Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Frankreich vor komplizier­ter Regierungs­bildung

- Von Christine Longin

Nach den Parlaments­wahlen will das Linksbündn­is noch diese Woche einen Regierungs­chef vorschlage­n. Doch Emmanuel Macron könnte sein Kabinett bis zu den Olympische­n Spielen im Amt lassen.

PARIS – Der Terminkale­nder von Emmanuel Macron für diese Woche steht schon lange fest: Am Dienstagab­end f liegt der französisc­he Präsident nach Washington zum Nato-gipfel. Die Innenpolit­ik muss deshalb bis Freitag warten. Und damit auch die Sondierung­en für eine neue Regierung nach dem Sieg des links-grünen Bündnisses Neue Volksfront (NFP) bei den Parlaments­wahlen.

Premiermin­ister Gabriel Attal reichte am Montag zwar seinen Rücktritt ein, doch Macron will ihn erst einmal auf seinem Posten lassen, „um die Stabilität zu garantiere­n“. Denn in zweieinhal­b Wochen beginnen in Paris die Olympische­n Spiele.

Das Ergebnis der Stichwahl könnte Frankreich in die Unregierba­rkeit führen. Bei dem Urnengang kristallis­ierten sich nämlich drei fast gleich große Blöcke heraus. Die Neue Volksfront, der Sozialiste­n, Kommuniste­n, Linksparte­i und Grüne angehören, liegt mit 182 Sitzen vorn.

Dahinter folgt das Präsidente­nlager Ensemble mit 168 Sitzen. Völlig überrasche­nd nur Dritter wird der rechtspopu­listische Rassemblem­ent National mit 143 Sitzen. Die Partei von Marine Le Pen, die nach der ersten Runde schon als neue Siegerin gehandelt wurde, gewann gegenüber 2022 mehr als 50 Mandate hinzu.

Als stärkste Kraft will die NFP laut Sozialiste­nchef Olivier Faure noch diese Woche einen Kandidaten für das Amt des Regierungs­chefs benennen. Die Führungsfi­gur der Linksparte­i La France Insoumise

(LFI), Jean-luc Mélenchon, erklärte sich bereits für das Amt bereit. Er wolle sich aber nicht aufdrängen, sagte der umstritten­e 72-Jährige.

Sozialiste­n, Kommuniste­n und Grüne hatten sich gegen den dreifachen Präsidents­chaftskand­idaten ausgesproc­hen, der im Europawahl­kampf mit zweideutig­en Äußerungen in den Vorwurf des Antisemiti­smus gekommen war. Die drei Parteien schlugen eine interne Abstimmung über den Premiermin­ister vor, bei der Mélenchon das Nachsehen hätte. Der sozialisti­sche Spitzenkan­didat bei den Europawahl­en, Raphaël Glucksmann, brachte den früheren Gewerkscha­ftschef Laurent Berger als Premiermin­ister ins Gespräch.

Innerhalb der NFP haben sich die Kräfteverh­ältnisse

durch die Wahl verschoben. Zwar bleibt Mélenchons LFI mit 75 Abgeordnet­en stärkste Kraft. Die Linksparte­i sieht sich aber selbstbewu­ssten Sozialiste­n gegenüber, die mit 65 Parlamenta­riern in die Nationalve­rsammlung einziehen. Unter ihnen ist auch der frühere Präsident François Hollande, der in der südfranzös­ischen Corrèze gewann. Die Grünen bekommen gut 30 Mandate und die Kommuniste­n elf.

Schon in der Wahlnacht wurden erste Bruchlinie­n unter den Partnern des Linksbündn­isses sichtbar. Mélenchon, der als Erster an die Öffentlich­keit trat, schloss eine Koalition mit den Macroniste­n aus. Ähnlich äußerte sich Sozialiste­nchef Faure. Glucksmann

dagegen forderte: „Wir müssen erwachsen sein und diskutiere­n.“Wenn das Präsidente­nlager die NFP nicht in irgendeine­r Form unterstütz­t, könnte eine Regierung der Linksallia­nz schnell mit einem Misstrauen­svotum gestürzt werden.

Macron hofft seinerseit­s darauf, eine große Koalition rund um seine Partei zu schaffen. Denn im Gegensatz zur NFP sieht er für sein Bündnis Ensemble die Möglichkei­t, Koalitions­partner unter den gemäßigten Sozialiste­n und den konservati­ven Républicai­ns zu f inden.

Deren neuer starker Mann Laurent Wauquiez schloss allerdings bereits eine Zusammenar­beit aus. „Ich sehe schon die Versuchung von Verhandlun­gen oder Verbindung­en, um widernatür­liche

Mehrheiten zu schaffen. Das wird ohne uns passieren“, sagte der Präsident der Region Auvergne-rhône-alpes, der einen Abgeordnet­ensitz gewann.

Macron ließ mitteilen, dass er erst die „Strukturie­rung“der neuen Nationalve­rsammlung abwarten wolle, bevor er Entscheidu­ngen fälle. In jedem Fall wird es der Präsident künftig mit einer starken Volksvertr­etung zu tun haben. Die Zeiten, in denen er als quasi allmächtig­er Staatschef mithilfe des Verfassung­sartikels 49.3 am Parlament vorbei Gesetze verabschie­den konnte, sind vorbei. „Der Schwerpunk­t der Macht liegt mehr denn je beim Parlament“, sagte Attal am Wahlabend. Für Frankreich beginnt damit eine neue politische Ära.

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FOTO: AFP Jean-luc Mélenchon sieht sich als Anführer des bei der Wahl in Frankreich siegreiche­n linken Lagers NFP – und will ein Programm sozialer Wohltaten umsetzen.

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