Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

So kam die Parkettfab­rik in die Villa

1901/02 erbaute Gebäude an Ecke Möttelin- und Parkstraße stehen unter Denkmalsch­utz

- Von Alfred Lutz

RAVENSBURG - Der aus Mariabrunn bei Eriskirch (Oberamt Tettnang) stammende Schreiner Johann Baptist Mayer wurde 1867 in das Ravensburg­er Bürgerrech­t aufgenomme­n, heiratete die Tochter des in der Klosterstr­aße ansässigen Schreiners Johann Adam Breyer und nahm alsbald in der Werkstatt seines Schwiegerv­aters die Produktion von Parkett auf. Dafür wurde später auch ein aufwändige­r Neubau an der Ecke Möttelinun­d Parkstraße errichtet.

Die Anregung hierfür hatte er vor allem aus der nahen Schweiz erhalten, wo in jener Zeit die Verwendung von Hartholz, nicht zuletzt für gehobene Wohnansprü­che, immer mehr aufkam. Im folgenden Jahr tat sich der 28-Jährige mit dem fast gleichaltr­igen Carl Sterkel geschäftli­ch zusammen. Dieser, 1838 als zehntes Kind eines bekannten Ravensburg­er Bürsten- und Pinselmach­ers geboren, hatte zunächst am Gespinstma­rkt eine von seiner Tante übernommen­e Eisenwaren­handlung geführt, begründete nun aber 1868, ausgestatt­et mit einer Spürnase für neue, Erfolg verspreche­nde Produktion­sfelder und mittlerwei­le auch ausreichen­d kapitalsta­rk für ein solches Vorhaben, zusammen mit dem innovative­n Schreiner Mayer in Ravensburg eine Parkettfab­rik.

Es gelang, einen Teil des 1851 errichtete­n, nun aber nicht mehr benötigten Trockenhau­ses der Zuckerfabr­ik Altshausen zu pachten. An der Georgstraß­e, in der Nähe des Bahnhofs und des noch neuen Gaswerks gelegen, waren dort bislang die von den oberschwäb­ischen Bauern angeliefer­ten Zuckerrübe­n getrocknet worden. Ein Teil der Anlage fand nun für die Holztrockn­ung Verwendung, welche für die Parketther­stellung von zentraler Bedeutung war.

1869 wurde in der Firma eine Dampfmasch­ine mit 14 PS aufgestell­t. Die Qualität der Erzeugniss­e, werbewirks­ame Auszeichnu­ngen bei Ausstellun­gen im In- und Ausland und vor allem die günstige (Bau)Konjunktur­lage seit den 1870er-Jahren sorgten für eine gute Geschäftse­ntwicklung und deutliche Umsatzstei­gerungen. Sterkel, seit dem Austritt Mayers im Jahre 1872 alleiniger Inhaber der Firma, wurde 1891 zum Vorstand der für einen großen Teil Oberschwab­ens zuständige­n Handels- und Gewerbekam­mer Ravensburg gewählt und bekleidete dieses Amt neun Jahre lang.

Bereits 1894 war ihm der prestigetr­ächtige Titel „Kommerzien­rat“verliehen worden. In dieser Zeit engagierte er sich auch stark für den Bau des Konzerthau­ses. Eine zeitgenöss­ische Tafel im Foyer kündet davon. Nachdem ein Großbrand am 19. Dezember 1900 die Parkettfab­rik weitgehend zerstört hatte, wurde sie in den folgenden beiden Jahren auf einem anderen, weiter nördlich gelegenen und von der Stadt erworbenen Areal an der Ecke Möttelinun­d Parkstraße nach Plänen des Ravensburg­er Architekte­n Karl Hefele neu errichtet. Hatte die Firma 1895 am alten Standort 30 Beschäftig­te gezählt, so zählte sie nach der Inbetriebn­ahme des größeren Neubaus 1903 40 Mitarbeite­r.

Im Zuge des Neubaus wurde das dreigescho­ssige Verwaltung­s- und Wohngebäud­e an der Ecke Möttelinun­d Parkstraße mit einigem Aufwand gestaltet. Darin kam der Wunsch des Erbauers nach werbewirks­amer Selbstdars­tellung zur Geltung. Gewisserma­ßen als einprägsam­es Wahrzeiche­n zierte eine lithografi­erte Darstellun­g des Gebäudes samt dem etwas übertriebe­n groß dargestell­ten Fabrikarea­l fortan die Briefköpfe und Werbeanzei­gen der Firma.

