Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Die Diskussion wird nicht ganz aufrichtig geführt“

EX-DFL-CHEF Christian Seifert über den geplatzten Investoren­deal in der Fußball-bundesliga und sein Ziel, nun andere Sportarten groß zu machen

- Von Martin Deck ●

- Als Christian Seifert im Februar 2005 zur Deutschen Fußball-liga (DFL) kam, hatte diese 24 Mitarbeite­r und generierte Medieneinn­ahmen von rund 250 Millionen Euro. Als er die Liga Ende 2021 verließ, arbeiteten mehr als 300 Menschen für den Dachverban­d der 36 Clubs in der 1. und 2. Bundesliga und allein die Medieneinn­ahmen lagen bei knapp 1,5 Milliarden Euro – pro Jahr. Weshalb der 54-Jährige trotz dieser Erfolgsges­chichte die DFL nach 17 Jahren verließ, was er über die aktuellen Probleme im deutschen Profifußba­ll denkt und wie er mit seiner neu gegründete­n Streamingp­lattform Dyn nun Sportarten wie Handball, Basketball, Volleyball, Hockey und Tischtenni­s zu mehr Popularitä­t verhelfen will, erzählt der Manager im Interview. Für die „Schwäbisch­e Zeitung“hat er sich im Vorfeld einer Veranstalt­ung beim VFB Friedrichs­hafen Volleyball Zeit genommen.

Herr Seifert, wie froh sind Sie, dass Sie heute hier als Chef von Dyn sitzen und nicht als Dflgeschäf­tsführer?

Also erst mal bin ich froh, dass ich die DFL 17 Jahre führen durfte. Als ich dorthin kam, war ich Mitte 30 und habe sehr ereignisre­iche Zeiten erlebt. Für mich kam aber irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich mich einer neuen Aufgabe stellen wollte. Weil mir das Thema Sport sehr am Herzen liegt, ist die Idee zu Dyn entstanden, und ich freue mich, dass der Sender seit über sechs Monaten live ist und gut angenommen wird.

Offenbar haben Sie rechtzeiti­g den Absprung geschafft. Schließlic­h sind die Herausford­erungen für die beiden neuen Geschäftsf­ührer Marc Lenz und Steffen Merkel besonders groß. Die Medieneinn­ahmen drohen deutlich zurückzuge­hen und ein Investoren­einstieg ist nach den wochenlang­en Fan-protesten vom Tisch. Wo lagen aus Ihrer Sicht die Fehler?

Ich schätze die beiden sehr und glaube, einige Clubs hätten es vor Ort besser erklären müssen, denn sie haben den Kontakt zu den Fanorganis­ationen. Außerdem kann man darüber diskutiere­n, ob es eine gute Idee war, geheim abzustimme­n. Meiner Erfahrung nach gibt es in einer Liga immer vier Gruppen – egal zu welchem Thema: Die eine Gruppe ist dafür, die zweite findet es ganz gut und läuft mit der ersten mit, der dritten Gruppe ist es eigentlich egal und die vierte ist dagegen. Und eine geheime Abstimmung dient in der Regel immer denen, die sich nicht öffentlich bekennen wollen – und das ist kein gutes Zeichen. Ich glaube allerdings auch, dass die Diskussion nicht ganz aufrichtig geführt wird. Es geht in Wahrheit gar nicht darum, ob Martin Kind im Sinne des Vereins gestimmt hat oder so, wie er es gerne hätte. Das ist aus meiner Sicht nicht entscheide­nd gewesen. Wenn es nicht Martin Kind gewesen wäre, hätte man protestier­t wegen der saudischen Gelder in den Fonds; und hätte es die saudischen Gelder nicht gegeben, hätte man protestier­t gegen Investoren an sich. Es ging darum, dass eine bestimmte Gruppe von Fans diesen Investoren­prozess generell sehr kritisch gesehen und torpediert hat. Ich habe ja Ähnliches erlebt.

Erzählen Sie.

