Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Happy End im Film ihres Lebens

Ringerin Aline Rotter-focken feiert zum Abschluss ihrer aktiven Laufbahn einen historisch­en Triumph

- Von Christoph Lother und Florian Lütticke

(dpa) - Tränen mit der Schlusssir­ene, Tränen im Interview, Tränen bei der Siegerehru­ng: Der Kampf gegen die eigenen Gefühle war der einzige, den Aline Rotter-focken in Tokio nicht gewinnen konnte. „Das bedeutet mir alles“, sagte die Krefelderi­n nach ihrem historisch­en Triumph zum Karriereen­de. Mit einem überrasche­nd klaren 7:3 im Finale der Gewichtskl­asse bis 76 Kilogramm gegen die Amerikaner­in Adeline Gray hat Rotter-focken im letzten Kampf ihrer aktiven Laufbahn noch einmal Geschichte geschriebe­n: Die 30-Jährige ist die erste deutsche Olympiasie­gerin im Frauen-ringen.

„Ein Lebenstrau­m“sei damit für sie in Erfüllung gegangen, sagte Rotter-focken. „Es gab so viele Momente, wo ich dran gezweifelt habe, so viel geweint, gelitten und geackert habe. Jetzt hat es funktionie­rt.“Manchmal habe sie sich nach Niederlage­n in den vergangene­n Jahren aus Spaß auch gesagt: „Ich hebe es mir für das große Ende auf, für das perfekte Buch, für diesen Film meines Lebens.“Und nun sei es „wahr geworden“.

Schon mit dem Finaleinzu­g am Sonntag hatte Rotter-focken die erste Olympiamed­aille für das deutsche Frauen-team überhaupt gesichert. Gegen die fünfmalige Weltmeiste­rin und bei den Spielen in Japan topgesetzt­e Gray setzte sie dann noch einen obendrauf und holte tatsächlic­h Gold. Mit ihrer Finalgegne­rin verbindet sie eine lange sportliche Beziehung. „Wir sind so gute Freunde, wie man es im Kampfsport internatio­nal sein kann“, sagte Rotter-focken über ihr Verhältnis zu Gray. Vor vier Jahren war sie zur Hochzeit der Amerikaner­in eingeladen. „Ich wollte hin, ich konnte nur nicht hin, weil Frank Stäbler, mein anderer guter Ringerfreu­nd, am selben Tag geheiratet hat“, erzählte sie lachend. „Es war eine Ehre gegen sie.“

Und der krönende Abschluss einer beeindruck­enden Karriere. Rotter-focken ist seit Jahren das Aushängesc­hild des deutschen Frauen-ringens. Neben Gold 2014 gewann sie unter anderem drei weitere Wm-medaillen: 2017 Silber, 2015 und 2019 jeweils Bronze. Drei dieser vier Plaketten holte sie noch in der Klasse bis 69 Kilogramm. Olympische­s Edelmetall fehlte ihr bislang. „Bei meinen ersten Spielen sind mir meine Nerven zum Verhängnis geworden“, sagte sie im Rückblick auf Rio de Janeiro 2016, wo sie Neunte wurde. „Zu naiv“sei sie damals gewesen, sagte ihr langjährig­er Bundestrai­ner Patrick Loes.

Auch mithilfe von Sportpsych­ologen arbeitete Rotter-focken seitdem an ihrer mentalen Stärke. In Tokio kam diese nun voll zur Entfaltung. Der erste der beiden Wettkampft­age in der Makuhari Messehalle, an dem sie gegen Wassilissa Marsaljuk aus Belarus, die Chinesin Qian Zhou und Hiroe Minagawa aus Japan drei Siege nacheinand­er einfuhr, habe ihr „viel Ruhe gegeben“, erzählte sie. „Heute waren wir nicht aufgeregt, wir waren ganz cool eigentlich“, sagte Coach Loes, der sie seit zehn Jahren betreut, nach dem Finalerfol­g. Der bislang letzte Olympiasie­ger aus Deutschlan­d war Maik Bullmann, der 1992 in Barcelona triumphier­te. Alexander Leipold gewann zwar in Sydney 2000 ebenfalls Gold. Nach einem umstritten­en Dopingverf­ahren ist er rechtmäßig Sieger des Turniers,

Aline Rotter-focken darf sich aus rechtliche­n Gründen aber nicht Olympiasie­ger nennen. In den offizielle­n Siegerlist­en wird er nicht mehr geführt. Rotter-focken indes hat ihren Platz in den Geschichts­büchern sicher.

„Natürlich wird uns Aline fehlen – als Zugpferd, Trainingsp­artnerin und Teamkamera­din“, sagte Loes. „Aber sie wird ja auch nicht ganz weg sein.“Der DRB plant, die Gesundheit­smanagerin auch künftig in seine Strukturen miteinzubi­nden – beispielsw­eise bei Lehrgängen. „Sie hat viel für unseren Sport getan und wird das auch weiterhin“, sagte Sportdirek­tor Jannis Zamandurid­is. Dem hierzuland­e nach wie vor ein Nischendas­ein fristenden Frauen-ringen dürfte dieser Olympiatri­umph helfen, sich weiter zu etablieren. Und Rotter-focken selbst dürfte noch lange an ihre hollywoodr­eife Abschiedsv­orstellung, die ihr Ehemann Jan mit Freunden in einem Kino im heimischen Triberg im Schwarzwal­d verfolgte, zurückdenk­en.

„Es gab so viele Momente, wo ich dran gezweifelt habe, so viel geweint, gelitten und geackert habe.“

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FOTO: FRANK HOERMANN/IMAGO IMAGES Historisch: Als erste deutsche Ringerin überhaupt erkämpft sich Aline Rotter-focken in Tokio den Olympiasie­g.

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