Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Im Kern geht es darum, Waren oder Dienstleistungen zu verkaufen“
Martin Groß-Albenhausen vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland über den neuen Ausbildungsberuf „Kaufmann E-Commerce“
Laut Bundesinstitut für Berufliche Bildung landete der neue Ausbildungsberuf „Kaufmann E-Commerce“in der Rangliste der 2018 abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf Anhieb auf Platz 78 von derzeit insgesamt 326 dualen Ausbildungsberufen. Martin Groß-Albenhausen vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel gehörte der Sachverständigen-Kommission zur Entwicklung der Ausbildung an. Im Interview mit Miriam Heidecker spricht er über sein Fazit, Ausbildungswege und Chancen für Berufseinsteiger.
Wie lautet Ihr Fazit nach einem Jahr Ausbildung zum E-Commerce-Kaufmann?
Der Zuspruch hat 2018 gerade auch aufgrund der sehr knappen Vorbereitungszeit unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Das Feedback der Azubis nach einem Jahr ist in den allermeisten Fällen sehr positiv. Natürlich gibt es, wie in jedem Beruf, Auflösungen von Verträgen – aber die halten sich sehr im Rahmen und liegen zum Teil auch daran, dass in den Unternehmen die Voraussetzungen nicht ideal waren.
Wie sieht es mit Bedarf und Nachfrage aus?
Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand läuft der Beruf auch im zweiten Ausbildungsjahr stabil weiter. In den Bundesländern ist die Nachfrage sehr unterschiedlich, in den neuen Ländern schwächer als im Norden, Süden und Westen. Und es gibt Regionen, beispielsweise in BadenWürttemberg, wo aufgrund des starken Wettbewerbs mit der Industrie die Unternehmen die ausgeschriebenen Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten.
Gibt es noch Nachbesserungsbedarf hinsichtlich der Ausbildung?
Die Ausbildungsverordnung für die Betriebe und der Rahmenlehrplan für die Schulen decken den Qualifikationsbedarf sehr gut ab. Gerade in den Berufsschulen ist die Situation nicht überall ideal, da zum Teil Restriktionen bei der Nutzung von Software bestehen oder auch die Beschulung gemeinsam mit anderen Berufen erfolgen muss.
Welche Branchen haben Bedarf an dem neuen Ausbildungsberuf ?
Im ersten Jahr kamen die meisten Azubis bei Einzelhandelsbetrieben unter. Es gab auch viele Onlinehändler, die nun erstmals ausgebildet haben oder statt der bisher genutzten Ausbildungsberufe auf den viel besser zu ihnen passenden E-Commerce-Kaufmann umgeschwenkt sind. Überrascht hat uns, dass gerade auch aus der Finanz- und Versicherungsbranche Interesse bestand. Geringer als von uns erwartet war die Nachfrage aus dem Groß- und Fachhandel und aus dem Tourismus, da beide Branchen auch direkt in die Entwicklung des Berufs eingebunden waren.
Welche Ausbildungswege gibt es?
Es gibt heute sehr viele Möglichkeiten, sich für E-Commerce zu bilden. Auf der Webseite www.hochschulatlas-ecommerce.de listen wir mehr als 120 Studiengänge auf, die zum Bachelor oder Master führen und Wissen vermitteln, das für Tätigkeiten in dieser Branche qualifiziert. Wir selbst bieten mit Partnern auch zwei Zertifizierungen für „E-Commerce-Manager“an, einmal mit Fokus B2C, einmal stärker B2B-orientiert. Und wir konnten gemeinsam mit anderen Verbänden aus Handel und Tourismus den Fortbildungsberuf „Fachwirt/in im E-Commerce“auf den Weg bringen. Er befindet sich gerade in der Zulassung und wird hoffentlich zum Jahreswechsel 2019/20 eingeführt.
Welche Qualifikationen sollten Bewerber mitbringen?
E-Commerce ist ein IT-naher Beruf, hat aber nichts direkt mit Programmierung, Netzwerktechnik oder Informatik zu tun. Die Interessenten sollten den Umgang mit Software nicht scheuen und Spaß daran haben, sich mit neuen Technologien zu beschäftigen. Im Kern geht es darum, Waren oder Dienstleistungen zu verkaufen. Dazu gehört es, sich mit Werbung und Marketing in digitalen Medien zu beschäftigen, das Angebot im Internet möglichst attraktiv darzustellen, und dabei stets zu messen, ob sich eine Maßnahme lohnt. Für den Azubi bedeutet dies, dass er sowohl kreativ als auch analytisch sein muss, dass er rechnen muss, aber auch Empathie für die Kunden benötigt.
Wie geht es der E-Commerce- und Versandhandelsbranche?
Im Zeitraum Januar bis Juni 2019 galernen“ ben die Verbraucher im Onlinehandel 33,6 Millionen Euro (inkl. USt) aus. Im ersten Halbjahr 2018 waren es 30,2 Millionen (inkl. USt). Der ECommerce-Umsatz wird nach unserer Einschätzung 2019 die 70 Milliarden-Euro-Marke überspringen. Das wäre ein Plus von 10,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für den Gesamtmarkt des interaktiven Handels rechnen wir mit einem Wachstum von 8,6 Prozent auf rund 73,95 Milliarden Euro brutto.
Wie wird sich die Branche in Zukunft entwickeln?
In vielen Branchen steht E-Commerce noch am Anfang. Und das Internet durchdringt unser Leben mit innovativer Technologie immer mehr, sodass jeden Tag neue Möglichkeiten entstehen, online zu verkaufen. E-Commerce wird in den nächsten Jahren ungebremst weiterwachsen, sowohl im Einzelhandel als auch im Großhandel, im Tourismus, in der Industrie und auch im Handwerk. Die Bewerber können sicher sein, dass sich E-Commerce in den drei Jahren der Ausbildung quasi einmal neu erfindet. Deshalb ist es kein Beruf für jemanden, der schnell „auswill. Sondern ideal für Menschen, die Freude daran haben, neue Dinge auszuprobieren und auch mal Misserfolge aushalten können.