Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Ich habe die Abgründe des Profifußballs gesehen“
Jens Todt über das Südwestderby, seine Verbundenheit zum SC Freiburg und eine gestohlene Europameister-Medaille
RAVENSBURG - Jens Todt ist ein Umtriebiger des Fußballgeschäfts, behielt aber dennoch stets den Blick über den Tellerrand des Sports hinaus – egal ob als Aktiver oder als Funktionär bei seinem Herzensverein. Der 52-Jährige hat mit Felix Alex über seine Karriere gesprochen und erklärt, warum sich der VfB Stuttgart derzeit in einer „klassischen SCFreiburg-Situation“befindet.
Herr Todt, wie geht es Ihnen privat und was machen Sie beruflich?
Ich lebe mit meiner Familie in Potsdam. Seitdem ich 2003 ein Jahr als Chefscout für Hertha BSC gearbeitet hatte, war das die Homebase für meine Familie, während ich für knapp zwei Jahrzehnte im Fußball unterwegs war. Nach meinem Aus beim Hamburger SV als Sportdirektor 2018 habe ich vor einem Jahr entschieden, mich selbstständig zu machen. Mit Anfang 50 war das ein guter Zeitpunkt, weil man das mit 60 Jahren sicher nicht mehr macht, und seitdem bin ich als Berater tätig.
Eine Branche, die nicht den besten Ruf genießt und der auch die Fußballbosse gern den Schwarzen Peter zuschieben, wenn es um hohe Gehälter und Ablösen geht …
Zu einem Vertragsabschluss gehören ja immer mindestens zwei Parteien. Ich persönlich habe auch sehr viele gute Erfahrungen gemacht. Meine neu gegründete Firma „Todt Sports“entwickelt sich sehr gut; aktuell habe ich etwa 15 Klienten. Darunter ganz junge Spieler, die an der Schwelle zum Profigeschäft stehen, wie der 17-jährige Torhüter vom HSV Finn Böhmker oder der 18-jährige Innenverteidiger Mladen Cvjetinovic von Viktoria Berlin. Hier geht es darum, Karrieren zu planen und gemeinsam zu entscheiden, was der nächste Schritt sein sollte. Ich vertrete aber auch Trainer, Nachwuchsleiter und andere Spezialisten der Branche. Auch für Scouts gibt es Beratungsbedarf.
Können Sie Spiele als Fan genießen oder sind Sie ständig auf der Suche nach Klienten?
Ich war viele Jahre in der Verantwortung und da guckt man etwas anders. Mittlerweile habe ich etwas Abstand gewonnen und genieße, dass ich mir die Spiele mit professionellem Interesse und Wohlwollen ansehen kann, der Puls allerdings nicht mehr so hoch geht. Natürlich habe ich trotz allem Sympathien für die Clubs, für die ich gespielt oder gearbeitet habe.
Davon treffen beim Landesderby zwischen dem VfB Stuttgart und dem SC Freiburg (Sa., 15.30 Uhr/ Sky) gleich zwei aufeinander. Für wen schlägt da Ihr Herz?
Ich muss sagen, dass ich engere Drähte nach Freiburg habe, weil selbst 25 Jahre nach meinem Abschied als Spieler noch relativ viel handelnde Personen von damals in Amt und Würden sind. In Stuttgart gab es eine viel höhere Fluktuation. Beim SC war ich fünf Jahre und hatte die beste Zeit meiner Karriere, deshalb gibt es den leichten Ausschlag für den SC. Zudem ist meine schönste Fußballerinnerung der Bundesliga-Klassenerhalt mit dem SC am 7. Mai 1994, als wir 2:0 gegen den MSV Duisburg gewonnen haben. Wir waren damals eigentlich vollkommen unterlegen in dieser Liga und alle hatten uns abgeschrieben.
Beim SC läuft es trotz der jüngsten Rückschläge diese Saison blendend. Geht Ihnen da das Herz auf? Absolut, vor allem habe ich aus professioneller Sicht großen Respekt. Jedes Jahr solch eine Leistung mit begrenzten Mitteln hinzubekommen und eine Mannschaft aufzubauen, die konkurrenzfähig und schwer zu schlagen ist, obwohl sie vielleicht in der Einzelqualität häufiger mal unterlegen ist, ist außerordentlich.
Es verdeutlicht, dass ein Kollektiv und die richtige Kaderzusammenstellung über individueller Klasse stehen kann. Eine Erkenntnis, die beim SC kultiviert wurde, oder? Ich denke, das gehört zur DNA des Sport-Clubs. Die Fans wissen inzwischen in zweiter Generation: Hier wird in einer Schwächephase nicht sofort alles infrage gestellt, sondern an der Grundausrichtung festgehalten. Dazu gehört, als Verein auch mal ,Nein’ zu sagen. Zum Beispiel, wenn man einen Spieler gern hätte, ihn aber nicht holt, weil er mit seinen Gehaltsforderungen das Gefüge des Kaders sprengen würde.
