Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Auf nach Paris
Mit einem epischen Elfmeterdrama lässt Bundestrainer Löw den Italien-Fluch hinter sich
Deutschlands Elfmeter-Helden bekommen im Quartier in Évian am Genfer See womöglich bald prominenten Besuch: SprintSuperstar (Foto: dpa) will sich nach seiner Verletzung von seinem langjährigen Vertrauensarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt behandeln lassen. Das berichtet die jamaikanische Zeitung „The Gleaner“am Sonntag. Der 29-jährige Weltrekordler wolle heute nach Frankreich fliegen und sich dort mit dem Teamarzt der DFB-Auswahl treffen. Der renommierte Arzt soll den 29-Jährigen für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro (5. bis 21. August) fit machen. Der sechsmalige Olympiasieger hatte am Wochenende bei den jamaikanischen Trials aufgrund einer Verletzung die Direktqualifikation für Rio verpasst. Wegen einer leichten Zerrung im linken Oberschenkel verzichtete Bolt auf weitere Starts. Bolt vertraut Müller-Wohlfahrt seit Jahren. Er kommt regelmäßig zu Routine-Checks nach München. Der Orthopäde behandelte den Jamaikaner schon vor Olympia 2012 und der WM 2015. (dpa/sz)
Bolt Usain
Der HalbfinalEinzug der DFBMannschaft bedeutet für den deutschen Schiedsrichter
Felix Brych
(Foto: dpa) das EM-Aus. Zwar ist in keiner Regel zu finden, dass der Münchner nicht das andere Halbfinale oder ein Endspiel ohne deutsche Beteiligung leiten darf, die UEFA will den Verdacht von Interessenskonflikten aber gar nicht erst aufkommen lassen. „Wir versuchen so eine Konstellation zu vermeiden“, sagte UEFA-Schiedsrichterboss Pierluigi Collina. Für Brych war das Viertelfinale zwischen Portugal und Polen somit die Abschiedsvorstellung. Ein Lob für seine Leistungen gab es von Lutz Michael Fröhlich, dem Vize-Chef der DFB-Schiedsrichterkommission: „Er hat in seinen drei Spielen bei der EM einen prima Job gemacht und den deutschen Fußball auch schiedsrichterfachlich bestens repräsentiert.“(SID/dpa)
- Kurz gejubelt – und weg war er. Verschwunden. Dass Bundestrainer Joachim Löw nach diesem nervenzerfetzenden, epischen Elfmeterdrama im EM-Viertelfinale gegen Italien zunächst in die Katakomben des Stade de Bordeaux flüchtete, beweist vor allem, wie sehr ihn das Italien-Trauma über all die Jahre belastet hatte. Nicht die Tatsache, dass es nun einer deutschen Nationalelf im neunten Versuch gelungen ist, die Italiener bei einem großen Turnier zu bezwingen: Nein, es ging um Löw selbst. Und um das Aus im EM-Halbfinale von Warschau 2012 gegen die Italiener, als sich der Bundestrainer mit der Aufstellung verzockt hatte. Jenes 1:2 habe „Narben hinterlassen“, merkte DFB-Präsident Reinhard Grindel kürzlich an. Das spüre man jeden Moment.
Trotz des Triumphs bei der WM vor zwei Jahren in Brasilien schleppte Löw diesen Makel mit sich herum: vercoacht. Es war sein Benzin, sein Adrenalin – kurz sein dauernder Antrieb vor diesem 6:5 in einem endlos wirkenden Elfmeterschießen.
Also dachte sich Löw kurz vor Mitternacht in Bordeaux: Nichts wie weg, mal ein paar Momente für sich sein. Alleine auskosten, wenn man es allen (sich selbst natürlich auch!) bewiesen hat. „Ich wollte ein bisschen Ruhe“, erklärte Löw seine vorübergehende Flucht. „Es war 120 Minuten lang hektisch genug.“Wer den 56Jährigen in den Minuten nach dem Halbfinaleinzug beobachtete und auf der Pressekonferenz total entspannt sprechen hörte, wurde den Eindruck nicht los: Dieses Ding gegen Italien, dieser Beweistermin, diese ultimative Prüfung hat für den Schwarzwälder eine noch größere Bedeutung als der WM-Pokal, den er vor zwei Jahren in Brasilien gewonnen hat.
