wir nur mit den Achseln zucken.“Das sehen auch einige Behörden, wie das zuständige Veterinäramt Bodenseekreis, ähnlich – gerade bei Fällen, wie dem Markdorfer Landwirt: „Ich hätte es aber nicht für möglich gehalten, dass der Betrieb eine Biozertifizierung erhält“, sagt Günter Herrmann, Leiter des Veterinäramtes.
Das alles ist für Edeltraud Fürst, Erste Vorsitzende der Bürger für artgerechte Nutztierhaltung Oberschwaben (Bfano), aus Weingarten völlig unbegreifbar. Ursprünglich vom Markdorfer Landwirt mit Vollmacht beauftragt, um ihm zu helfen, wendete sich das Blatt recht schnell. Nachdem sie sich in die umfassenden Unterlagen eingearbeitet hatte, stieß sie auf die Ungereimtheiten der Bioland-Zertifizierung. Seit Januar 2016 versuchte sie, Auskunft von Bioland zu bekommen. Am 29. Januar bat der baden-württembergische Bioland-Geschäftsführer Christian Eichert per E-Mail um Geduld bei der Beantwortung der Fragen. Und diese sollte Fürst auch brauchen. Denn Bioland stellte die Kommunikation einfach ein.
Von Verwahrlosung keine Rede
Ein knappes Dreivierteljahr später, am 9. Oktober 2016, schrieb Fürst Bioland erneut an und bat um Aufklärung. Am 26. Oktober 2016 reagierte Geschäftsführer Eichert dann mit einem Brief. Er sei davon ausgegangen, dass der zuständige Kollege den Sachverhalt längst aufgeklärt habe. Nun wolle er das aber nachholen. Das Zertifikat bedeute, dass bei den Kontrollen alles in Ordnung gewesen sei. Es habe nichts zu beanstanden gegeben. „Im Gegenteil, der Betrieb setzte im Sinne der Artgerechtheit sogar weitergehende Ansprüche um“, heißt es in dem Schreiben.
Von Verwahrlosung, Krankheit und Leid also keine Rede – fast nicht.
Wie ernst es Bioland mit ihrer Maxime ist, wurde auch in der Folge mehr als deutlich. Allerdings müsste diese wohl eher heißen: keine öffentliche Debatte. Denn Eichert stellte Fürst zwar ein zeitnahes Gespräch in Aussicht – allerdings nur nach seinen Bedingungen: keine Presse, ohne einen unabhängigen Veterinär und kein Protokoll: „Für das Ihrerseits nun vorgeschlagene ,Tribunal’ mit externen Personen steht Herr Dr. Eichert – wie bereits mitgeteilt – nicht zur Verfügung“, heißt es in einem Schreiben an Fürst. Sie hat den Gesprächstermin unter diesen Bedingungen abgesagt. Stattdessen hat sie Anzeige gegen Bioland erstattet.