Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Fasnet und Karneval sind keine Gegner mehr
Schwäbisch-alemannische Narren nehmen erstmals und einmalig am Kölner Rosenmontagszug teil
Und am Ende kommt der Prinz: „De Prinz kütt!“Der Höhepunkt des Rosenmontagszugs in Köln. Eskortiert von Tausenden Karnevalisten wie den Roten und Blauen Funken, Ehrengarden, Motivwagen, Tanzgruppen, Gesellschaften wie dem Reiterkorps Jan van Werth, Kapellen – dem vielzitierten „närrische Lindwurm“. In diesem Jahr nehmen ganz besondere Gäste am Umzug teil: eine Gruppe schwäbischalemannischer Narren, angeführt von der Stadtkapelle des HegauStädtchens Tiengen. Die Gruppe dürfte für Aufsehen sorgen: Hier die rheinischen Pappnasenträger, locker, laut und stets schunkelbereit, dort die gravitätischen Hästräger aus Südwest in ihren seltsamen Gewändern und das Gesicht bedeckenden Masken, merkwürdig springend und hüpfend.
Die meisten der oft mehreren Hunderttausend Besucherinnen und Besucher dürften nicht verstehen, was da an ihnen vorbeizieht. Wie also, um Gott Jokus’ Willen, kommt es zu diesem exotischen Gastspiel der schwäbisch-alemannischen Fastnacht in der Hochburg am Rhein? Es sind letztlich gemeinsame Interessen. Die großen Dachverbände – das Festkomitee Kölner Karneval sowie die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) mit Sitz in Bad Dürrheim – streben die Aufnahme ihrer Veranstaltungen ins Weltkulturerbe an, das die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (Unesco) verwaltet. Und in diesem Prozess hat man in Köln und im Südwesten erkannt, dass ein gemeinsames Vorgehen der Sache mehr nützt. Da fallen alte, sehr alte Barrieren.
Über Jahrzehnte gab es zwischen Karneval und Fasnet kaum Berührungspunkte. Die rheinischen Frohnaturen nahmen diese merkwürdigen Typen da unten im Südwesten bestenfalls nicht zur Kenntnis, jene wiederum schauten eher von oben herab auf diesen oberflächlichen Spaß – man selber vertrat ja Brauchtum und Tradition. Noch in den 1950er-Jahren drängte der Bund Deutscher Karneval die VSAN, Mitglied im BDK zu werden – was man zwischen Allgäu und Rhein empört zurückwies. Am Ende führte allein dieser von außen kommende Versuch einer bundesweiten Integration dazu, dass ehrwürdige Zünfte wie die aus Rottweil oder Villingen aus der VSAN austraten und seitdem eigene Wege gehen. Doch die Distanz zwischen Rheinland und Südwest blieb nicht nur geografisch erhalten: Man
wollte miteinander nichts zu tun haben.
Hat man aber eben doch. Diese Erkenntnis brauchte Jahrzehnte, um in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht zu reifen. Wesentlich dazu beigetragen haben Fastnachtsforscher wie Werner Mezger, Volkskundeprofessor der Universität Freiburg und Mitglied im Kulturellen Beirat der VSAN. Seinen Arbeiten zufolge haben Fastnacht und Karneval nicht nur – im Mittelalter und in der Bibel – dieselben Wurzeln; die SüdwestFastnacht geht sogar wesentlich auf den Kölner Karneval zurück.