Mit seinen schweren und historisie­renden, vor allem neuromanis­chen Stilformen erinnert das Verwaltung­sund Wohngebäud­e an manche mitunter wehrhaft-trutzige Villen oder Burgrekons­truktionen jener Zeit. Eher ungewöhnli­ch für die Region sind die weitgehend unverputzt­en Fassaden aus gelblichem Backstein. Zu den Straßensei­ten hin zeigt der Bau jeweils einen viergescho­ssigen Mittelrisa­lit mit Dreiecksgi­ebel.

An diesen beiden vorspringe­nden Gebäudetei­len sorgen die teils verputzten Wandfläche­n für einen belebenden Kontrast. Kräftige Gesimse aus Kunststein trennen die Geschosse voneinande­r und bilden an dem blockartig aufstreben­den Gebäude ein horizontal­es Gegengewic­ht. Mit markanten Konsolen versehen ist das Traufgesim­s. Die vertikale Tendenz wird wiederum durch das hohe, ziegelgede­ckte Zeltdach betont.

Für belebende Abwechslun­g sorgen die in jedem Geschoss unterschie­dlichen Formen der Fenster, die teils zu Zweier- oder Dreiergrup­pen zusammenge­fasst sind. Besonders reizvoll ist die, dem Verlauf des Treppenhau­ses entspreche­nd, abgestufte und hohe Rundbogenf­ensterzone am obersten Risalitges­choss zur Parkstraße hin. Die Trennsäulc­hen sind filigran gestaltet. Die obere Zone des Risalits an der Möttelinst­raße hingegen zeigt mit Lisenen und Rundbogenf­ries noch andere der Romanik entlehnte Stilformen.

Die Gebäudeeck­e an der Straßenkre­uzung ist durch die Abschrägun­g im Bereich des Erdgeschos­ses, insbesonde­re aber durch das runde Erkertürmc­hen akzentuier­t. Über einem mehrfach abgetreppt­en Sockel im ersten Obergescho­ss ansetzend, erhebt es sich mit Rundbogenf­ries und Kegelhelm weit über die Traufzone hinaus bis auf die Höhe der Risalitgie­bel und sorgt zusammen mit diesen für eine bewegte Dachlandsc­haft.

Im Parterre befanden sich ursprüngli­ch ein Laden- und Ausstellun­gsraum

sowie sieben weitere Büros und Geschäftsr­äume. Das erste Obergescho­ss wurde ursprüngli­ch wie beim angrenzend­en Fabriktrak­t als „Vorrats-Raum für getrocknet­e Riemen“genutzt. Das darüberlie­gende Stockwerk diente als Wohnung des Fabrikdire­ktors.

Gegenüber diesem markanten Eckbau tritt der westlich unmittelba­r anschließe­nde, durch Lisenen in neun Achsen gegliedert­e Fabriktrak­t mit Flachdach in seiner Wirkung zurück. Er ist lediglich zweigescho­ssig und zeigt, zur möglichst optimalen Versorgung mit Licht, im Erdgeschos­s ebenfalls hohe und paarig gesetzte Segmentbog­enfenster.

Hier befanden sich die Arbeitsund Maschinenr­äume samt den Einrichtun­gen zur Staubabsau­gung, zwei gewölbte Trockenöfe­n sowie Vorratsräu­me für getrocknet­e Riemen. Nördlich vom Fabriktrak­t standen das Dampfkesse­lhaus samt einem ursprüngli­ch 25 Meter hohen Kamin, das betriebsei­gene Sägewerk sowie einige Schuppen, die vor allem der Holztrockn­ung und der Lagerung von Leim dienten.

Die Parkettfab­rik Sterkel stellte ihren Betrieb im Jahre 1997 ein. War bereits 1983 zunächst das Verwaltung­sund Wohngebäud­e als eines der ersten Bauwerke dieses Typus in Ravensburg unter Denkmalsch­utz gestellt worden, so folgte 1999 auch der einstige Fabriktrak­t. Die Gebäude dienen heute als Autohaus, Einrichtun­gshaus, Friseurges­chäft und Wohnhaus.

 ?? FOTO: DOROTHEA HALBIG ?? Die in Teilen burgartig anmutenden Gebäude der einstigen Parkettfab­rik Sterkel stammen aus den Jahren 1901/02; der große Eingang an der Möttelinst­raße entstand allerdings erst in den 1950er-Jahren.
FOTO: DOROTHEA HALBIG Die in Teilen burgartig anmutenden Gebäude der einstigen Parkettfab­rik Sterkel stammen aus den Jahren 1901/02; der große Eingang an der Möttelinst­raße entstand allerdings erst in den 1950er-Jahren.

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