Inwieweit erinnern Sie die Christian-Streich-Jahre an Ihre Zeit unter Volker Finke?
Beide sind dominante Trainerpersönlichkeiten, die den Verein maßgeblich geprägt haben. Da herrscht eine Energie, die für den Erfolg sehr wichtig ist.
Wirbel gibt es um Rekordtorjäger Nils Petersen, der sein Verhältnis zum SC jüngst als „kompliziert“beschrieb und sagte, dass der Club ihm bei einem Wechsel wohl keine Steine in den Weg legen würde. Was würden Sie ihm raten?
Wenn Nils mich fragen möchte, dann soll er mich selbst anrufen. Aber Spaß beiseite, er ist ein Volksheld in Freiburg. In der Stadt lieben ihn alle. Wenn man am Ende der Karriere noch ein Abenteuer wagen möchte, dann fände ich das aus Spielerperspektive interessant – auch weil ich das in meiner Laufbahn nicht konnte, weil ich zum Ende hin sehr oft verletzt war. Dass es bei einem Club auch mal Knirschgeräusche gibt, ist nicht ungewöhnlich. Auch der SC Freiburg ist ein Profiverein und keine Kuschelgruppe. Wenn diese kleine Unstimmigkeit zudem der größte Unruhefaktor in diesem Jahr beim SC sein sollte, dann haben sie alles richtig gemacht.
Petersen gilt als reflektierter Profi, auch Sie studierten während ihrer Zeit in Freiburg. Kann man jedem Profi nur raten, zu einem Club wie dem SC zu gehen, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren?
Zu lernen, dass eine Mannschaft mehr ist als die Summe ihrer Einzelspieler, hilft ja eigentlich in vielen Lebenslagen – auch außerhalb des Fußballs. Wenn sich jemand dagegenstellt, wird das beim SC nach meinem Eindruck härter als bei anderen Clubs sanktioniert. Wer auf dem Egotrip ist, wird dort nicht funktionieren, unabhängig davon, was er an Ablöse gekostet hat.
Beim VfB war es mit der Bodenhaftung ja nicht immer so weit her. Wie haben Sie den Verein damals wahrgenommen? Wie war es zum Beispiel unter Felix Magath?
Der VfB ist ein Verein mit einer wahnsinnig großen Wucht und mit einem ganz hohen Standing im Umfeld. Zudem ist die Region gespickt mit wirtschaftlichen Weltmarktführern und „Hidden Champions“, woraus nachvollziehbarerweise der Anspruch erwächst, dass der Fußballverein möglichst auch absolut top zu sein hat. Das war damals schon spürbar und ist es bis heute. Es ist eben ein Club, bei dem schneller Unruhe aufkommt, und das macht es den Verantwortlichen nicht einfacher. Die Magath-Jahre waren für mich gut, aber ich bin mit ihm auch besonders gut ausgekommen. Er wollte mich vorher schon zum HSV holen. Ich hatte mich aber für Werder Bremen entschieden. Kurze Zeit später kam auch Magath zu Werder, wurde dann aber entlassen. Dann bin ich zum VfB und Magath kam ebenfalls wenig später. Er ist mir also quasi zufällig zweimal nachgereist.
Der VfB hat mit Pellegrino Matarazzo einen Trainer mit einem klaren Plan. Dennoch erleben sie am Wasen nun eine schwierige Phase, die mit Ruhe überstanden werden soll. Ist das der nachhaltige Weg? Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei dem jüngsten Kader der Liga Phasen auftreten, bei denen die Punkte nicht kommen. Das ist eine klassische Freiburg-Situation, bei der man idealerweise dem Trainer den Rücken stärkt und unbeirrt am Weg festhält, auch wenn es mal haarig wird. Ich finde es schwierig, von außen im Erfolgsfall die „jungen Wilden“zu feiern und dann in einer Schwächephase sofort ein paar 35-jährige Innenverteidiger zu fordern. Der VfB hat in den letzten Jahren viele gute und kreative Transfers gemacht. Die Spielanlage mit viel Ballbesitz ist klar definiert und wiedererkennbar.
Dass es auch schiefgehen kann, musste im vergangenen Jahr ein anderer Ex-Club von Ihnen erleben, der sich plötzlich in der zweiten Liga wiederfand. Was muss der VfB vom Beispiel Bremen lernen? Für Werder Bremen war es jahrzehntelang ein Markenzeichen, sehr lange an ihrem Personal festzuhalten. Das hat unglaublich oft funktioniert, jetzt einmal nicht, dennoch würde ich deshalb nicht die ganze Identität infrage stellen. So ein Jahr wie jetzt ist hart, aber manchmal gilt eben: Helm aufsetzen und durch!
