Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Bagnino verzweifelt gesucht
An Italiens Stränden fehlen die Bademeister – Rund 4000 offene Stellen vor Saisonstart
(dpa) - Als Bademeister hat Francesco Mastromauro so gut wie alles erlebt, was es an Italiens Stränden zu erleben gibt: die eine oder andere Liebschaft mit einer Urlauberin, den ewigen Streit um die Sandburgen und auch die Tragödien, wenn jemand nur noch tot aus dem Meer gezogen werden konnte. „Für mich ist das ein Traumberuf “, sagt der kleine Mann am Strand von Barletta, tief unten im Süden, in seiner knappen Badehose. Nun ist er 65. Und muss auf die alten Tage feststellen, dass er mit dieser Meinung in seiner Heimat zur Ausnahme geworden ist.
In Italien – einem Land mit mehr als 9000 Kilometern Küste, davon 3000 Kilometer Strand, nur Griechenland hat in Europa noch mehr – mangelt es an Bademeistern. Die braun gebrannten Männer im roten Tanktop, meistens durchaus attraktiv und gern auch mit Trillerpfeife im Mund, gehörten über Generationen hinweg zu den Helden jedes Sommers. Der bagnino, so das italienische Original, wurde besungen, im Kino gefeiert, ging in die Literatur ein. Nun aber will kaum noch jemand bagnino werden. Eine geradezu mythologische Figur ist möglicherweise vom Aussterben bedroht.
Die Betreiber der landesweit etwa 15.000 Strandbäder klagen aufs Heftigste, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht. Auf etwa 4000 Stellen wurde der Fehlbedarf vor ein paar Wochen offiziell noch geschätzt. Jetzt, da die Hauptsaison beginnt, hat sich die Lage etwas gebessert. Nach übereinstimmenden Angaben von Arbeitgebern
und Gewerkschaften hat sich aber immer noch für etwa zehn Prozent der Strände kein Personal gefunden.
Mancherorts am Mittelmeer hängt deshalb jetzt dauerhaft die rote Fahne. Viele Beobachtungstürme mit der Aufschrift Salvataggio (Rettung) stehen leer, einige liegen umgekippt am Strand. Den Vorschriften nach muss an Italiens Stränden aus Sicherheitsgründen inzwischen alle 150 Meter ein Bademeister oder Rettungsschwimmer zu finden sein. Früher reichte es noch aus, wenn dem alle 600 Meter so war.
Der Chef des Strandbetriebeverbandes Assobalneari, Fabrizio Licordari, meint: „Die Zeiten haben sich geändert. Als wir jung waren, standen wir Schlange, um bagnino zu werden und im Sommer ein bisschen Geld hinzuzuverdienen. Heute ist es für die jungen Leute schwierig, sich dem Job zu nähern.“Das hat verschiedene Gründe. Allgemein übertrifft das Angebot an Sommer-jobs in Italiens Urlaubsgebieten die Nachfrage inzwischen um ein Vielfaches: Auch andere Saisonarbeiter wie Kellner, Köche und Zimmermädchen sind schwierig zu finden.
Die Suche nach bagnini (so die Mehrzahl) ist allerdings noch etwas komplizierter. Zum 1. April setzte die Regierung in Rom eine Verordnung in Kraft, mit der das Mindestalter von 16 auf 18 Jahre heraufgesetzt wurde. Zudem sind mindestens 30 Stunden Ausbildung erforderlich, unterteilt in Theorie („Grundbegriffe des Umwelt- und Naturschutzes an Badegewässern“) und Praxis. Kosten eines solchen Lehrgangs: etwa 500 Euro. Am Ende steht eine Prüfung unter Vorsitz eines Beamten des jeweiligen Hafenamtes. Alle fünf Jahre muss die Lizenz erneuert werden.
Vor einigen Jahren noch hatte Mastromauro am Strand von Barletta drei Dutzend angehende Bademeister in der Ausbildung. Jetzt sind es gerade noch sechs junge Männer – was keineswegs nur daran liegt, dass Italien in Europa eine sehr unterdurchschnittliche Geburtenrate hat – und eine junge Frau. „Man muss früh aufstehen, die Hitze ertragen und Verantwortung übernehmen“, sagt er. „Heutzutage machen die jungen Leute lieber etwas anderes, am liebsten am Computer.“Werbeaktionen über die Arbeitsämter, in sozialen Netzwerken oder den oberen Schulklassen haben wenig gebracht.
Hinzu kommt, dass die Bezahlung nicht besonders ist. Am Strand von Barletta gibt es sechs Euro die Stunde, bei Schichtarbeit von 8 bis 18 Uhr, mittags eine Stunde Pause. Das ist übrigens der Grund, warum zwischen 13 und 14 Uhr an italienischen Stränden häufig die rote Fahne weht, unabhängig von Wetterbedingungen und Seegang.