Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Dem großen Namen alle Ehre machen
Trotz der Insolvenz hat Fußball-Drittligist 1. FC Kaiserslautern den Aufstieg im Visier
KAISERSLAUTERN - Chaos – das ist ein Zustand, der im 21. Jahrhundert nahezu durchgängig beim vierfachen deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern herrschte. So gab es viele Veränderungen in der Vorstandsetage, ständige Trainerwechsel und die Verpflichtung teurer Profis bei ausbleibendem Erfolg: Oftmals begleitet von wenig förderlichen Querelen. All das mündete in einer negativen Entwicklung mit nur wenigen Hochs, die die Kasse klammer und klammer werden ließ. Die logische Konsequenz: sportlicher Absturz in die Dritte Liga und der Insolvenzantrag am 15. Juni 2020. Von einem endgültigen Untergang sind die Lauterer dennoch ein gutes Stück entfernt. Stattdessen ist es für die Pfälzer gar die Möglichkeit, sich von den Altlasten der Vergangenheit zu befreien und sich für eine erfolgreiche Zukunft ohne Rucksack zu rüsten.
„Viele werden es im Moment mit dieser Begrifflichkeit als Tiefpunkt sehen, aber ich glaube, Fritz (Walter, Anm. der Red.) würde es genauso sehen wie wir es sehen: Es ist eine Geburtsstunde und die große Chance zu einem Neuanfang“, sagte Ex-Bundesliga-Schiedsrichter und FCKAufsichtsratssprecher Markus Merk unmittelbar nach der Anmeldung der Planinsolvenz in Eigenverwaltung bei Sport1. Bislang scheint es so, als würde Merk mit seiner optimistischen Einschätzung richtig liegen. Das zuständige Amtsgericht Kaiserslautern hat das Insolvenzverfahren über das Vermögen der 1. FC Kaiserslautern Kommanditgesellschaft auf Aktion (KGaA) am 1. September eröffnet, mit dem schon erarbeiteten Insolvenzplan und dem Termin für die Gläubigerversammlung am 29. Oktober geht alles seinen gewünschten Gang – die Auswirkungen auf den Spielbetrieb sind dennoch überschaubar.
Der Kader, mit dem die Lauterer am Freitag (17.45 Uhr) gegen Zweitliga-Absteiger Dynamo Dresden in die neue Drittliga-Saison starten, ist ernstzunehmen. Denn das Fundament ist trotz der Abgänge der Leistungsträger Lennart Grill (Bayer 04 Leverkusen), Florian Pick und Christian Kühlwetter (beide 1. FC Heidenheim) ein gutes, um sich als Topmannschaft
zu positionieren – das ist auch das Saisonziel, das der Verein ausgegeben hat. Einen ersten Vorgeschmack lieferten die Pfälzer in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals. Beim Aus im Elfmeterschießen gegen den Zweitligisten SSV Jahn Regensburg (4:5) zeigte das Team von Trainer Boris Schommers in der zweiten Halbzeit und der Verlängerung, dass es den Gegner mit physischer Stärke und spielerischer Klasse unter Druck setzen kann.
Doch wie es ist es möglich, dass die Lauterer einerseits mit etablierten Stammspielern wie Kevin Kraus und Dominik Schad verlängern und darüber hinaus Hochkaräter wie Routinier Adam Hlousek (Viktoria Pilsen) und Torjäger Marvin Pourié (Karlsruher SC) in den Kader aufnehmen? Eine Frage, die sich auch die Konkurrenten stellen und das auch öffentlich äußern. So platzte Michael Köllner, Trainer von 1860 München, der Kragen, nachdem die Pfälzer ihm den Wunschspieler Tim Rieder vom FC Augsburg wegschnappten. „Ich habe immer gelernt: Wenn man kein Geld hat, kriegt man auch keins“, polterte Köllner in einem Interview in der Münchener „tz“. Angesprochen auf die Transferpolitik des FCK kritisierte Jürgen Luginger, Sportdirektor des 1. FC Saarbrücken, gegenüber der „Bild“: „Da muss man sich schon fragen, wie das funktioniert. Etwas unverständlich ist das schon.“
Dass sich der Drittligist trotz des laufenden Insolvenzverfahrens in der Kaderzusammenstellung nicht so stark einschränken muss, hängt hauptsächlich mit dem kooperativen Verhalten des Gläubigerausschusses zusammen, wie Andreas Kleinschmidt, Sachwalter der FCK-Insolvenz, dem Internetportal „Der Betze brennt“erläuterte. „Die Interessen der Gläubiger und des Vereins haben große Überschneidungen, denn auch viele Gläubiger haben ein Interesse am Fortbestand des Vereins“, sagte Kleinschmidt im Juli. Dies ermöglicht, dass die Lauterer die beachtlichen Transfererlöse zum Teil wieder ausgeben dürfen. Ein anderer Grund ist das Engagement der Regionalen Investorengruppe, die mit 8,3 Millionen Euro Eigenkapital einsteigt und dafür 25 Prozent der Aktien-Anteile erhält.
Der 1. FC Kaiserslautern scheint also in der Lage zu sein, wieder mehr Licht in seine ruhmreiche Vereinshistorie zu bringen. Einen ersten Hinweis, inwieweit der Anspruch diesmal auch nahe an der Wirklichkeit dran sein wird, gibt es schon am Freitag: Mit Dynamo Dresden, das bewies der Zweitliga-Absteiger im Pokal gegen den Hamburger SV (4:1) eindrucksvoll, kommt ein echter Gradmesser an den Betzenberg. Die Lauterer dürfen dabei zum ersten Mal seit März wieder auf die Unterstützung der eigenen Fans hoffen. Für das Drittliga-Eröffnungsspiel sind 4985 Zuschauer zugelassen.