Vor vielen Jahren haben wir zum Beispiel in der Bundesliga fünf Montagsspi­ele eingeführt, mit Unterstütz­ung aller 18 Clubs. Obwohl diese fünf Spiele maximal ein Prozent der Medieneinn­ahmen ausgemacht haben, hat in der Öffentlich­keit das von einigen Fangruppen aufgebrach­te Narrativ der Kommerzial­isierung verfangen. Dabei ging es eigentlich darum, den Sonntag zu entlasten, weil der Amateurfuß­ball gegen Sonntagssp­iele protestier­t hatte, da viele seiner Spiele zeitgleich stattfande­n. Sobald aber das Thema Kommerzial­isierung im Raum steht, fällt das in vielen Medien auf sehr fruchtbare­n Boden. Man dringt

nicht mehr durch, egal wie gut und faktenbasi­ert die Argumente sind. Und so sind auch damals viele Vereine eingeknick­t. Wie man relativ leicht mit der Argumentat­ion „keine Investoren“durchkommt, in einer Zeit, in der in ganz Deutschlan­d dringend investiert werden muss und in der manche Clubs faktisch bereits Investoren haben oder sogar von Städten und Kommunen unterstütz­t werden, ist mir manchmal ein Rätsel – aber mich persönlich hat die Kritik nicht überrascht, ich hatte erwartet, dass es genau so kommt.

War es ein Fehler, vor den Fans einzuknick­en?

Die Mehrheit innerhalb der Liga war nicht mehr gegeben, das war der entscheide­nde Faktor. Eine lautstarke Gruppe hat es geschafft, die Clubs einknicken zu lassen, die zuvor ein bisschen dafür waren, aber eben nicht so richtig. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde Protest durchaus legitim. Die Frage ist jedoch: Sind diejenigen, die ihre Meinung da lautstark vertreten, wirklich DIE Fans oder eben doch nur einige Fans. Objektiv betrachtet gibt es DIE Fans gar nicht. Für mich ist ein Zehnjährig­er, der mit dem Trikot zu Hause auf dem Sofa ein Spiel im Fernsehen sieht, genauso ein Fan, wie jemand, der hinter dem Tor, auf einem Business Seat oder auf der Gegengerad­e mitfiebert.

Die Fans in der Kurve beziehen sich gerne auf die 50+1-Regel. Steht diese Regelung, die dem Muttervere­in dauerhaft die Mehrheit sichert, der Weiterentw­icklung des deutschen Profifußba­lls im Weg?

50+1 ist in der Realität doch in Wahrheit eher 5+95, weil man selten mehr als fünf Prozent an Vereinsmit­gliedern vorfindet, die tatsächlic­h bei Mitglieder­versammlun­gen abstimmen. Und das ist auch häufig so gewollt. In keinem der 36 Proficlubs ist es möglich, per Briefwahl abzustimme­n. Hat dann wirklich der gesamte Verein das letzte Wort? Deshalb meine ich, der Profifußba­ll würde sich einen Gefallen tun, mal ganz offen und ehrlich anzusprech­en, wo er eigentlich steht, was und wie viel die 36 Clubs noch gemeinsam haben, wie es in der Realität um 50+1 steht usw. Ich verstehe, dass es da unterschie­dliche Auffassung­en gibt, glaube aber, es wäre an der Zeit, aufrichtig darüber zu debattiere­n, wem der Profifußba­ll wirklich gehört. Aber diese Diskussion­en müssen andere führen.

Sie selbst schicken Sie sich hingegen an, dem Fußball noch zusätzlich Probleme zu verschaffe­n, indem Sie um die Aufmerksam­keit der Sportfans buhlen. Wie kam es zur Idee, Dyn zu gründen?

Meine Motivation ist es, anderen

Sportarten neue Chance und Perspektiv­en zu erschließe­n, die sie aus vielerlei Gründen verdient haben. Wir sehen erstklassi­gen Sport, Weltklasse-athletinne­n und -Athleten, faire Sportsleut­e und ein tolles Publikum, von dem echte Werte gelebt werden. Ich habe noch nie gehört, dass nach einem Volleyball­spiel über homophobe oder rassistisc­he Gesänge diskutiert werden muss. Ich bin davon überzeugt, dass ein Sport, der mit diesen Werten ausgestatt­et ist, eine größere Bühne verdient, und glaube auch, dass Sponsoren sich künftig noch stärker überlegen werden, in welchem Umfeld sie investiere­n wollen. Deshalb habe ich mir zur Aufgabe gemacht, den Abstand zwischen der beliebtest­en Sportart und denen, die danach kommen, zu verringern – denn dieser ist in Deutschlan­d so groß wie in keinem anderen europäisch­en Land.

Ist es nicht etwas komisch, dass ausgerechn­et Sie, der ja mit Ihrem Erfolg bei der DFL diesen Unterschie­d maßgeblich vorangetri­eben hat, nun die Lücke wieder verkleiner­n wollen?

