Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
DFB kontert Scholls harsche Kritik
Nach der Schelte des Ex-Nationalspielers für Löws Taktik ereifert sich Teammanager Bierhoff: „Das war unmöglich“
(dpa) - Eigentlich könnten alle zufrieden sein. Doch am Tag nach dem Triumph ist Bundestrainer Joachim Löw verärgert – nicht über sein Team, sondern über die harsche Kritik von Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl in der ARD. „Eigentlich hat er den gesamten Trainerstab damit irgendwie angegriffen“, erklärte Oliver Bierhoff am Sonntag nach dem Erfolg im EM-Viertelfinale gegen Italien. Und hörbar verärgert fügte der DFB-Teammanager hinzu: „Das war unmöglich, wie Mehmet das dargestellt hat.“
TV-Experte Scholl hatte zuvor in der Liveübertragung im Ersten die Umstellung von Löw auf eine Dreierkette in der Abwehr und vor allem DFB-Chefscout Urs Siegenthaler persönlich scharf angegriffen. „Der Herr Siegenthaler möge bitte seinen Job machen, morgens liegen bleiben, die anderen zum Training gehen lassen und nicht mit irgendwelchen Ideen …“, hatte Scholl nach dem Elfmeterkrimi gesagt.
„Was uns unglaublich ärgert, und das kann nicht sein: Mehmet kennt unsere Abläufe nicht, er weiß nicht, wie Entscheidungen hier getroffen werden“, betonte Bierhoff. Der ehemalige Bayern-Profi Scholl sah den Schweizer Löw-Helfer Siegenthaler offenbar als Auslöser von Löws Taktik gegen die Azzurri. „Ich weiß nicht, ob es nur Siegenthaler ist, aber Jogi Löw wacht nicht nachts auf und sagt: ,Jetzt hab ich’s: Dreierkette, Dreierkette, Dreierkette.‘ Das hätte man heute auch anders lösen können“, meinte Scholl.
Löw erschien die Dreierkette gegen Italien hingegen bereits seit Tagen als plausible Lösung. „Es war dringend notwendig, auch die Mannschaft ein bisschen zu verändern“, sagte der DFB-Coach. „Für mich war das nach dem Spiel Italien gegen Spanien klar. Da war das mein erster Gedanke.“2008, 2010 und 2012 habe man sich gegen Spanien beziehungsweise Italien ebenfalls angepasst – und verloren, bemerkte jedoch Scholl. „2014 hat Löw der Mannschaft vertraut und ab dem Viertelfinale mit der gleichen Aufstellung gespielt. So gewinnt man Titel!“Dabei gehe es ihm nicht ums „Motzen“. Löw hatte in Bordeaux erstmals überhaupt bei einem Turnier auf Dreierkette umgestellt – und letztlich damit gewonnen.
Die Abkehr vom zuvor praktizierten 4-2-3-1-System begründete der Bundestrainer mit der Qualität der Italiener im Vergleich zu den vorherigen Gegnern. „Sie spielen mit zwei Mann auf den Seiten ganz hoch und mit zwei zentralen Stürmern. Vier gegen vier zu spielen, ist gegen sie gefährlich. Ihre Automatismen spielen sie super, aber sie sind leicht berechenbar. Deswegen mussten wir das Zentrum zumachen“, so Löw.
„Wer Jogi kennt, der weiß, er ist ein Taktikfuchs. Er hat klare Vorstellungen über das, was er machen will“, betonte Bierhoff mit Hinweis auf die Teamfähigkeit des Schwarzwälders: „Er bespricht sich mit seinen Fachleuten. Viele Experten machen hier sehr gute Arbeit.“
Der 45-jährige Scholl, der als Trainer der zweiten Mannschaft des FC Bayern München wenig Erfolg hatte, sorgte als ARD-Experte schon mehrfach mit heftiger Kritik für Aufsehen. So ging er 2012 bei der EM Mario Gomez an („Ich hatte zwischendrin Angst, dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss.“) und entschuldigte sich später dafür.
„Das Glück war auf der deutschen Seite. Deutschland verändert die Geschichte. Löw übernahm Contes Spielsystem.“
„Der Fußball schreibt unerklärliche Geschichten, so wie im wahren Leben. Eine von ihnen ist die Rivalität zwischen Deutschland und Italien.“
„Deutschland beendet seinen italienischen Fluch. Die deutsche Nationalmannschaft verschließt das Grab ihrer Vergangenheit gegen Italien nach einem quälenden Elfmeterschießen. Deutschland schreibt Geschichte in Bordeaux.“
„Deutschland braucht drei Stunden, um Italien zu schlagen. Beide Teams neutralisierten sich mit den gleichen Waffen. Löw ließ auch italienisch spielen. Es war ein Kampf der Titanen. Das Spiel verlangte den Spielern mehr ab, als sie hatten.“
„Es war ein Duell der zwei besten Torhüter der Welt. Und ein Duell zweier hervorragender Trainer, die ihr Fußballverständnis bis ins Detail vervollkommnet haben – des charismatischen und ruhigen Löw und des überemotionalen, explosiven Conte.“(SID)