Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Massive Kritik an Abgasversuchen mit Affen und Menschen
Kanzlerin Merkel und Tierschützer verurteilen Tests – Ethikprofessor zweifelt
BERLIN/RAVENSBURG - Affen mussten Dieselabgase einatmen, dazu der Verdacht auf Versuche an Menschen: Mit umstrittenen Schadstofftests haben sich Deutschlands Autobauer schlagartig wieder mitten in den Abgasskandal katapultiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Diesel-Schadstoffversuche an Affen scharf – und forderte Aufklärung. Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sprach von einem gestörten Vertrauen in die Autoindustrie.
„Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Zuvor war sogar der Verdacht aufgekommen, dass es im Abgasskandal Schadstofftests auch mit Menschen gegeben haben soll. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch teilte mit: „Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken.“
Der Verdacht, dass mit Menschen experimentiert worden sei, war aus einem Report des Lobby-Instituts EUGT hervorgegangen, über den die „Stuttgarter Zeitung“berichtet hatte. Diesem Vorwurf trat der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus von der Universität Aachen entgegen. Die Studie befasse sich nicht mit der Dieselbelastung von Menschen. In der Studie aus dem Jahr 2013, lange vor dem Bekanntwerden des VW-Dieselskandals im September 2015, gehe es um den Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz.
Dennoch gab es massive Kritik. Der Heidelberger Ethikprofessor Klaus Tanner sagte am Montag zur „Schwäbischen Zeitung“: „Versuche mit Menschen müssen genau abgewogen werden.“Er äußerte Zweifel am Sinn der Aachener Experimente. „Solche Dinge tragen auf jeden Fall dazu bei, dass Vertrauen zerstört wird“, erklärte Tanner.
Tierschützer wurden in ihrer Kritik deutlicher. „Weder Mensch noch Tier dürfen für solche sinnlosen Versuche herhalten. Es ist unfassbar, dass Lebewesen missbraucht werden, um diese Umweltsünder auf vier Rädern, die Mensch und Umwelt massiv schädigen, auf die Straße zu bringen“, sagte Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes. Für die Tierschutzorganisation „Ärzte gegen Tierversuche“sind die Versuche mit Affen kein Einzelfall. „Toxikologische Versuche an Affen sind leider gängig, auch in Deutschland“, sagte Vereins-Vize Corina Gericke. „Danach werden sie meistens getötet, um die Organe zu untersuchen.“Dabei könnten keine Rückschlüsse für den Menschen gezogen werden.
BERLIN - Das Bekanntwerden von Abgas-Versuchen an Menschen und Affen hat parteiübergreifend eine Welle der Empörung ausgelöst. Das wissenschaftliche Institut in Aachen, an dem Stickstoffdioxide an Menschen untersucht wurden, betonte, die Versuche hätten keinen Bezug zum Dieselskandal gehabt. Grenzwerte für Menschen seien dabei nicht überschritten worden.
Nachdem Ende der vergangenen Woche zunächst Berichte über Versuche an Affen in den USA mit den Abgasen eines Volkswagens für Wirbel gesorgt hatten, wurde am Sonntag bekannt, dass die von Autokonzernen gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) auch Tests mit 25 Probanden förderte.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) reagierte „entsetzt“auf die Enthüllungen. Was bislang bekannt sei, sei „abscheulich“, erklärte sie. Die Hintergründe gehörten jetzt schnell auf den Tisch. Neben der Autoindustrie müsse auch die Wissenschaft ihre Verantwortung dafür aufklären.
Stickoxide seien gesundheitsschädlich für den Menschen, erklärte Hendricks. Dies sei hinreichend belegt. „Dass eine ganze Branche anscheinend versucht hat, sich mit dreisten und unseriösen Methoden wissenschaftlicher Fakten zu entledigen, macht das Ganze noch ungeheuerlicher.“
Eine Sprecherin von Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sagte, es gebe „keinerlei Verständnis für solche Tests zum Schaden von Tieren und Menschen, die nicht der Wissenschaft dienen, sondern ausschließlich PR-Zwecken“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der auch im Aufsichtsrat von Volkswagen sitzt, nannte die Tests „absurd“und „widerlich“. Es gebe „keine akzeptable Begründung“, derartige Versuche zu MarketingZwecken abzuhalten. „Was da berichtet wird, ist einfach schockierend. Wer solche Tests in Auftrag gibt, scheint jeglichen Maßstab verloren zu haben“, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), am Montag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Einige scheinen aus dem Dieselskandal wenig gelernt zu haben“, sagte er. Menschen und Tiere für die eigenen Zwecke zu missbrauchen, sei „einfach entsetzlich“.
„Die Skrupellosigkeit der Automanager in Sachen Abgas kennt offenbar überhaupt keine Grenzen“, kritisierte Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht. „Auf Experimente mit Tieren und sogar Menschen zurückzugreifen, um fragwürdigste Abgasuntersuchungen vorzunehmen, zeigt ein Maß an moralischer Verkommenheit, das seinesgleichen sucht“, warf sie den Herstellern vor. Auch von der baden-württembergischen Landesregierung gab es scharfe Kritik. „Solche Versuche lehnen wir entschieden ab. Sie widersprechen jedem ethischen Handeln. Das geht gar nicht“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der „Stuttgarter Zeitung“. Landes-Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) bezeichnete die Vorgänge als „widerwärtig“. Es sei davon auszugehen, „dass solche Versuchsanordnungen mit Tieren in Deutschland nicht genehmigungsfähig wären“, sagte Bauer.
Von Ethikkommission genehmigt
Die EUGT wurde 2007 als unabhängiges Forschungsinstitut von BMW, Daimler, Volkswagen und Bosch gegründet und Mitte 2017 aufgelöst. BMW erklärte am Montag, der bayerische Autobauer habe an den genannten Studien „nicht mitgewirkt“und umgehend mit einer internen Untersuchung begonnen, um die Arbeit der EUGT aufzuklären. Volkswagen bekräftigte, der Konzern sei sich seiner „sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst“. Daimler teilte mit, der Konzern sei „entsetzt“und verurteile die Tests aufs Schärfste.
Die Unikinik der RWTH Aachen erklärte, die Stickoxid-Belastungen, denen die Versuchspersonen ausgesetzt gewesen seien, hätten „deutlich unter den Konzentrationen, wie sie an vielen Arbeitsplätzen in Deutschland auftreten“gelegen. Die Studie sei bereits lange vor dem Dieselskandal in Auftrag gegeben worden – Hintergrund sei die Absenkung der zulässigen Höchstkonzentration von NO2 am Arbeitsplatz gewesen. Es hätten Erkenntnisse zur Wirkung von Stickoxid auf Menschen gefehlt, weshalb das Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Uniklinik 2012 einen Forschungsauftrag der EUGT angenommen habe. Die Ethikkommission der Uniklinik habe den Auftrag geprüft und genehmigt.