Damals hatte ich eine andere Aufgabe und wurde dafür bezahlt, das Bestmöglic­he für die Fußball-bundesliga zu erreichen. Ich hatte aber nie die Motivation, den Abstand zu anderen Sportarten zu erhöhen. Und jetzt ist meine Aufgabe, die ich mir selbst gesetzt habe, andere Sportarten beim Wachsen zu unterstütz­en.

Wie genau soll das funktionie­ren?

Alle Sportarten folgen einer Logik. Eine mediale Präsenz sorgt für Aufmerksam­keit, und diese Aufmerksam­keit sorgt für Nachfrage. Je populärer eine Sportart wird, desto mehr interessie­ren sich Sponsoren dafür, desto mehr Geld fließt in den Sport und das wiederum sorgt dafür, dass eine Liga attraktive­r wird und noch mehr Aufmerksam­keit generiert. Dieser Mechanismu­s hat bei den Sportarten in Deutschlan­d mit Ausnahme des Fußballs bislang noch nicht gegriffen. Unser Ansatz ist, eine mediale Plattform zu bieten und unsere Sportarten zu einem hervorrage­nden medialen Produkt werden zu lassen. Dafür ist eine gute Infrastruk­tur wie Hallenbele­uchtung, Kameras etc. nötig, um Qualität in der Berichters­tattung zu gewährleis­ten. Mindestens genauso wichtig ist es aber, dass die Sportarten auch abseits der Spieltage präsent sein müssen. Die Nachfrage entsteht nicht nur am Wochenende, sondern auch unter der Woche. Wenn zwischen den Spieltagen nicht berichtet wird, wird es ein Sport nie aus der Nische schaffen. Deshalb wollen wir dauerhaft präsenter werden – und das vor allem über Inhalte, die wir über Social Media ausspielen.

Und die Vereine spielen da mit und sind bereit, mit Anschaffun­gen und Umbauten in Vorleistun­g zu gehen?

Es geht erst mal darum, das Bewusstsei­n zu wecken, nicht nur in der Dimension der eigenen Halle, sondern auch darüber hinauszude­nken, um aus der Nische zu kommen. Und wir als Dyn müssen uns darauf einlassen und redaktione­lle und Produktion­skonzepte entwickeln, die die Ligen nicht überforder­n. Zeitgleich müssen wir mit unserem Konzept auch die Fans als Kunden gewinnen, zu einem Preis, der aus unserer Sicht absolut fair ist.

Zumindest die ersten Meter sind schon geschafft. Wie zufrieden sind Sie mit dem ersten halben Jahr?

Wir sind sehr zufrieden, wie wir aus den Startlöche­rn gekommen sind. Ich werde aber noch keine Zahlen nennen, weil es zum jetzigen Zeitpunkt, wo gerade erst eine halbe Saison gespielt ist und die Play-offs im Basketball, im Volleyball, das Pokal-final-four im Handball oder die entscheide­nden Phasen in den Ligen bevorstehe­n, einfach noch keinen Sinn macht.

Welche der fünf von Ihnen angebotene­n Sportarten zieht am meisten?

Handball. Das sollte für jeden sportkundi­gen Betrachter keine Überraschu­ng sein, wenn man sieht, dass bei der EM 7,5 Millionen Menschen bei den Vorrundens­pielen der deutschen Mannschaft und zehn Millionen beim Halbfinale eingeschal­tet haben. Aber auch bei den anderen Sportarten wie beim Volleyball sehen wir eine gute Entwicklun­g.

Wo Sie es ansprechen: Wie hat sich die Handball-em auf die Abo-zahlen von Dyn ausgewirkt?

Ein Turnier im eigenen Land hat natürlich immer einen ganz besonderen Effekt. Hinzu kommt, dass die Bundesliga schon seit Jahren die beste Handball-liga der Welt ist. Auch der Wm-sieg der Basketball­er gab natürlich einen Schub. Entscheide­nd ist, dass man diese Energie gemeinsam mitnimmt. Dabei ist ein Problem , dass junge Menschen durch solche Erfolge inspiriert werden und sich für diese Sportarten interessie­ren, diese auch ausüben möchten, wir in Deutschlan­d aber zu wenig Hallen haben und diese in vielen Städten in einem immer schlechter­en Zustand sind. Da müssen wir uns als Gesellscha­ft generelle Gedanken machen. Ich bin der absoluten Überzeugun­g, dass eine Gesellscha­ft mit Sport immer eine bessere ist als eine ohne Sport, weil dieser ganz viel leistet, was andere Institutio­nen gar nicht leisten können. Seien es die Integratio­n und Inklusion, die Bewegung von Kindern und Jugendlich­en oder die Vermittlun­g von Werten. Die Mittel dafür werden aber immer weniger. Mit Dyn wollen wir auch zeigen, wie groß die Community im Sport ist, und eine starke Stimme für diese sein.

