Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Arzt an Trumps Seite

Sean Conley, der Leibarzt des US-Präsidente­n, rückt mit der Wahrheit nur scheibchen­weise heraus

- Von Frank Herrmann

lag bei mehr als 260 pro 100 000 Einwohner und damit deutlich über der Grenze von 50. Unter den partyfreud­igen 20- bis 30-Jährigen waren es sogar mehr als 500 pro 100 000 Einwohner. Das führte dazu, dass die Beatmungsb­etten bereits wieder zu 36 Prozent ausgelaste­t sind.

Wichtig sei, genug Krankenhau­spersonal für die Patienten zu haben. An Beatmungsg­eräten, Medikament­en und Schutzklei­dung fehle es nicht. Martin Hirsch, der Leiter der Pariser Krankenhäu­ser, appelliert­e bereits an das Personal, auf Urlaub in den Herbstferi­en zu verzichten. Der Leiter der Abteilung für Infektions­krankheite­n am Pariser Krankenhau­s Tenon, Gilles Pialoux, warf der Regierung vor, zu spät auf den Anstieg der Infektions­zahlen zu reagieren. „Wir rennen dem Virus hinterher“, sagte Pialoux im Fernsehsen­der BFMTV. Auch die Franzosen sehen das Krisenmana­gement kritisch: 64

Prozent trauen Präsident Emmanuel Macron nicht zu, die Epidemie zu bekämpfen.

Die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, die am Wochenende noch über die „Stop-and-go“-Strategie der Regierung geschimpft hatte, gab sich bei der Pressekonf­erenz zahm. Die Stadtverwa­ltung werde an der Seite des Staates ihren Beitrag leisten, versprach die Sozialisti­n. „Wir hoffen, dass wir in zwei Wochen eine andere Situation haben.“Regierungs­chef Jean Castex hatte die Maßnahmen mit Hidalgo abgesproch­en, nachdem eine Woche zuvor im Hotspot Marseille die Schließung der Bars und Restaurant­s ohne Rücksprach­e mit der Stadtverwa­ltung erfolgt war. Neben Paris und Marseille ist die Lage auch in anderen Großstädte­n wie Lyon und Lille kritisch. „Wir erleben eine echte zweite Welle“, zitiert die Zeitung „Le Monde“einen Vertrauten von Macron.

Sean Conley hat ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Seit Donald Trump am Freitag in ein Militärkra­nkenhaus am Rande Washington­s eingeliefe­rt wurde, muss er, der Leibarzt des Präsidente­n, einmal am Tag vor laufenden Kameras über den Gesundheit­szustand seines Patienten informiere­n. Am Montagaben­d verkündete er vor der Entlassung Trumps aus dem Krankenhau­s: „Wir sind vorsichtig optimistis­ch.“Dabei macht er, so aufgeräumt er zu wirken versucht, keine gute Figur. Beim breiten Publikum hat sich inzwischen der Eindruck verfestigt, als erzähle er nur die halbe Wahrheit. Als lasse er weg, was nicht ins optimistis­che Bild passt, das er im Auftrag seines Vorgesetze­n zeichnen soll.

Seit Mai 2018 leitet Conley (Foto: imago images) das Ärzteteam des Weißen Hauses, das sowohl den Staatschef als auch dessen Stellvertr­eter und beide Familien betreut. Als er zum ersten Mal auf dem weiten Platz vor dem Walter Reed Medical Center stand, um Journalist­en zu unterricht­en, wich er der Frage aus, ob Trump infolge niedriger Sauerstoff­werte im Blut mit Sauerstoff versorgt werden musste. Beim zweiten Mal, 24 Stunden später, beantworte­te er sie mit einem Ja. Erst seit Sonntag weiß die Öffentlich­keit, dass der Präsident bereits am Freitagvor­mittag zusätzlich­en Sauerstoff bekam – und zu dem Zeitpunkt hohes Fieber hatte. Während er zumindest in dem Punkt nachträgli­ch für Klarheit sorgte, gab

Conley der Gerüchtekü­che in einem anderen Fall nur neue Nahrung. Ob Trumps Lunge Schaden nahm? Dazu gebe es Erkenntnis­se, mit denen man gerechnet habe, wiegelte er ab. Nichts, was Anlass zu großer klinischer Sorge gebe. Seither wird auf allen amerikanis­chen Nachrichte­nsendern gerätselt, was die kryptische­n Sätze wohl zu bedeuten haben. Klar scheint, dass der Mediziner in einer Zwickmühle steckt. Einerseits soll er wahrheitsg­emäß berichten, anderersei­ts darf er offenbar nur sagen, was sein Patient für richtig hält. Ein Patient, der das Recht hat, ihm Befehle zu geben: Trump ist Commanderi­n-Chief, Conley Offizier der Kriegsmari­ne. Ein Patient, der offenbar unter allen Umständen den Eindruck vermeiden will, er könnte physisch zu schwach sein, um die letzten vier Wochen des Wahlkampfs durchzuste­hen.

Als Trump sich am frühen Sonntagabe­nd in einen Geländewag­en setzte, um seinen am Tor des Klinikarea­ls versammelt­en Fans zuzuwinken, hieß es hinterher in lakonische­r Kürze, seine Ärzte hätten grünes Licht für den Ausflug gegeben. Ein Chirurg namens James Phillips, selbst im WalterReed-Spital beschäftig­t, sprach dagegen von hellem Wahnsinn. Das Risiko für die Leibwächte­r, die im selben Fahrzeug wie Trump saßen, sei unvertretb­ar hoch gewesen, wetterte Phillips in einem Tweet. „Die Leute könnten krank werden. Sie könnten sterben. Für politische­s Theater.“Dass er beschwicht­igt, hat Conley im Grunde selbst eingeräumt. Er habe nichts verbreiten wollen, was den positiven Verlauf der Krankheit womöglich „in eine andere Richtung gelenkt“hätte, begründete er das Weglassen medizinisc­her Fakten. „Und dabei kam heraus, dass wir versuchen würden, etwas zu verbergen, was nicht notwendige­rweise der Fall ist.“Wohlwollen­de halten ihm zugute, dass er nur dem hippokrati­schen Eid folgt, der ärztlichen Schweigepf­licht. Kritiker entgegnen, dass es nicht angeht, eine selektive Skizze zu entwerfen, wenn es sich bei dem Kranken um den Mann im noch immer wichtigste­n Staatsamt der Welt handelt.

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