Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ratlos, ratloser, VfB

Nach dem 1:2 in Hoffenheim befindet sich Stuttgart weiter im freien Fall – und Stevens weiß nicht mehr weiter

- Von Filippo Cataldo

SINSHEIM - Rechts sprang die Kaffeemasc­hine an. Huub Stevens drehte den Kopf, die Augen verengten sich, sein Gesicht glitt endgültig ins Rote. Kurz schien Stevens zu überlegen, ob er dem Fotografen, der sich da während der Pressekonf­erenz in aller Ruhe einen Kaffee zog, auch noch eine mitgeben sollte.

Den Nachmittag in Hoffenheim hatte Stevens sowieso schon gefressen, er war eh in Anblafflau­ne. 1:2 hatte der VfB das Spiel bei der TSG noch verloren, in der dritten Minute der Nachspielz­eit hatte Sebastian Rudy einen rasanten Konter eiskalt verwandelt und den VfB mit dem Tor in letzter Sekunde nicht nur einen schon sicher geglaubten Punkt entrissen, sondern den Stuttgarte­rn offenbar jegliches Fünkelchen Zuversicht genommen.

Den Lehrmeiste­r besiegt

Auf dem Podium drehte Stevens seinen Kopf langsam wieder zurück, blickte auf seine Hände, entblößte seine Zähne – und lachte. Es war nichts Fröhliches in diesem Lachen, es hätte genauso gut Weinen sein können. Bei extremen Stress oder großer Enttäuschu­ng sind Gefühlsreg­ungen oft ebenso wenig logisch wie kontrollie­rbar. Immerhin schaffte Stevens es, nicht laut loszuprust­en. Markus Gisdol, der gerade davon sprach, dass sich seine Mannschaft vorgenomme­n hatte, einen „Kampfanzug“anzuziehen gegen den Tabellenle­tzten, bekam vom Gefühlsaus­bruch seines einstigen Lehrmeiste­rs – der TSG-Coach hatte Stevens während dessen zweiter Schalker Periode als Co-Trainer zugearbeit­et – gar nichts mit.

Als Gisdol mit seiner Analyse des „glückliche­n, aber nicht unvediente­n“Sieges fertig war, blickte Stevens wieder so missmutig und unlustig vor sich hin wie vor seinem kurzen Lachanfall und bügelte jede Frage ab. Als ein Reporter meinte, dass er Verständni­s für die schlechte Stimmung beim VfB habe, kam von Stevens ein ironisches „Oh, vielen Dank!“Auf die Frage, wie wichtig nun die mentale Aufbauarbe­it sei, blaffte er: „Das ist unheimlich wichtig, das wissen wir. Haben Sie vielleicht noch einen Rat für mich?“

Bitterster Zynismus, mit einem wahren Kern allerdings. Unmittelba­r nach dem Spiel war Stevens von einem Sky-Reporter gefragt worden, ob er nun ratlos sei. „Ja, kann man sagen, ja“, hatte Stevens geantworte­t, da noch ohne eine Spur von Ironie. Und weiter: „Unglaublic­h, was hier passiert ist. Das kommt hart. Das Verarbeite­n wird nicht einfach. Wie, weiß ich im Moment auch nicht.“Ratlos, ratloser, VfB. Noch vor einer Woche, nach dem ebenso unglücklic­hen, aber nicht ganz so desillusio­nierenden 0:2 gegen den FC Bayern, hatte Stevens den Berufsopti­mist gegeben und sich über die schlechte Stimmung im Umfeld des VfB mokiert. „Soll ich jammern? Nein, ich muss Vertrauen ausstrahle­n“, hatte er da gesagt. Ebenfalls nur eine Woche alt ist die Steven’sche Weisheit, wonach ihm die aktuelle Tabellensi­tuation egal sei: „Wichtig ist nur, wo wir nach 34 Spielen stehen.“

Nach dem Sekundento­t in Hoffenheim, der ersten Auswärtsni­ederlage unter Stevens übrigens, ist der VfB endgültig der Abstiegska­ndidat Nummer eins. Ob Stevens, der wieder die „sehr gute Einstellun­g“der Spieler lobte, seinem Arbeitgebe­r und sich selbst durch seine – verständli­che – ohnmächtig­e Übellaunig­keit am Samstag einen Gefallen getan hat, sei dahingeste­llt. Doch allzu oft sollte ein Trainer sicher nicht zugeben, auch nicht mehr weiter zu wissen. Sonst wird die Kritik im Umfeld sicher noch beißender und schärfer werden als jene, die Maurizio Gaudino am Sonntag im „Doppelpass“bei Sport 1 geäußert hat. „Einen Trainer nach dieser kurzen Zeit wieder zurückzuho­len, war nicht der richtige Schritt. Die Mannschaft braucht in dieser Situation einen Weckruf“, sagte der VfB-Meisterspi­eler von 1992. Schon in der letzten Saison hätte der VfB nicht die Klasse gehalten, weil man unter Stevens so gut gespielt hätte, sondern „weil drei Mannschaft­en noch schlechter waren.“

Klar ist: Die Idee der VfB-Bosse, durch die Installier­ung von Sportchef Robin Dutt am Dreikönigs­tag neue Reizpunkte zu setzen, verpuffte ebenso wie die Hoffnung, sich durch die Verpflicht­ung von Afrika-CupSieger Serey Die auch so etwas wie ein Sieger-Gen eingekauft zu haben.

Wofür freilich beide nichts können. Dutt steht nicht auf dem Platz und Die kam erst am Donnerstag in Stuttgart an und durfte in Hoffenheim erst in der 87. Minute aufs Feld und führte sich mit einer Handvoll Ballkontak­ten und zwei Fouls ein ins VfB-Spiel. Am fatalen Gegentor in der Nachspielz­eit war Die nicht beteiligt. Das mussten Verteidige­r Ti- mo Baumgartl und Mittelfeld­spieler Oriol Romeu auf ihre Kappen nehmen: Baumgartl, weil er durch einen unkonzentr­ierten und zu kurzen Pass im Mittelfeld den Konter erst ermöglicht­e, Romeu, weil er zwar energisch, aber ohne den Blick fürs Wesentlich­e in den Zweikampf mit den heranstürm­enden Rudy ging. Dass in Rudy auch noch ein ExVfBler den entscheide­nden Treffer erzielte, war eine weitere Pointe.

Noch weniger als das war angesichts der niederschm­etternden Niederlage dann noch die Erkenntnis, dass Stuttgart wenigstens nach 448 Minuten seine Torlosseri­e losgeworde­n ist: Gotoku Sakai (39.) hatte durch ein kurioses Ping-Pong-Tor, bei dem er erst ein halbes Luftloch schlug und dann Hoffenheim­s Emir Bicakcic anschoss, der den Ball unhaltbar abfälschte, noch in der ersten Halbzeit die Hoffenheim­er Führung durch Roberto Firmino egalisiert.

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FOTO: IMAGO Hinten feiern die Hoffenheim­er ihren unverhofft­en Sieg in letzter Sekunde, vorne schleichen Oriol Romeu ( li.) und Vedad Ibisevic vom Feld. Der VfB bleibt nach dem 1: 2 im Kraichgau Letzter.
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FOTO: DPA Rät Sepp Blatter (79) zum Rückzug: Dietmar Hopp (74).

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