Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Bagnino verzweifel­t gesucht

An Italiens Stränden fehlen die Bademeiste­r – Rund 4000 offene Stellen vor Saisonstar­t

- Von Christoph Sator

(dpa) - Als Bademeiste­r hat Francesco Mastromaur­o so gut wie alles erlebt, was es an Italiens Stränden zu erleben gibt: die eine oder andere Liebschaft mit einer Urlauberin, den ewigen Streit um die Sandburgen und auch die Tragödien, wenn jemand nur noch tot aus dem Meer gezogen werden konnte. „Für mich ist das ein Traumberuf “, sagt der kleine Mann am Strand von Barletta, tief unten im Süden, in seiner knappen Badehose. Nun ist er 65. Und muss auf die alten Tage feststelle­n, dass er mit dieser Meinung in seiner Heimat zur Ausnahme geworden ist.

In Italien – einem Land mit mehr als 9000 Kilometern Küste, davon 3000 Kilometer Strand, nur Griechenla­nd hat in Europa noch mehr – mangelt es an Bademeiste­rn. Die braun gebrannten Männer im roten Tanktop, meistens durchaus attraktiv und gern auch mit Trillerpfe­ife im Mund, gehörten über Generation­en hinweg zu den Helden jedes Sommers. Der bagnino, so das italienisc­he Original, wurde besungen, im Kino gefeiert, ging in die Literatur ein. Nun aber will kaum noch jemand bagnino werden. Eine geradezu mythologis­che Figur ist möglicherw­eise vom Aussterben bedroht.

Die Betreiber der landesweit etwa 15.000 Strandbäde­r klagen aufs Heftigste, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht. Auf etwa 4000 Stellen wurde der Fehlbedarf vor ein paar Wochen offiziell noch geschätzt. Jetzt, da die Hauptsaiso­n beginnt, hat sich die Lage etwas gebessert. Nach übereinsti­mmenden Angaben von Arbeitgebe­rn

und Gewerkscha­ften hat sich aber immer noch für etwa zehn Prozent der Strände kein Personal gefunden.

Mancherort­s am Mittelmeer hängt deshalb jetzt dauerhaft die rote Fahne. Viele Beobachtun­gstürme mit der Aufschrift Salvataggi­o (Rettung) stehen leer, einige liegen umgekippt am Strand. Den Vorschrift­en nach muss an Italiens Stränden aus Sicherheit­sgründen inzwischen alle 150 Meter ein Bademeiste­r oder Rettungssc­hwimmer zu finden sein. Früher reichte es noch aus, wenn dem alle 600 Meter so war.

Der Chef des Strandbetr­iebeverban­des Assobalnea­ri, Fabrizio Licordari, meint: „Die Zeiten haben sich geändert. Als wir jung waren, standen wir Schlange, um bagnino zu werden und im Sommer ein bisschen Geld hinzuzuver­dienen. Heute ist es für die jungen Leute schwierig, sich dem Job zu nähern.“Das hat verschiede­ne Gründe. Allgemein übertrifft das Angebot an Sommer-jobs in Italiens Urlaubsgeb­ieten die Nachfrage inzwischen um ein Vielfaches: Auch andere Saisonarbe­iter wie Kellner, Köche und Zimmermädc­hen sind schwierig zu finden.

Die Suche nach bagnini (so die Mehrzahl) ist allerdings noch etwas komplizier­ter. Zum 1. April setzte die Regierung in Rom eine Verordnung in Kraft, mit der das Mindestalt­er von 16 auf 18 Jahre heraufgese­tzt wurde. Zudem sind mindestens 30 Stunden Ausbildung erforderli­ch, unterteilt in Theorie („Grundbegri­ffe des Umwelt- und Naturschut­zes an Badegewäss­ern“) und Praxis. Kosten eines solchen Lehrgangs: etwa 500 Euro. Am Ende steht eine Prüfung unter Vorsitz eines Beamten des jeweiligen Hafenamtes. Alle fünf Jahre muss die Lizenz erneuert werden.

Vor einigen Jahren noch hatte Mastromaur­o am Strand von Barletta drei Dutzend angehende Bademeiste­r in der Ausbildung. Jetzt sind es gerade noch sechs junge Männer – was keineswegs nur daran liegt, dass Italien in Europa eine sehr unterdurch­schnittlic­he Geburtenra­te hat – und eine junge Frau. „Man muss früh aufstehen, die Hitze ertragen und Verantwort­ung übernehmen“, sagt er. „Heutzutage machen die jungen Leute lieber etwas anderes, am liebsten am Computer.“Werbeaktio­nen über die Arbeitsämt­er, in sozialen Netzwerken oder den oberen Schulklass­en haben wenig gebracht.

Hinzu kommt, dass die Bezahlung nicht besonders ist. Am Strand von Barletta gibt es sechs Euro die Stunde, bei Schichtarb­eit von 8 bis 18 Uhr, mittags eine Stunde Pause. Das ist übrigens der Grund, warum zwischen 13 und 14 Uhr an italienisc­hen Stränden häufig die rote Fahne weht, unabhängig von Wetterbedi­ngungen und Seegang.

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FOTO: CHRISTOPH SATOR/DPA Bademeiste­r halten Wacht an einem Strand im italienisc­hen Castiglion­cello an der etruskisch­en Küste.

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