Sie sind in der Branche recht umtriebig, Manager, Berater, Sportdirektor, ist das Ihr Naturell? Machen Sie nur, was Ihnen Spaß macht oder sind Sie pragmatisch? Ich bin schon pragmatisch, aber vor allem total der Überzeugungstäter. Ich habe, nachdem ich bei Hertha BSC gekündigt hatte, ja auch meinen alten Wunschtraum, Journalist zu werden, wieder aufgenommen. In Freiburg hatte ich drei Semester neue deutsche Literatur und Philosophie mit genau diesem Ziel studiert. Also habe ich 2004 beim „Spiegel“angefangen und war damals wohl der älteste Praktikant der Verlagsgeschichte. Dem schloss sich ein Volontariat an, weil ich davon absolut überzeugt war.
Sie waren dann sogar Redakteur im Panorama-Ressort, also Vermischtes aus aller Welt. Wie kam es dazu? In meine Praktikumszeit fiel der Skandal um Schiedsrichter Robert Hoyzer und da ging es im Wesentlichen nicht um Fußball, sondern um Wettmafia, zu der wir im Berliner Milieu recherchiert haben. Das hat gut funktioniert und daraufhin kam es ja überhaupt erst zum Volontariat. Ich habe dann aber direkt darum gebeten, dass ich nicht im Sport arbeite, weil ich vermeiden wollte, mit alten Freunden aus der Branche zu kollidieren. Ich wollte einfach spannende Sachen machen und habe viel über Rechtsextremismus, Kriminalität und Ähnliches geschrieben. Doch auch dabei blieb es ja nicht lange. Wir hatten das Büro damals in Berlin direkt an der Fanmeile zur WM 2006 und da habe ich gemerkt, wie sehr mir der Fußball gefehlt hat. So gab es eben nach drei Jahren wieder ein neues Kapitel.
Sie haben in all den Jahren und Bereichen sicher auch die unschönen Seiten des Sports erlebt. Gab es Vorgänge, bei denen Sie nur noch den Kopf schütteln konnten? Natürlich sind im Laufe von 30 Jahren vereinzelt Dinge an mich herangetragen worden, die ich auf keinen Fall mitgetragen hätte, weil sie in den illegalen Bereich gegangen wären oder zumindest in den sehr unanständigen. Da habe ich schon die Abgründe des Profifußballs gesehen. Das passiert bei einer schnellen Branche, die hart ist und in der es um sehr viel Geld geht, automatisch. Als Spieler wurden mir durch Berater etwa Steuergeschichten angetragen, die mehr waren als eine Trickserei. Es gab noch ein oder zwei andere Sachen, aber über die rede ich nicht.
Sie sind einer der wenigen Sportler, die die eigene Biografie sogar unterhaltsam selber aufschreiben könnten und keinen Ghostwriter bräuchten. Ist so etwas geplant? Mein Sendungsbewusstsein ist da sehr gering. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Welt darauf wartet zu erfahren, wie mein Leben gelaufen ist. Aber mal sehen, was noch kommt.
Welche Überschrift würde das Kapitel zur EM 1996 tragen oder können Sie das Thema nicht mehr hören? Sie wurden aufgrund von Verletzungssorgen im deutschen Team zum Finale eingeflogen, kamen aber nicht zum Einsatz.
Für mich war das alles ein absoluter Glücksfall und ich habe schon oft darüber geredet. Ich war damals fit und zum ersten Mal in der Geschichte des Turniers konnte jemand nachnominiert werden. In den Jahren 1994 bis 1996 war ich ja auch bei relativ vielen Spielen dabei oder zumindest im Kader. Also bin ich losgeflogen und habe mich dann auch nicht nur als Tourist gesehen, sondern gedacht, wenn ich im EM-Finale spielen muss, dann mache ich das natürlich liebend gern. Es ist aber bekanntlich anders gekommen.
Trikot, Medaille und das silberne Lorbeerblatt, die höchste verliehene sportliche Auszeichnung in der Bundesrepublik Deutschland, haben sicherlich dennoch einen Ehrenplatz im Wohnzimmer, oder? Das kann ich so nicht sagen. Mir wurde meine Medaille bei einem Einbruch vor etwa 15 Jahren in Potsdam gestohlen. Die Einbrecher haben eine Tasche mit einigen meiner wenigen Fußballdevotionalien mitgenommen, und leider war da die Medaille dabei. Das Trikot von damals habe ich dem neuen Freiburger Fußball-Museum gespendet, und das silberne Lorbeerblatt liegt in einem Ordner im Keller. Ich bin niemand, der das irgendwo prominent aufhängt. Es war eine ganz tolle Zeit, aber ich muss keine Galerie aufbauen. Da treffe ich mich lieber mit ehemaligen Kollegen aus meinem Fußballerleben und rede darüber, wie schön es damals war.