Das hat mit dessen großem Jubiläum im laufenden Jahr zu tun. Vor 200 Jahren hat sich das Festkomitee Kölner Karneval gegründet; und auf lange Sicht hat dieser Neustart auch die Fastnacht weiter südlich neu belebt. Nach und nach lebte auch rheinaufwärts die Fastnacht wieder auf. 1924 schließlich schlossen sich zahlreiche Zünfte zur VSAN zusammen, die damit im kommenden Jahr ebenfalls einen runden Geburtstag feiern kann. Fastnacht und Karneval sind also Geschwister, die dieselben Eltern haben, nach den Flegeljahren aber ganz eigene Lebenswege gegangen sind. Wissenschaftlich drückt Werner
Mezger es so aus: „Rheinischer Karneval und Fastnacht sind Realisierungsweisen ein und desselben vielhundertjährigen kulturellen Erbes.“
Zögerlich setzt sich diese Erkenntnis durch. Und man redet sogar miteinander. Erste Kontakte sind geknüpft, erste Verwandtenbesuche absolviert. Im Bad Dürrheimer Fastnachtsmuseum Narrenschopf stehen seit einigen Jahren sogar die Kostüme eines Kölner Dreigestirns. Überbracht hat die Dauerleihgabe der
Präsident des Kölner Komitees persönlich, Christoph Kuckelkorn. Prinz, Bauer und Jungfrau Seit’ an Seit’ mit Hansel, Hexe und Strohbär – früher ein undenkbares Bild. Dass es sich geändert hat, liegt an Leuten wie Christoph Kuckelkorn und dem VSAN-Präsidenten Roland Wehrle, die alte Empfindlichkeiten und Vorurteile abgelegt haben und den Blick über die Tellerränder heben.
Bildhafter Ausdruck soll nun der Beitrag der schwäbisch-alemannischen Narren beim Rosenmontagszug in Köln sein – der bei den Zuschauerinnen und Zuschauern vermutlich als bizarr und fremd wahrgenommen werden dürfte, so anders sehen die „anderen“Narren in ihren sogenannten Häsern und mit ihren
Holzlarven aus. Der Zug am 20. Februar nimmt im Jubiläumsjahr einen anderen als den traditionellen Verlauf: Die Severinstorburg in Kölns Südwesten ist diesmal nicht Start, sondern das Ziel der Strecke. Gestartet wird – erstmals in 200 Jahren – im rechtsrheinischen Deutz, als auf der linksrheinischen Seite etwas abfällig so betrachteten „schäl Sick“, der „falschen Seite“jenseits der Hohenzollernbrücke.
In Deutz reihen sich die Närrinnen und Narren der VSAN als bunt gemischter Haufen ein, angeführt von der Stadtkapelle Tiengen, deren Dirigent Andreas Dangel zugleich Musikbeauftragter des Dachverbands ist und der die meisten Narrenmärsche kennen dürfte. Vorgabe für die Teilnahme ist übrigens, dass die jeweilige heimische Fasnet im Südwesten, die ja ohne die Kölnreisenden auskommen muss, nicht gefährdet ist, erklärt VSAN-Pressesprecher Volker Gegg.
In Köln reihen sich die Gäste im vorderen Bereich des Zugs ein – sag in Köln nie Umzug!, sondern nur Zug oder „Zoch“! –, erklärt Tanja Holthaus, Pressesprecherin des Festkomitees. Die Einladung hat Zugleiter Holger Kirsch ausgesprochen; ursprünglich war einmal von 400 Teilnehmern aus Südwest die Rede; jetzt sind es noch 50 bis 60, die mitspringen dürfen, samt Kapelle. In der Domstadt stellt das Festkomitee den Gästen ein Vorstandsmitglied zur Seite, das sie in Empfang nimmt und betreut.
Der Zug macht sich um 10 Uhr auf den etwa 7,5 Kilometer langen Weg; gegen 14.30 Uhr dürfte die Südwestabordnung am Ziel sein. Aus Kölner Perspektive hört sich das so an, dass man das Fremdeln deutlich heraushört: „Der Verein repräsentiert die schwäbisch-alemannische Fastnacht mit typischen Kostümen und Wurfmaterial (Kamelle).“Kamelle? Aus der Hand eines Weißnarren oder einer Hexe? Nun ja. Immerhin wird die Gruppe an den Tribünen entlang des Zoch-Wegs von den dort positionierten Moderatoren vorgestellt.
Wie werden die Zuschauer auf diese Gruppe reagieren? Staunend, begeistert, verständnislos? Zuggäste, die nicht aus dem Rheinland stammen, sind in Köln eigentlich ungern gesehen. Pressesprecherin Tanja Holthaus kann sich nicht an externe Teilnahmen erinnern – ob es sie in der 200-jährigen Geschichte des Kölner Karnevals je gegeben hat, lässt sich nicht feststellen. Narren mit Holzlarven, handbemalten Häsern und „Narro!“-Rufen geben also ihr einmaliges Debüt am Rhein – und haben das den Düsseldorfern voraus. Die würde man in Köln nie einladen.