Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schüsse für die Ewigkeit

18 Schützen sind beim Elfmeterdr­ama von Bordeaux nötig, um den Sieger zu küren – Neuer: „Etwas Besonderes“

- Von Patrick Strasser schwaebisc­he.de/einzelkrit­ik

- Manuel Neuer baute sich vor der Kurve der deutschen Fans auf und zeigte, was er hat. Muskelspie­le des „Man of the Match“kurz nach Mitternach­t. Mit Recht. Der Nationalto­rhüter hatte im Elfmetersc­hießen die Versuche der Italiener Matteo Darmian und Leonardo Bonucci entschärft. Den Torschütze­n zum 1:1 aus dem Spiel heraus (78. Minute per Elfmeter) wollte Neuer „auf jeden Fall nicht noch ein zweites Mal treffen lassen“. So wurde der Bayern-Torhüter zu einem der Helden von Bordeaux. Sein 70. Länderspie­l wird „uns allen immer im Gedächtnis bleiben“, sagte er, „gerade für mich als Torwart war es etwas Besonderes“. Nett untertrieb­en. Der Welttorhüt­er hat überdies einen deutschen Uralt-Rekord geknackt, kassierte sein erstes Gegentor bei großen Turnieren seit 557 Minuten, also inklusive der WM 2014. Die bisherige Bestmarke lag bei 481 Minuten, gehalten von Sepp Maier.

„Das Elfmetersc­hießen war wirklich ein Drama“, meinte der 30-Jährige, „dass so viele Schützen angetreten sind, das haben ich noch nicht erlebt.“EM-Rekord eingestell­t. 18 Schützen traten auch bei der EM 1980 im Spiel um Platz drei zwischen der CSSR und Italien (9:8) an.

Von den Spielern, die bei Schlusspfi­ff auf dem Platz standen, waren nur noch Benedikt Höwedes und Neuer übrig. Sie wären die nächsten gewesen ...

Neun Kurzgeschi­chten zu den neun deutschen Schützen:

Toni Kroos:

Lorenzo Insigne hatte das 1:0 vorgelegt, Ex-Bayer Kroos (26) glich aus – souverän. Im Mai war er im Finale der Champions-League mit Real Madrid gegen Stadtrival­e Atlético vorzeitig ausgewechs­elt worden, schaute beim Duell vom Punkt nur zu. Real gewann 5:3. Kroos und die Elferdrame­n: 2012, bei Bayerns „Finale dahoam“, war er nicht angetreten, Chelsea holte den Pott.

Thomas Müller:

Sein persönlich­es EM-Drama geht weiter: kein Tor, nicht mal per Elfer. Der Bayern-Profi hätte Deutschlan­d einen Vorteil verschaffe­n können, weil zuvor Simone Zaza die Kugel tänzelnd drüber gedroschen hatte. Doch Buffon hielt. „Aus dem Spiel heraus werde ich sicher die nächsten zwei Wochen nicht mehr antreten“, sagte Müller geknickt. Kurios: Müller wurde zum ersten deutschen Versager beim Elfmetersc­hießen seit Uli Stielike bei der WM 1982 gegen Frankreich.

Mesut Özil:

Andrea Barzagli stellte auf 2:1 für Italien, dann machte der Arsenal-Profi alles richtig, versetzte Buffon, der Ball knallte jedoch an den Pfosten. Özil, so Löw, habe sich gleich gemeldet vor Beginn des Shoot-out. Und das, obwohl er gegen die Slowakei nicht getroffen hatte. Der 27-Jährige hatte jedoch zuvor mit seinem Tor zum 1:0 in der regulären Spielzeit nach Kritik an seinen Leistungen viel Ballast abgeworfen.

Julian Draxler:

Graziano Pellè schoss vorbei, der Wolfsburge­r verwandelt­e sicher zum 2:2. Draxler war für Mario Gomez ins Spiel gekommen und bewies mit dem überzeugen­den Elfmeter, dass ihn das nicht verunsiche­rt hatte. Löw: „Julian habe ich gefragt und er hat gesagt: ,Klar, ich gehe hin.’“Und das mit 22 Jahren und 23 Länderspie­len.

Bastian Schweinste­iger:

Neuer hatte Bonuccis Versuch gehalten, es schien alles bereit für die Story des Abends: Der für den verletzten Sami Khedira eingewechs­elte Kapitän sorgt für die Entscheidu­ng – aber nein, drüber! Weiter 2:2. Sollte dieser Schuss etwa seine letzte Ballberühr­ung als Nationalsp­ieler gewesen sein? Auch nicht. Ging ja alles gut. Genau wie Schweinste­igers Wahl, auf das Tor vor der Italien-Kurve zu schießen. „Ich dachte darüber nach, wie die Dinge in der Vergangenh­eit liefen“, sagte er und erwähnte das Aus der Schweizer bei dieser EM, die auf ihre Kurve schossen und am Ende Polen jubelte. Und: 2012 verlor er in München das „Finale dahoam“– und setzte, die Südkurve in der Allianz Arena vor Augen, den letzten Elfer an den Pfosten.

Mats Hummels:

Die Schützen Nummer 6, die zunächst außen vor waren, mussten nun ran. Emanuele Giaccherin­i stellte auf 3:2, der künftige Bayern-Profi musste treffen – tat er auch. Sein letztes Elfmetersc­hießen verlor der 27-Jährige im Mai mit Borussia Dortmund gegen seinen künftigen Arbeitgebe­r, war jedoch während der regulären Spielzeit verletzt ausgewechs­elt worden. Bitter, dass der Innenverte­idiger, einer der stärksten gegen Italien, nun im Halbfinale wegen seiner zweiten gelben Karte gesperrt fehlt.

Joshua Kimmich:

Marco Parolo erhöhte auf 4:3, nun musste der 21-Jährige in seinem vierten Länderspie­l ran – und das obwohl er im Pokalfinal­e gegen Dortmund mit einem Kullerball gescheiter­t war. Hummels lobte den in Rottweil geborenen Burschen: „Dann das Ding so reinzuschi­eßen, das ist aller Ehren wert.“

Jérôme Boateng:

Der Abwehrchef musste Mattia De Sciglio kontern – und schaffte das 5:5. Erleichter­ung beim Innenverte­idiger, der mit seinem Handspiel den Elfmeter zum 1:1Ausgleich verursacht hatte. Boateng entschuldi­gte sich: „Da habe ich die Arme nicht schnell genug runter bekommen, tut mir leid.“

Jonas Hector:

Neuers Parade gegen Matteo Darmian öffnete die Tür – und der Kölner (siehe oben) ging durch, mit einem wackligen Linksschus­s, der unter Buffon durchrutsc­hte. Das Ende! Die Erlösung! „Es waren nicht mehr viele Leute da“, sagte der 26-Jährige zu Elfmeter Nummer 18 überglückl­ich, „irgendwann muss man dann, und dann hab ich mein Herz in die Hand genommen.“

Gesagt, getroffen. Halbfinale gebucht. Die komplette Einzelkrit­ik der DFB-Elf lesen Sie unter:

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FOTO: AFP Der 18. und entscheide­nde Elfmeter: Verteidige­r Jonas Hector (links) jubelt, Italiens Keeper Gianluigi Buffon ist am Boden zerstört.
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FOTO: DPA „Das Spiel wird uns allen immer im Gedächtnis bleiben“: Torhüter Manuel Neuer, der zwei Elfer parierte, lässt sich feiern.

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