Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ratlos, ratloser, VfB
Nach dem 1:2 in Hoffenheim befindet sich Stuttgart weiter im freien Fall – und Stevens weiß nicht mehr weiter
SINSHEIM - Rechts sprang die Kaffeemaschine an. Huub Stevens drehte den Kopf, die Augen verengten sich, sein Gesicht glitt endgültig ins Rote. Kurz schien Stevens zu überlegen, ob er dem Fotografen, der sich da während der Pressekonferenz in aller Ruhe einen Kaffee zog, auch noch eine mitgeben sollte.
Den Nachmittag in Hoffenheim hatte Stevens sowieso schon gefressen, er war eh in Anblafflaune. 1:2 hatte der VfB das Spiel bei der TSG noch verloren, in der dritten Minute der Nachspielzeit hatte Sebastian Rudy einen rasanten Konter eiskalt verwandelt und den VfB mit dem Tor in letzter Sekunde nicht nur einen schon sicher geglaubten Punkt entrissen, sondern den Stuttgartern offenbar jegliches Fünkelchen Zuversicht genommen.
Den Lehrmeister besiegt
Auf dem Podium drehte Stevens seinen Kopf langsam wieder zurück, blickte auf seine Hände, entblößte seine Zähne – und lachte. Es war nichts Fröhliches in diesem Lachen, es hätte genauso gut Weinen sein können. Bei extremen Stress oder großer Enttäuschung sind Gefühlsregungen oft ebenso wenig logisch wie kontrollierbar. Immerhin schaffte Stevens es, nicht laut loszuprusten. Markus Gisdol, der gerade davon sprach, dass sich seine Mannschaft vorgenommen hatte, einen „Kampfanzug“anzuziehen gegen den Tabellenletzten, bekam vom Gefühlsausbruch seines einstigen Lehrmeisters – der TSG-Coach hatte Stevens während dessen zweiter Schalker Periode als Co-Trainer zugearbeitet – gar nichts mit.
Als Gisdol mit seiner Analyse des „glücklichen, aber nicht unvedienten“Sieges fertig war, blickte Stevens wieder so missmutig und unlustig vor sich hin wie vor seinem kurzen Lachanfall und bügelte jede Frage ab. Als ein Reporter meinte, dass er Verständnis für die schlechte Stimmung beim VfB habe, kam von Stevens ein ironisches „Oh, vielen Dank!“Auf die Frage, wie wichtig nun die mentale Aufbauarbeit sei, blaffte er: „Das ist unheimlich wichtig, das wissen wir. Haben Sie vielleicht noch einen Rat für mich?“
Bitterster Zynismus, mit einem wahren Kern allerdings. Unmittelbar nach dem Spiel war Stevens von einem Sky-Reporter gefragt worden, ob er nun ratlos sei. „Ja, kann man sagen, ja“, hatte Stevens geantwortet, da noch ohne eine Spur von Ironie. Und weiter: „Unglaublich, was hier passiert ist. Das kommt hart. Das Verarbeiten wird nicht einfach. Wie, weiß ich im Moment auch nicht.“Ratlos, ratloser, VfB. Noch vor einer Woche, nach dem ebenso unglücklichen, aber nicht ganz so desillusionierenden 0:2 gegen den FC Bayern, hatte Stevens den Berufsoptimist gegeben und sich über die schlechte Stimmung im Umfeld des VfB mokiert. „Soll ich jammern? Nein, ich muss Vertrauen ausstrahlen“, hatte er da gesagt. Ebenfalls nur eine Woche alt ist die Steven’sche Weisheit, wonach ihm die aktuelle Tabellensituation egal sei: „Wichtig ist nur, wo wir nach 34 Spielen stehen.“
Nach dem Sekundentot in Hoffenheim, der ersten Auswärtsniederlage unter Stevens übrigens, ist der VfB endgültig der Abstiegskandidat Nummer eins. Ob Stevens, der wieder die „sehr gute Einstellung“der Spieler lobte, seinem Arbeitgeber und sich selbst durch seine – verständliche – ohnmächtige Übellaunigkeit am Samstag einen Gefallen getan hat, sei dahingestellt. Doch allzu oft sollte ein Trainer sicher nicht zugeben, auch nicht mehr weiter zu wissen. Sonst wird die Kritik im Umfeld sicher noch beißender und schärfer werden als jene, die Maurizio Gaudino am Sonntag im „Doppelpass“bei Sport 1 geäußert hat. „Einen Trainer nach dieser kurzen Zeit wieder zurückzuholen, war nicht der richtige Schritt. Die Mannschaft braucht in dieser Situation einen Weckruf“, sagte der VfB-Meisterspieler von 1992. Schon in der letzten Saison hätte der VfB nicht die Klasse gehalten, weil man unter Stevens so gut gespielt hätte, sondern „weil drei Mannschaften noch schlechter waren.“
Klar ist: Die Idee der VfB-Bosse, durch die Installierung von Sportchef Robin Dutt am Dreikönigstag neue Reizpunkte zu setzen, verpuffte ebenso wie die Hoffnung, sich durch die Verpflichtung von Afrika-CupSieger Serey Die auch so etwas wie ein Sieger-Gen eingekauft zu haben.
Wofür freilich beide nichts können. Dutt steht nicht auf dem Platz und Die kam erst am Donnerstag in Stuttgart an und durfte in Hoffenheim erst in der 87. Minute aufs Feld und führte sich mit einer Handvoll Ballkontakten und zwei Fouls ein ins VfB-Spiel. Am fatalen Gegentor in der Nachspielzeit war Die nicht beteiligt. Das mussten Verteidiger Ti- mo Baumgartl und Mittelfeldspieler Oriol Romeu auf ihre Kappen nehmen: Baumgartl, weil er durch einen unkonzentrierten und zu kurzen Pass im Mittelfeld den Konter erst ermöglichte, Romeu, weil er zwar energisch, aber ohne den Blick fürs Wesentliche in den Zweikampf mit den heranstürmenden Rudy ging. Dass in Rudy auch noch ein ExVfBler den entscheidenden Treffer erzielte, war eine weitere Pointe.
Noch weniger als das war angesichts der niederschmetternden Niederlage dann noch die Erkenntnis, dass Stuttgart wenigstens nach 448 Minuten seine Torlosserie losgeworden ist: Gotoku Sakai (39.) hatte durch ein kurioses Ping-Pong-Tor, bei dem er erst ein halbes Luftloch schlug und dann Hoffenheims Emir Bicakcic anschoss, der den Ball unhaltbar abfälschte, noch in der ersten Halbzeit die Hoffenheimer Führung durch Roberto Firmino egalisiert.