Löw hätte es sich leicht machen können, dieselbe Aufstellung vom 3:0 gegen die Slowakei wählen können. Doch der Bundestrainer ging einen Schritt weiter, beinahe zu nahe an den Abgrund, an das Ausscheiden, heran. Wie 2012 passte er sich mit seinem System und seiner Aufstellung dem Gegner an. Er wählte eine Dreier- statt der zuvor erfolgreichen Viererkette in der Abwehr und opferte mit Julian Draxler den besten Mann des Achtelfinals gegen die Slowakei, brachte für ihn Benedikt Höwedes als dritten Innenverteidiger – woran sich eine hitzige Taktik-Debatte entzündete, angestoßen von Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl, dem derzeitigen TV-Experten bei der ARD (siehe unten).
Löw wählte den Weg durchs Feuer – und reüssierte. Und wenn nicht? Man hatte Löw angeklagt und angezählt, manche Experten und Kommentatoren hätten gefragt, ob er denn nicht aus früheren Fehlern lernen könne und ob er überhaupt noch der richtige Mann sei mit Blick auf die Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Weil ihm dies bewusst war, fiel seine Erleichterung so groß aus. Was Oliver Bierhoff aussprach, war vor allem auch auf Löw gemünzt: „Wir haben gezeigt, dass wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen und Geduld haben.“Der Teammanager sagte weiter: „Die Spieler sind gereift und haben den WM-Titel als Sicherheit. Das merkt man auch.“Für Löw, der mit dem Weiterkommen gegen Italien seinen elften Erfolg im 14. K.o.Spiel bei einem Turnier feiern konnte und bei zwei WM- und drei EMEndrunden immer mindestens das Halbfinale erreicht hat, heißt es nun: Auf nach Paris! „Wenn man im Halbfinale steht, heißt das Ziel natürlich Finale, jetzt wollen wir natürlich auch mehr“, so Löw entschieden.
Nächste Etappe der Tour de France des DFB-Trosses: Marseille. Am Donnerstag geht es im Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich, der beim eindrucksvollen 5:2 (4:0) über Island seine Stärke unter Beweis stellte.
Neuer - Höwedes, Boateng, Hummels - Kimmich, Khedira (16. Schweinsteiger), Hector - Müller, Kroos, Özil - Gomez (72. Draxler). – Buffon - Barzagli, Bonucci, Chiellini (120. Zaza) - Sturaro, Parolo, Giaccherini - Florenzi (86. Darmian), De Sciglio - Pellè, Eder (108. Insigne). – Kassai (Ungarn). – 1:0 Özil (65.), 1:1 Bonucci (78., Handelfmeter). –
0:1 Insigne, 1:1 Kroos, Zaza verschießt, Buffon hält gegen Müller, 1:2 Barzagli, Özil verschießt, Pellè verschießt, 2:2 Draxler, Neuer hält gegen Bonucci, Schweinsteiger verschießt, 2:3 Giaccherini, 3:3 Hummels, 3:4 Parolo, 4:4 Kimmich, 4:5 De Sciglio, 5:5 Boateng, Neuer hält gegen Darmian, 6:5 Hector. –
38 764.
„Deutschland schreibt die Geschichte neu. Nach einem verbissenen Match wirft Deutschland erstmals Italien aus einem Turnier raus. Dazu bedurfte es allerdings einer unendlichen Serie von Elfmetern, in denen es hü und hott zuging. Am Ende aber stehen sie im Halbfinale, und der Gegner am Donnerstag braucht alle Klasse dieser Welt, um sie vom Weg abzubringen.“
„Deutschland zerbricht den Fluch. Ein unglaubliches Elfmeterschießen. Jetzt ist die Mannschaft Favorit auf den vierten Titel als Europameister.“