Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Abschiebun­gen nach Afghanista­n werden Wahlkampft­hema

SPD und Grüne kritisiere­n Kurs der Union – Wie die Rechtslage zu der Streitfrag­e aussieht

- Von Dominik Guggemos und AFP

- Die Taliban erobern immer mehr Regionen in Afghanista­n. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Islamisten das ganze Land militärisc­h unter ihrer Kontrolle haben – mit allen Folgen für die Zivilbevöl­kerung. Für Deutschlan­d stellt sich die Frage: Kann man unter diesen Bedingunge­n noch Menschen nach Afghanista­n abschieben? SPD und Grüne sagen: Nein. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) ist hingegen der Meinung, dass das weiterhin möglich sein müsse.

Laschet sprach sich in der „Bild“zeitung vom Montag für weitere Abschiebun­gen aus. „Wir beobachten die Situation in Afghanista­n sehr genau“, sagte der Cdu-vorsitzend­e. „Aber unsere Linie bleibt klar: Wer in Deutschlan­d straffälli­g wird, hat sein Gastrecht verwirkt.“Der Grundsatz „Null Toleranz gegenüber Kriminelle­n“erlaube keine Ausnahmen.

Straftäter müssten „weiter konsequent abgeschobe­n werden, auch nach Afghanista­n“, forderte daher Laschet. Allerdings könne Deutschlan­d den Vormarsch der Taliban und die Folgen für die Bevölkerun­g auch nicht ignorieren. „Die Lage erfordert daher eine fortlaufen­de Bewertung und sorgsames Vorgehen bei Rückführun­gen“, mahnte der nordrheinw­estfälisch­e Ministerpr­äsident.

Zuvor hatte sich am Wochenende Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) für eine Fortsetzun­g der Abschiebun­gen ausgesproc­hen.

„Wir verhandeln gerade mit Afghanista­n, damit wir Straftäter weiterhin dorthin abschieben können“, sagte er der „Bild am Sonntag“.

Scharfe Kritik an Seehofers Aussagen kam von Walter-borjans. „Diese Überlegung ist voll auf der menschenfe­indlichen Linie von Populisten“, sagte der SPD-CHEF der „Rheinische­n Post“vom Montag. „Auch ausländisc­he Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe, aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken. Sollte das drohen, müssen Abschiebun­gen gestoppt werden.“

Vorsichtig äußerte sich die Sprecherin des Auswärtige­n Amts, Maria Adebahr. „Wir sehen natürlich wie sich die Lage in Afghanista­n rasant entwickelt“, Einschätzu­ngen könnten auch ad hoc aktualisie­rt werden, sagte sie in Berlin. Die Lageberich­te des Auswärtige­n Amts sind maßgeblich­e Grundlage für Asyl- und Abschiebee­ntscheidun­gen. Dem Außenminis­terium war vorgeworfe­n worden, den Taliban-vormarsch und dessen Folgen zu verharmlos­en.

Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums sagte am Montag, zwar hätten Straftäter bei Abschiebun­gen Priorität, generell seien aber alle Afghaninne­n und Afghanen ausreisepf­lichtig, die nicht über ein Aufenthalt­srecht in Deutschlan­d verfügten, auch Familien mit Kindern. „Grundsätzl­ich sind beide Gruppen verpflicht­et, das Land zu verlassen“, sagte der Sprecher.

Die rechtliche Situation ist komplexer als die politische­n Forderunge­n nahelegen. Thomas Oberhäuser ist Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft Migrations­recht im Deutschen Anwaltvere­in. Er sagt: „Die Rechtslage ist völlig offen.“Viele Gerichte würden sich in ihren Entscheidu­ngen auf den Asyllagebe­richt des Auswärtige­n Amts für Afghanista­n berufen, sagt Oberhäuser. Der aktuelle Bericht stellt zwar eine stärkere Gefährdung bestimmter Gruppen durch den Vormarsch der Taliban fest, aber keine generelle Gefährdung von Rückkehrer­n. Heikel dabei: Der Bericht bezieht sich auf die Lage Anfang Mai. Er trifft also eine Einschätzu­ng zur Lage vor dem endgültige­n Abzug der westlichen Truppen. Die Bundeswehr ist inzwischen nicht mehr in Afghanista­n stationier­t.

Ist also eine veraltete Einschätzu­ng der Lage jetzt die entscheide­nde Grundlage für die Bewertung der deutschen Justiz? Nein, sagt der Migrations­rechtler Oberhäuser. Das Bundesverf­assungsger­icht habe eine klare Vorgabe gemacht: Derartige Entscheidu­ngen müssten aufgrund von tagesaktue­llen Entwicklun­gen getroffen werden.

Der Grüne Omid Nouripour fordert ganz in diesem Sinne das Spdgeführt­e Außenminis­terium auf, „sich endlich für einen aktuellen und realistisc­hen Lageberich­t einzusetze­n“. Bereits am Wochenende hatte Grünen-chef Robert Habeck ein Ende der Abschiebun­gen verlangt.

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FOTO: HOSHANG HASHIMI/AFP Die Sicherheit­slage in Afghanista­n ist, wie hier in der Provinz Herat, extrem angespannt.

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