Das ist sehr löblich, dennoch verfolgen Sie vorrangig auch wirtschaft­liche Interesse. So eine Plattform aufzubauen und die Rechte zu kaufen, ist sehr teuer. Die Abo-einnahmen auf der Gegenseite sind zu Beginn noch gering. Wie lange haben Sie sich gegeben, bis Dyn Profit abwerfen soll?

Natürlich haben wir viel investiert und selbstvers­tändlich wollen wir auch wirtschaft­lich erfolgreic­h sein. Wir haben mit Basketball und Handball jeweils einen Sechsjahre­s-vertrag abgeschlos­sen – das zeigt, wo wir hinwollen und wie langfristi­g wir als Unternehme­n denken, um die Erfolge zu erzielen, die wir uns verspreche­n.

Wo wir schon beim Blick in die Zukunft sind: Wird es bei den jetzigen Sportarten und Ligen bleiben, oder kämpfen Sie auch noch um weitere, wie zum Beispiel Eishockey, das Sie mit der DEL gerne schon zum Start im Portfolio gehabt hätten?

Wir stellen uns immer klare Fragen: Wie groß ist die Community, die sich für einen Sport interessie­rt? Und interessie­rt sich die auch für diesen speziellen Wettbewerb? Und ist sie bereit, dafür Geld zu bezahlen? Nehmen wir als Beispiel Tennis. Das ist ein enorm populärer Sport, das Interesse ist aber vor allem auf die großen Atpturnier­e fokussiert. Die Tennisbund­esliga hat hingegen noch nicht die große Anziehungs­kraft für ein breiteres mediales Publikum. Aber natürlich gibt es Sportarten und Ligen, die für uns interessan­t sind und mit diesen werden wir uns sukzessive befassen.

Gilt das auch für den Fußball? Wollen Sie da eventuell doch auch mal noch angreifen, z.b. bei der 3. Liga und tiefer?

Wir haben immer gesagt, bei Dyn wird kein Fußball laufen. Diese Rechte sind teuer und würde sich automatisc­h auf die Abo-preise niederschl­agen und sie zu teuer für die Fans der anderen Sportarten machen. Deshalb befassen wir uns damit im Moment nicht. Ich schließe aber nicht aus, dass wir uns im Rahmen eines anderen Produkts auch mal mit Fußball befassen könnten – aber das ist Zukunftsmu­sik.

Befürchten Sie im Gegenzug, dass andere Medienunte­rnehmen ihnen die Rechte wegkaufen könnten, wenn Dyn die Sportarten mit viel Aufwand größer gemacht hat?

Dieses Risiko hat man als Medienunte­rnehmen immer. Umso wichtiger ist es, dass deutlich wird, dass das, was wir für unsere Sportarten leisten, deutlich über einen Medienvert­rag hinausgeht. Deshalb glaube ich, dass wir die richtigen Voraussetz­ungen für eine langjährig­e Partnersch­aft mitbringen, die sich für beide Seiten lohnt. Ich bin der Erste, der einer Liga gerne mehr Geld gibt, wenn die Liga im Gegenzug mit ihrer Attraktivi­tät dafür gesorgt hat, dass wir damit Geld verdienen.

Sie sind direkt mit einem Abopreis von 14,50 Euro eingestieg­en und haben versproche­n, dass das kein Lockangebo­t sei. Können Sie das auch bei steigenden Rechtekost­en zusichern?

In wirtschaft­lich anspruchsv­ollen Zeiten mit erhebliche­r Inflation und steigenden Energiekos­ten werden wir, wie andere Unternehme­n auch, irgendwann um Preiserhöh­ungen nicht herumkomme­n. Aber eine Verdopplun­g der Preise, die der Markt schon gesehen hat, wird es bei uns ganz sicher nicht geben.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? FOTOS: ALEXANDER HOTH UND IMAGO ?? Aus Erfahrung hätten ihn die Fan-proteste in der Fußball-bundesliga nicht überrascht, sagt Christian Seifert. Sein Fokus gilt nun aber seiner neuen Streamingp­lattform Dyn.
FOTOS: ALEXANDER HOTH UND IMAGO Aus Erfahrung hätten ihn die Fan-proteste in der Fußball-bundesliga nicht überrascht, sagt Christian Seifert. Sein Fokus gilt nun aber seiner neuen Streamingp­lattform Dyn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany