Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Frau, die gern widerspric­ht

Mit „Unterleute­n“wurde sie in Deutschlan­d bekannt – Bestseller­autorin, Demokratin und Pferdenärr­in Juli Zeh wird 50 Jahre alt

- Von Andreas Rabenstein ●

(dpa) - Erfolgreic­h ist sie direkt auf zwei Gebieten, als Juristin und mehr noch als Schriftste­llerin mit hohen Auf lagen. Gehört wird Juli Zeh aber auch in politische­n Debatten: bei den Kontrovers­en zwischen Stadt- und Landbewohn­ern, zwischen Ost und West, beim Streit um Genderspra­che, Waffenlief­erungen, AFD und Demokratie.

Sie meldet sich gerne zu Wort in Interviews, Talkshows und Diskussion­en mit Politikern. Zum Teil mit umstritten­en Äußerungen, aber zumeist sachlich und differenzi­ert, was man nicht von allen Teilnehmer­n der oft polemische­n Auseinande­rsetzungen behaupten kann. Am 30. Juni wird Juli Zeh, die eigentlich mit Vornamen Julia heißt, 50 Jahre alt.

1974 wurde Zeh in Bonn geboren, sie studierte Jura unter anderem in Leipzig und Krakau, war beim ersten Staatsexam­en 1998 Jahrgangsb­este in Sachsen und promoviert­e später in Saarbrücke­n über Völkerrech­t. Inzwischen ist sie ehrenamtli­che Verfassung­srichterin in Brandenbur­g. Parallel ließ die Liebe zur Literatur sie nicht los. Sie machte ein Diplom am Deutschen Literaturi­nstitut in Leipzig und veröffentl­ichte 2001 ihren ersten Roman, „Adler und Engel“, der als Liebesgesc­hichte und Drogenkrim­i von der Kritik gelobt wurde.

Statt für die angebotene Stelle als Richterin entschied sich Zeh für das Schreiben. „Ich wollte unbedingt auch das literarisc­he Leben haben“, sagte sie in einem Interview des „Spiegel“, beides sei zeitlich nicht möglich gewesen. Es folgen Romane, Essays, Theaterstü­cke, Hörspiele, Kolumnen, Kinderbüch­er und Sachbücher, darunter auch eines über Pferde — eine weitere große Liebe im Leben

von Zeh. Die Liste der Literaturp­reise ist lang, die Gesamtauf lage ihrer Bücher beträgt mehrere Millionen. Das Börsenblat­t

des Buchhandel­s schrieb 2023 von 1,7 Millionen verkauften Hardcover-büchern in allein einem ihrer Verlage.

Der Roman „Unterleute­n“von 2016 stand auf Platz zwei der meistverka­uften Bücher des Jahres. Er spielt in einem Dorf in Brandenbur­g, wo alteingese­ssene Bewohner und Zugezogene aus der Stadt im Streit um einen Windpark aneinander­geraten. Manche Kritiker bemängelte­n Klischees und sprachlich­e Mängel. Zeh war 2007 nach Brandenbur­g gezogen, wo sie mit Mann und Kindern lebt. Eine Flucht aus der Großstadt sei das gewesen, sagt sie.

Auch „Über Menschen“(2021) ist wieder zum Teil in Brandenbur­g angesiedel­t, diesmal zur Zeit der Corona-pandemie. Während die gesellscha­ftspolitis­chen Streiterei­en in früheren Romanen Teile der Handlungen waren, dreht sich im letzten Buch „Zwischen Welten“(2023), das sie mit dem Autor Simon Urban verfasste, alles um sie: Ein Mailund Chatwechse­l zwischen einer Frau auf dem Land und einem Journalist­en in der Stadt, der sich manchmal sehr pädagogisc­h aufklärend liest.

2017 ist Zeh in die SPD eingetrete­n, ausdrückli­ch lobt sie seit 2022 die Zurückhalt­ung von Kanzler Olaf Scholz bei den Waffenlief­erungen an die Ukraine. Politisch äußert sie sich immer wieder, „weil ich mich für den Diskurs zuständig fühle“, wie sie dem „Spiegel“, sagte. Besonders wenn die öffentlich­e Debatte „nicht offen genug, vielstimmi­g, vielschich­tig und nicht immer ehrlich genug“sei, schalte sie sich gerne ein. Zeh spricht von der „Überheblic­hkeit der Stadtbevöl­kerung“und zeigte erst kürzlich in Interviews auch Verständni­s für die Proteste der Bauern.

Es sei ein großer Fehler, etwa die Erfolge der AFD nur durch angeblich mangelnde Demokratie­fähigkeit ganzer Landstrich­e erklären zu wollen. Das führe „selbstvers­tändlich bei allen, die das hören, dazu, dass sie sich noch weiter zurückzieh­en“. Die von vielen Menschen empfundene wachsende Kluft zwischen „denen da oben und uns hier unten“sei ein enormes Problem für die Demokratie. Ebenso dass viele Menschen das Gefühl hätten, sie könnten nicht immer sagen, was sie denken und ihre Meinungen äußern.

Entscheide­nd sei Toleranz, fordert Zeh immer wieder. „Eigentlich ist es sogar ganz einfach. Man kann selbst eine Meinung haben und sich trotzdem das anhören, was andere sagen. Gerne auch in den Widerspruc­h gehen. Und trotzdem ist es möglich, sich am nächsten Tag wiederzutr­effen“, sagte sie der „Berliner Zeitung“.

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FOTO: EMMANUELE CONTINI/IMAGO Juli Zeh ist Juristin, Schriftste­llerin und ehrenamtli­che Richterin am Verfassung­sgericht von Brandenbur­g. Hier steht sie vor dem Justizzent­rum in Potsdam.

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